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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

115-117

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Seidel, Thomas A., u. Sebastian Kleinschmidt [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Im Anfang war das Wort. Sprache, Politik, Religion.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 224 S. = GEORGIANA. Neue theologische Perspektiven, 7. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783374070107.

Rezensent:

Jantine Nierop

Das Buch »Im Anfang war das Wort. Sprache, Politik, Religion« erschien als siebter Band in der Reihe »Georgiana. Neue theologische Perspektiven«, die von Thomas A. Seidel und Sebastian Klein- schmidt im Auftrag der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden herausgegeben wird. Absicht der Reihe sei es, »reformatorische Wege zur Erneuerung unserer Kirche zu suchen«. Am Ende des Buchs ist eine kurze geschichtliche Einführung in die Bruderschaft aufgenommen. Voran gehen neun Beiträge, die allesamt auf dem LIX. Konvent der Bruderschaft im Oktober 2020 vorgetragen wurden. Laut Vorwort der Herausgeber richten sie sich gegen einen »geschichtslosen, unreflektierten Umgang mit Sprache«. In der Tat bildet das Thema Sprache den innersten Kern dieses Bandes. In drei Anläufen wird es aus verschiedenen Blickwinkeln erkundet: einmal politisch, einmal poetisch und einmal theologisch, wobei die Grenzen zwischen den Teilen fließend sind.

Der erste (und weitaus längste) Teil des Buches steht unter der Überschrift »Sprache – Macht – Politik« und enthält Beiträge von Annette Weidhas, Klaus-Rüdiger Mai und René Nehring. Weidhas setzt sich in ihrem Artikel »Das Virus der Identitätspolitik. Die Gendersprache als Signum eines neuen Irrationalismus« mit der sogenannten »Gendersprache« auseinander. Nach Weidhas ist die Förderung gendergerechter Sprache Teil eines identitätspolitischen Programms, das sie scharf kritisiert: »Die Identität von Christen wird durch Jesus Christus bestimmt, sofern wir ihm im Glauben unser Herz öffnen. Das ist kein Kitsch, sondern der durchaus todernste, weil todüberwindende Kern evangelischer Theologie.« (16) Weidhas unterscheidet weiterhin zwischen biologischem und grammatikalischem Geschlecht und plädiert im Zuge dessen für die Verwendung des generischen Maskulinums, das sie in Nachfolge des Musikers und Germanisten Fabian Payr das »in- klusive Maskulinum« nennt. Von Payr zitiert sie auch den Satz »Würde haben wir nicht als Mann oder Frau, sondern als Mensch.« (20) Hier wäre eine Auseinandersetzung mit Karl Barths Geschlechterlehre interessant gewesen, die das Gegenteil zu behaupten scheint, nämlich »dass wir nicht Mensch sagen können, ohne entweder Mann oder Frau und ohne zugleich Mann und Frau sagen zu müssen. Der Mensch existiert in dieser Differenzierung, in dieser Zweiheit. Man bemerke sofort: sie ist die einzige strukturelle Differenzierung, in der er existiert […] Es gibt […] keinen Menschen an sich«. (KD III/2, Zürich 1948, 344, 345) Demnach wären die Doppelnennung bzw. das Binnen-I ebenfalls rationale Möglichkeiten geschlechtergerechter Sprache – nicht aber die Verwendung des sogenannten »Gendersterns«, der die Idee »selbstbestimmter Geschlechtlichkeit« sprachlich abbildet. Erhellend sind Weidhas’ Abschnitte über die philosophischen Hintergründe der queertheoretischen Annahme, »dass etwas so Grundlegendes wie das Geschlecht nicht biologisch festgelegt sei, sondern dass es auch diesbezüglich die Möglichkeit der freien Wahl geben könne« (42). Die Wurzeln der Queertheorie im Poststrukturalismus, Radikalen Konstruktivismus und Dekonstruktivismus werden aufgedeckt und anschließend problematisiert. Das Konglomerat dieser Denkbewegungen, auch bekannt unter dem Namen »French Theory«, führt nach Weidhas unweigerlich in einen radikalen Nominalismus, der Allgemeinbegriffe lediglich noch als Konstruktionen ohne Realitätsbezug versteht und nach Max Scheler »das beste ›Sprengmittel‹ etablierter Kultur« (51) darstellt. Unter der Überschrift »Theologische Folgerungen« kritisiert Weidhas zum Schluss die »dezidiert antichristliche Stoßrichtung der identitären Ideologie« (60). Die Entmaterialisierung des Menschen durch die Bestreitung seines Geschlechts als natürliche Gegebenheit sei eine Art neognostische (bzw. neuplatonistische) Vorstellung, der Kirche und Theologie deutlich widersprechen sollen.

Die zweite Hälfte des Bandes enthält die beiden weiteren Teile. Zuerst folgt »Sprache – Religion – Politik«. Hier sind Beiträge von Michael Daishiro Nakajima und Senthuran Varatharajah aufgenommen. In »Denn ich bin Schrift, du bist Wunde. Die Sprachen kreuzen sich« schreibt Varatharajah über die »Poetik lyrischen Brechens« (124). Er beruft sich dabei auf den Philosophen und Literaturtheoretiker Maurice Blanchot (1907–2003) (leider ohne Literaturangabe). Während dieser Prosa als eine »kontinuierliche Linie« beschrieben hat, stellte Lyrik für ihn eine »unterbrochene Linie« dar. »Der Vers bricht – einen Satz« (124), erläutert Varatharajah. Der Bruch des Verses sei eine »Frage des dramatischen Kalküls, die den Sinn betrifft, ihn trifft, bis er ein anderer geworden ist.« (124) Das lyrische Brechen der Sprache bedingt ihre Zärtlichkeit. Varatharajah versteht die Verse der Bibel als eine ebensolche poetische Sprache – auch wenn sie keine Verse im formalen Sinn sind. Das hat (große) Konsequenzen für ihr Verstehen.

Der dritte Teil des Bandes trägt den Titel »Im Anfang war das Wort«. Hier haben Harald Seubert, Jobst Landgrebe und Christoph Meyns Aufsätze beigesteuert. Während Jobst Landgrebe in »Cur homo sapiens non deus. Warum Maschinen niemals sprechen werden« die menschliche Sprache einleuchtend als eine motosensorische Fähigkeit beschreibt, die in neurobiologischer Hinsicht längst nicht vollständig entschlüsselt ist, erkundet Meyns in »Im Anfang war das Wort. Das Wort Gottes in der Spannung zwischen dem Auftrag der Kirche und der Dynamik des öffentlichen Raumes« die Chancen und Grenzen medialer Kommunikation christlicher Inhalte. Am Ende wagt er folgende These: »Die Relation von Wort und Glaube in der von mir beschriebenen komplexen Vielfalt kommunikativer Ebenen ist und bleibt der zentrale Vollzug des kirchlichen Lebens. Mediale Kommunikation kann, wenn sie intelligent genutzt wird, diesen Vollzug unterstützend ergänzen. Aber sie kann ihn nicht ersetzen.« (196) Nichts gehe über die direkte Kommunikation »von Mensch zu Mensch« (196). Diese Einsicht bildet den Schluss eines vielfältigen Bandes, der durch Originalität, Weitblick und kritische Nachdenklichkeit besticht.