Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2023

Spalte:

161–163

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Frankemölle, Hubert

Titel/Untertitel:

Gott glauben – jüdisch, christlich, muslimisch.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2021. 672 S. Geb. EUR 39,00. ISBN 9783451390975.

Rezensent:

Friedmann Eißler

Keine Religion ist mit ihrem Anfang identisch. Das Buch des im Dia-log engagierten katholischen Neutestamentlers Hubert Franke-mölle nimmt sich vor, die in den jeweiligen heiligen Schriften enthaltenen Reflexionen auf die Gotteserfahrungen (»Gottesbilder«) und die Begründungen ihrer vielfachen Transformationen nachzuzeichnen. Es geht um (den einen) Gott in jüdischen, christlichen und muslimischen Deutungen. Thema ist das Verhältnis von Tenak (Tanach), Bibel und Koran bei der Rezeption der Gottesvorstellun-gen. Das Ergebnis kann keine systematisch angelegte Gotteslehre sein, sondern ist eine elementarisierende Wahrnehmung der textlichen Entstehungsgeschichten und ihrer Auslegungen, auch unter politischen und sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten. Zielgruppen sind Theologen und Religionswissenschaftler sowie alle an der theologischen Diskussion zu dieser Grundfrage Interessierten.

Die überwältigende Fülle des Materials verlangt Beschränkung, die transparent gehandhabt wird. Es bleibt dennoch Raum für Detailliertes, für religionsgeschichtliche Haupt- und auch Nebenlinien und immer wieder hermeneutische Reflexionen. Und zum Einstieg auf immerhin fast 50 Seiten ein in die zentralen Topoi des Epochenwandels seit der Nachkriegszeit gegliederter Zugang zur Gottesfrage »heute«. Die Hauptteile Kapitel II–V sind »Gott glauben« gewidmet, und zwar »im Judentum« (d. h. dessen Schriften), »im Neuen Testament«, »in der Zeit der alten Kirche und im Judentum« sowie »im Koran«.

Die Entwicklung des bildlosen Eingottglaubens, der lange Weg vom Polytheismus über Monolatrie zum Monotheismus nimmt viel Raum ein. Zur Gewaltfrage wird Jan Assmanns These gewogen und mit E. Zenger (etwas) zu leicht befunden (75). Im Blick auf die Bibelentwicklung wird eine Tendenz hin zur Gewaltkritik konstatiert. Mehr als ein halbes Dutzend Gottesnamen und weitere den Gottesglauben erschließenden biblischen Begriffe werden erläutert, Voraussetzungen des trinitarischen Glaubens werden in einem Exkurs zum »Geist Gottes« knapp aufgezeigt (»Wege zur triadischen Heilsökonomie«, 175 ff.), ebenso »Mittlergestalten« im Frühjudentum diskutiert (Priester, Propheten, Engel, Menschensohn, Weisheit). Die Rede von der »Menschwerdung Gottes« war eine pointierte Abwehr häretischer Überzeugungen (Ignatius), deren Wandlung zu einer allgemeinen »dogmatischen Wahrheit« mindestens problematisch ist (Vorgrimler: »Häresie«, 277). JHWH hat sich auch vor Jesus in geschichtlichen konkreten Menschen offenbart.

»Das Neue Testament als Midrasch« im Sinne von Aktualisierung, in der hermeneutischen Grundhaltung, das Wort Gottes lebendig zu erhalten, ist programmatisch (418 ff.). Alle Traditionsblöcke des Neuen Testaments werden durchgegangen; der Exkurs zum Glauben »an die Erlösung im Kreuz Jesu Christi« stellt klar, dass das Neue Testament Christus nie als »Erlöser« tituliert (aber als »Retter«) und die kultische Metapher vom Sühnopfer nur eine, wenn auch die am intensivsten rezipierte Deutung des Kreuzes-todes war (381 ff.). Das – kürzere – vorletzte der Hauptkapitel (Kap. IV) fällt etwas aus dem Rahmen, es deutet zum einen den geschichtlichen Weg zwischen Bibel und Koran in den religionsgeschichtlichen Hauptströmungen an und ist zum andern der Ort, um »das hermeneutische Grundproblem« zu beleuchten: Wurde in der Alten Kirche das biblische Gottesbild hellenisiert oder fanden die Konzilien (nur) neue Begriffe für in der Bibel Bezeugtes? Bis heute ungelöst, wurde die Frage von Hans Küng vor rund 50 Jahren neu aufgerollt. Der Vf. bleibt abwägend, wobei er der Wirkung Küngs bewusst Raum gibt.

