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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

133-134

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Klein, Rebekka A. [Hg.]

Titel/Untertitel:

Gemeinsam Christsein. Potenziale und Ressourcen einer Theologie der Ökumene für das 21. Jahrhundert.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. VIII, 289 S. = Dogmatik in der Moderne, 34. Kart. EUR 74,00. ISBN 9783161596124.

Dieser Sammelband beinhaltet die Beiträge einer akademischen Tagung, die im Oktober 2018 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum anlässlich der Wiedereröffnung des dortigen Ökumenischen Instituts stattfand. Geleitet wurde diese Tagung von Rebekka Klein, die dorthin als Professorin für Dogmatik und Ökumene berufen wurde und die den Tagungsband sorgfältig herausgegeben hat. Ihr Beitrag »Versöhnte Vielfalt. Die Einheit der Kirchen und ihre Vorbildfunktion für Europa« beinhaltet ihre Probevorlesung an der Universität Bochum.

Während der Titel »Gemeinsam Christsein« fast etwas traditionell und harmlos klingt, ist der Inhalt der Beiträge höchsten Standards akademischer Diskussion verpflichtet: Viele der Autoren arbeiten sich an Konzepten anerkannter Autoritäten ab und setzen sich kritisch damit auseinander (etwa Ulrich Körtner mit Herms, Rebekka Klein mit Nietzsche, Harnack und Tillich sowie Becker und Feldmeier, Risto Saarinen mit Taylor, Honneth und Ricœur u. a. m.). Neben der Einleitung der Herausgeberin und einem Überblicksartikel zum Thema »Ökumene im 21. Jahrhundert« ist der Band in vier Abschnitte gegliedert: I. Trends der Ökumene im 21. Jh., II. Soziale und politische Horizonte einer Erneuerung der Ökumene, III. Postkoloniale und globale Herausforderungen der Ökumene und IV. Überschreitungen der ökumenischen Theologie. Leitmotiv für die Gliederung sind die beiden Aspekte Potenziale und Ressourcen der Ökumene, wie sie auch im neugestalteten Logo des Ökumenischen Instituts in Bochum zum Ausdruck kommen (vgl. 3 f.).

Das Buch enthält Beiträge von bekannten Vertretern der ökumenischen Theologie aus verschiedenen Konfessionen: Rebekka Klein, Ulrich Körtner, Wolfgang Thönissen, Annamarie Mayer, Stefan Dienstbeck, Dorothea Sattler, Markus Mühling, Risto Saarinen, André Munzinger, Claudia Jahnel, Perry Schmidt-Leukel und Marianne Moyaert. Am Schluss dieses Sammelbandes meldet sich der Islamologe (nicht »Islamwissenschaftler«, wie er betont) Bassam Tibi zu Wort, um aus der Perspektive einer anderen Religion für eine grundlegende »Reformation« des Islam (274) im Sinne von Aufklärung und Bejahung der säkularen Gesellschaft einzutreten. Tibi warnt davor, im Dialog mit dem Islam Wunschdenken zu unterliegen und »die islamische Doktrin der Überlegenheit über andere« (273) in ihrem Gefahrenpotenzial zu unterschätzen. Doch weist dies über das Tagungsthema hinaus, welches sich mit der innerchristlichen Ökumene beschäftigt.

Es kann in dieser Buchbesprechung nicht darum gehen, den Inhalt aller Beiträge zusammenzufassen (dies wird in der Einleitung der Herausgeberin geleistet, vgl. 6–14). Stattdessen möchte ich mich hier mit einzelnen Texten etwas näher beschäftigen (wobei die Auswahl subjektiv ist und – wie könnte es anders sein? – den Interessen der Rezensentin entspricht).

Stefan Dienstbeck stellt in seinem Artikel »Verletzlichkeit als Chance« ein neuartiges ökumenisches Paradigma vor, das sich jenseits von Konsens- und Differenzökumene bewegt: Die Gesprächspartner sollen sich nicht auf die Suche nach Konvergenzen beschränken, sondern bewusst ihre jeweiligen »Schwachstellen« thematisieren (90), d. h. »Unschärfen« in ihren theologischen Systemen (89). Der Dialog hierüber sei besonders fruchtbar, »weil uneindeutige Stellen nicht übersystematisiert sind, d. h. sie stehen noch offen oder werden bewusst offengehalten für Interpretationsspielräume. Ist dies bereits interessant und ökumenisch fruchtbar, wenn nur auf einer Seite Ungenauigkeiten ausgemacht werden, so lässt sich die ökumenische Arbeit, sofern sie vertrauensvoll erfolgen kann, noch deutlich attraktiver gestalten, wenn auf beiden Seiten die uneindeutigen Systemmomente klar benannt werden. Dazu bedarf es allererst eines Bewusstseins der eigenen Systemschwachstellen und daraufhin des Muts, diese intern zu klären und sie auch als solche dem Dialogpartner zu offenbaren.« (Ebd.) Zwar bin ich nicht der Ansicht, dass es notwendigerweise eine »Schwäche« ist, wenn dogmatische Topoi nicht abschließend geklärt sind, sondern offen bleiben – jedoch ist es ein wichtiges Anliegen, ökumenische Dialoge statt als Abgleich theologischer Richtigkeiten als genuinen Lernprozess zu gestalten, der auch die Veränderung eigener Positionen mit einschließt.

