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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

189–190

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Theißen, Gerd

Titel/Untertitel:

Botschaft in Bildern. Entmythologisierung als theologische Wahrheitssuche.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2021. 164 S. = Theologische Interventionen, 6. Kart. EUR 19,00. ISBN 9783170409729.

Rezensent:

Paul-Gerhard Klumbies

Gerd Theißen hat 80 Jahre nach Rudolf Bultmanns Vortrag über Neues Testament und Mythologie von 1941 das Programm der Entmythologisierung einer Neusichtung unterzogen und in eigenständiger Weise fortgeschrieben.

Im ersten Kapitel seiner Schrift zeichnet T. das Projekt Bultmanns zeitgeschichtlich ein. Zu Recht hebt er die politische Pointe von Bultmanns Beitrag hervor. Dieser hatte den Vortrag auf dem Höhepunkt der nationalsozialistischen Machtentfaltung gehalten und gemeinsam mit einer Kritik an den Deutschen Christen zur Frage der natürlichen Offenbarung unter der Überschrift Offenbarung und Heilsgeschichte publiziert. Das Entmythologisierungsprogramm stand für eine Alternative gegenüber den Repräsentanten einer dem Nationalsozialismus zugetanen akademischen Theologie, namentlich E. Hirsch. Die zweite Stoßrichtung lag in Bultmanns Bestreben, die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu verteidigen.

T. fragt in Kapitel 2, ob die Entmythologisierung dem Mythos, dem Neuen Testament, der Religion und der Wahrheitsfrage gerecht wird und schlägt Korrekturen an Bultmanns Programm vor. Dazu plädiert er für eine Neubestimmung der Schöpfungstheologie (50) und die Anerkennung einer Christusmystik (51) und eines Geistuniversalismus (52). Für die Suche nach theologischer Wahrheit macht T. ein Korrespondenz-, ein Kohärenz- und ein Konsenskriterium geltend.

Trinitarisch aufgebaut stellt T. in drei Folgekapiteln sein Entmythologisierungsprogramm vor. Unter den sechs Zugangsweisen einer narrativen, dialogischen, doxologischen, imperativischen, mystischen und philosophischen Rede von Gott entfaltet er das Gottesverständnis (Kap. 3). Eine kritische Metaphysikhermeneutik solle die Entmythologisierung ergänzen (58/59). Sie bringe das Resonanzverhältnis des Menschen zum Ganzen der Wirklichkeit (Korrespondenz) zur Geltung (80).

Der Abschnitt zum Christusverständnis (Kap. 4) stellt den Ausführungen zum Christusmythos eine Passage zum historischen Jesus voran. Aus der in den 1960er Jahren prominenten Formulierung vom Verkündiger, der zum Verkündigten wurde, wird bei T.: »Jesus lebte in einem Mythos, bevor er zum Mythos wurde.« (83) Der »›mythische‹ Jesus« gilt T. als die »symbolische Steigerung des irdischen Jesus«. Für die Wahrheit des Glaubens ist zentral, »was der historische Jesus gesagt und getan hat«. Noch entscheidender ist die Kohärenz zwischen dem Jesusbild als Ganzem und dem, was als »Wahrheit über Gott« ausgesagt wird (84).

Gemeinschaft, Sakrament, Ethik und Eschatologie markieren die wesentlichen Merkmale des Geistverständnisses, dessen Kernpunkt das Streben nach Konsens ist (Kap. 5).

Das Schlusskapitel 6 stellt das trinitarische Strukturprinzip in Beziehung zur Erfassung der Wirklichkeit jenseits des christlichen Glaubens. Die »Trinitätssymbolik« reflektiert das, was im Kern jede Religion ausmacht: Der Sohn steht für den Erfahrungsbezug, der Vater für den Bezug zum Unendlichen, der Geist für die verbindende Kraft zwischen den Menschen und mit allem (156).

Zwei Vorentscheidungen leiten T.s Fortschreibung der Entmythologisierung: Die erste steckt in der Titelformulierung Botschaft in Bildern. Indem T. den Mythos als Überlieferung von mythischen Bildern versteht und deren sprachliche Realisierungen erklärt, nimmt er eine Metaphorisierung des Mythischen vor. Damit rücken die mythischen Erzählungen auf eine Ebene mit Gleichnissen. Dem steht entgegen, dass die mythische Rationalität anderen Regeln folgt als die metaphorische Sprache. Die zweite Vorentscheidung besteht darin, dem historischen Jesus sachlichen Vorrang vor dem Christusmythos einzuräumen und Letzteren als symbolisch gesteigerte Weiterführung der historischen Vorgaben zu verstehen. Damit ordnet T. die Eigenlogik mythischer Weltorientierung den Voraussetzungen neuzeitlicher Rationalität unter. Wie bei Bultmann bleibt der Mythos bei T. der aufgeklärten Rationalität rechenschaftspflichtig.

Das schmälert nicht die Leistung dieser multiperspektivischen Schrift. T. verbindet Theorie und Praxis der Auslegung in zum Teil augenöffnender Weise, so etwa mit einer »poetische[n] Entmythologisierung« des Sterbens Christi für die Sünden der Menschen (109).