Der Koran ist kein Midrasch zur Bibel, er schließt vielmehr nach seinem Verständnis die Offenbarung in endgültiger Weise ab (423). Die durch den historischen und erfahrungsgeschichtlichen Ansatz des Vf.s besonders zutage tretenden »deutliche[n] Unterschiede« können »hermeneutisch nicht hoch genug gewertet werden, werden aber oft ausgeblendet, als könne man ungeschichtlich die beiden Bücher vergleichen« (467). Mit Seitenblick auf christliche »konservative Kreise« bringt der Abschnitt »Bibel und Koran im Vergleich« wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Buchwerdung und (westliche) Ansätze ihrer Betrachtung zur Sprache. Der Vf. würdigt die verschiedenen historisch-kritischen Bemühungen zur Koranauslegung, auch das »besonders ambitioniert« erscheinende Projekt des Korankommentars von M. Khorchide, das neuere historische und literarische Analysen mit der islamischen Kommentartradition verbinden will. Dass hier weniger exegetisch, sondern mit systematischem Interesse auf der Basis moderner Ansätze zur Selbstoffenbarung Gottes gearbeitet wird, verdient laut Vf. Sympathie und Unterstützung, muss sich jedoch im islamischen Kontext, wo die Offenbarung weitestgehend gerade nicht geschichtlich expliziert und noch weniger von der Selbstoffenbarung Gottes gesprochen wird, erst noch etablieren und bewähren. Dieser kritische Blick auf die moderne (westliche) islamische Koranauslegung, der deren Legitimität keineswegs infrage stellt, nichtsdestotrotz die Begründungsfähigkeit in und mit der breiten islamischen Tradition mit Recht anfragt, wird an verschiedenen Stellen vertieft. So z. B. zur Nähe/Gegenwart Gottes (540 f.), zum Barmherzigkeitsbegriff (Basmala, Gerichtskontext; 563 ff.), oder zum Thema Gewalt und Krieg (501 ff.). Was oben zur Tendenz zur Gewaltkritik in der Bibel erwähnt wurde, läuft im Koran entstehungsgeschichtlich gerade umgekehrt hin zu ver-stärkter Gewaltlegitimation, womit es »der Islam hermeneutisch weit schwieriger« hat und der Antwort auf die Frage nach dem innerkoranischen »kanonischen« Prozess harrt (507 f.).

Dass die eingangs angedeuteten hermeneutischen Prämissen auf die weltweit dominierenden Islamauslegungen nicht passen bzw. in deren Kontext nicht rezipiert werden, wird also thematisiert (zusammenfassend Kap. VI »Zur Rezeption von Bildern Gottes in heiligen Schriften«). Allerdings erleichtert es der methodische Ansatz des Buches, unter dem Eindruck einer (Über-)Fülle von mehr oder weniger disparaten Traditionen – ein »kohärenter Entwurf« wird nicht verfolgt – auch Differenzen dieser Tragweite nebeneinander als Elemente des prozesshaften Offenbarungsverständnisses zu sehen, dessen wir in den heiligen Schriften als »vielfältige Wege der Suche nach Gott« ansichtig werden (635). Monotheistisch Glaubende zielen in Glauben und Gebeten auf dieselbe eine Wirklichkeit, Gott, die »Interpretationen, selbst dogmatischer Art, sind relativ« (Exkurs, 601). Darunter fällt auch die Trinitätslehre, die in dem hellenistisch-philosophischen »Sprachhaus« besteht, in dem wir nicht mehr beheimatet sind (605 f.).

Um schließlich gemeinsame »Wege zu dem einen einzigen Gott« (so Kap. VII) zu finden, sind eine historisch-kritische Auslegung und der Verzicht auf politische und militärische Macht notwendig. Schlussendlich hat »der Islam […] den Prozess, den die christlichen Kirchen […] durchlaufen bzw. durchlitten haben, noch vor sich« (607). Es sind diese Hinführungen, um nicht zu sagen Engführungen, die nach Meinung des Rezensenten Grenzen des Gesamtvorhabens aufzeigen. Die Eingebundenheit auch solcher Zielvorstellungen in die eigene Erfahrungs- und Deutungswelt ist wohl bewusst, sie wäre auch im Umgang mit dem eigenen – historisch differenzierten, prozesshaften – Offenbarungsverständnis im Verhältnis zu anderen – noch nicht so entwickelten? – Verständnissen zu markieren. Alle rationalen Argumente mögen für das eine sprechen, dennoch tritt der Dialog, will er nicht in Schieflage geraten, gleichsam noch einen Schritt zurück, um auch diese Vor-aussetzungen zu befragen.

Das Buch ist nicht leicht zu lesen, es lehrt Ehrfurcht vor der immensen Leistung, mit transparenten wissenschaftlichen Mitteln gleichsam ein gemeinsames Flussbett für die breiten und weitverzweigten Religionsströme beschrieben zu haben. Unschärfen in der Darstellung, auch gelegentliche Fehler, können da gut nachgesehen werden (das zweiseitige Register hat allerdings kaum optischen Wert). In diesem Sinne sei die Lektüre wärmstens empfohlen.