Dorothea Sattler durchbricht die Gepflogenheiten des akademischen Diskurses, indem sie für ihren Beitrag »einen Sprachstil gewählt [hat], der den Anliegen der Geistlichen Ökumene entspricht« (94) und mit einem persönlichen Bekenntnis beginnt (93). Sie weist auf, welche Bedeutung der geistliche Ökumenismus für die Einheit der Kirche hat, auch wenn dies von der katholischen Kirche nur zögerlich anerkannt worden ist (96–103). »Die Versammlung der Christen zum liturgisch gestalteten Lobpreis Gottes durchbricht die oft geschäftig wirkende menschliche Anstrengung, durch theologische Studien oder diakonische Handlungen dem Ziel der Einheit der Kirche näher zu kommen.« (103) So bedeutsam es ist, Spiritualität im ökumenischen Dialog zu stärken, sollten dabei die drei Grunddimensionen von Kirche –martyria, leiturgia und diakonia – nicht gegeneinander ausgespielt werden: Im diesem Sinne sind »diakonische Handlungen« ebenso wenig als »menschliche Anstrengung« zu betrachten, wie das Gebet – und beides kann »geschäftig« wirken (eine Gefahr, die zu vermeiden ist).

Der bekannte Religionstheologe Perry Schmidt-Leukel macht in seinem Beitrag des Konzept der Fraktale von Benoît Mandelbrot für die Ökumene fruchtbar, indem er aufzeigt, dass es Strukturanalogien sowohl zwischen verschiedenen Religionen, als auch zwischen verschiedenen Konfessionen, ebenso wie innerhalb der jeweiligen Konfessionen und der Spiritualität von einzelnen Gläubigen gibt. Auf diese Weise werden die interreligiöse, interkonfessionelle, intrakonfessionelle und individuelle Ebene miteinander verschränkt, wobei das Charakteristikum der Fraktale (nämlich die »Selbstreplikation über verschiedene Skalen hinweg«, 229) sichtbar wird.

Marianne Moyaert schließlich plädiert in ihrem Beitrag »Komparative Theologie zwischen Text und Ritual« für eine Neuausrichtung der Komparativen Theologie: weg von der einseitigen Fokussierung auf die Interpretation von Texten (und damit der impliziten Privilegierung von Schriftreligionen) hin zu einer ganzheitlichen Einbeziehung von gelebter Praxis und der materiellen Dimension (ritual turn, 261). Gleichzeitig macht sie in differenzierter Weise auf die Herausforderungen hermeneutischer, methodologischer, ethischer und theologischer Art aufmerksam, die mit der Einlösung dieser Forderung verbunden sind (261–264). Manche dieser Probleme erscheinen freilich lösbar – etwa die Sorge in Bezug auf die Teilnahme an Vollzügen anderer Traditionen, »ob es nicht ein Zeichen mangelnder Authentizität ist, das zu tun, was andere tun, ohne deren rituale Absichten zu teilen.« (263). Schließlich ist es durchaus möglich, an Ritualen teilzunehmen, ohne sie mitzuvollziehen – hier empfiehlt sich die im interreligiösen Begegnungslernen bewährte Vorgehensweise desrespectful observers. Als weitere Schwierigkeit wird benannt, dass manche Rituale nicht öffentlich zugänglich sind, da sie im häuslichen Bereich durchgeführt werden – sie gehörten dann »nicht zu den essenziellen Aspekten der jeweiligen religiösen Tradition« (262). Dem ist etwa im Hinblick auf das Judentum dezidiert zu widersprechen, wo der häusliche Tisch »wie der Altar im Tempel« geheiligt werden soll und zentrale Vollzüge (etwa der Seder-Abend am Beginn des Passah-Festes) innerhalb der Familie gefeiert werden.

Trotz solcher möglichen Einwände handelt es sich hier wie im ge­samten Band um wertvolle Anregungen für eine »Theologie der Ökumene für das 21. Jahrhundert« (wie es der Untertitel verspricht).