Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

100-101

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Eming, Jutta, u. Daniela Fuhrmann [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Der Teufel und seine poietische Macht in literarischen Texten vom Mittelalter zur Moderne.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. VIII, 213 S. m. Abb. Geb. EUR 69,95. ISBN 9783110667172.

Rezensent:

Julia Gold

Angenommen, Sie wollten einen Steckbrief des Teufels erstellen, wie würde dieser aussehen? Welche Eigenschaften und Fähigkeiten würden Sie dem Teufel zuschreiben? – Es ist ein anregendes Gedankenspiel, mit dem die Herausgeberinnen in das Thema des anzuzeigenden Bandes einführen: die historische Variabilität des Teufels, die nicht nur synchron, sondern auch diachron durchaus unterschiedlich bewertet werden kann.

Weil der Teufel eine historisch gebundene Figur ist, verändert er sich auf Produktions- wie auf Rezeptionsebene. Gleichzeitig ist ihm seine Wandelbarkeit seit jeher als wesensinhärent eingeschrieben; er ist schillernd und ungreifbar. Doch gerade deswegen lohnt es, die ihm zugeschriebenen Eigenschaften genauer zu erfassen. Ausgehend von der Beobachtung, dass dabei forschungsgeschichtlich meist von einer grundsätzlich negativ konnotierten Teufelsfigur ausgegangen wird, unternimmt es der auf die Vormoderne fokussierte Band, den Teufel gerade aus der Gegenperspektive, von seiner positiven und produktiven Seite aus, zu betrachten. Konkret bedeutet das für die Herausgeberinnen, den Teufel zu entdämonisieren und sein schöpferisches Potential auszuloten. Seine Produktivität sehen sie aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vor allem in Hinblick auf die ästhetische Form und Sinnstiftung literarischer Texte gegeben (2). Mit dieser Perspektivierung werde einer kritischen Auseinandersetzung mit der »etablierte[n], primär theologisch-moralische[n] Lesart dieser paradigmatischen Figur« (Klappentext; ähnlich 2) zugearbeitet. Der gewählte Terminus, der dieses produktive Potential beschreibt, ist »Poiesis«, ein Wort, das seit der Antike das Erzeugen, vor allem von Dichtung, meint.

Die neun im Band versammelten Einzelstudien treten den Beweis für die Hypothese dieser »poietischen Macht« des Teufels an. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Beiträgen, die sich (spät-)mittelalterlichen Texten und Genres widmen: der (höfischen) Legende, der Heldenepik und dem Geistlichen Spiel. Ausgeweitet wird der Blick durch Beiträge, die den frühneuhochdeutschen Prosaroman und Barockroman fokussieren, sowie durch eine exemplarische Studie, die den Schritt hin zum Roman des französischen Realismus wagt. Alle Beiträge wollen die »literarische Einbildungskraft« illustrieren, die nicht nur »anspruchsvolle Erzeugnisse« hervorbringt, sondern den Teufel auch als kulturelles Konstrukt sichtbar macht, wobei ihm ein »kulturevolutionäres Potential« (2) eignet.

Den Band beschließt ein kurzes »Autoren- und Werkregister«, das zwar durchaus hilfreich ist, das aufgrund des überschauba- ren Buchumfangs freilich nicht unbedingt notwendig gewesen wäre.

Ausgehend von den Einzelanalysen sehen Jutta Eming und Daniela Fuhrmann sechs verschiedene Felder teuflischen poietischen Potentials: 1. Wissen, 2. Individuation, 3. Denken in Alternativen, 4. (Un)Eindeutigkeiten, 5. Dynamik und 6. Artistik/Virtuosität (12–19). Diese nachträgliche Bündelung und Differenzierung ist zutreffend und erhellend. Wenngleich der Vorgehensweise geschuldet, hätte man sich freilich doch gewünscht, dass die Beiträge selbst mehr auf diese Terminologie eingehen, denn das Spektrum der produktiven Funktionalisierungen des Teufels ist breit: Er wird zum Vehikel narrativer Ausgestaltung von Heiligkeitsentwürfen (Nowakowski), befördert durch seine Dialoge die Variabilität des Erzählens (Müller), legt den Finger in die Wunden gestörter »Handlungs- und Figurenkonstellation[en]« (Tschachtli, 71) und besitzt damit nicht zuletzt Kommentarfunktion; er ist poetologische Figur, die eine »religiös perspektivierte Auseinandersetzung mit […] heldenepischen Topoi« (Traulsen, 87) ermöglicht; er legt theatral offen, wie er situativ und ästhetisch wirkt – und das in Dauerschleife, wenn er von Aufführung zu Aufführung immer wieder neu auf der Bühne ersteht (Eming).

In der Frühen Neuzeit ist es gerade der Teufel, der Kern der Debatte um menschliche Handlungsfähigkeit und göttliche Vorherbestimmtheit, göttliche Abwesenheit und menschliche Eigenverantwortlichkeit ist (Wei); er ist Signum einer zentralen Neujustierung der Gesellschaft, die an Ökonomie und Kurzweil orientiert ist (Fuhrmann), wobei auch der Mensch dem Menschen ein Teufel sein kann. Die Vorstellung vom menschlichen Teufel, »die Gedankenfigur der teuflischen Wechselseitigkeit der Menschen«, wird im Barock zentral, wenn damit ein »staatliche[s] und göttliche[s] Rechtsverständnis[]« diskutiert wird, das mithin auch auf eigene textuelle Verfahrensweisen hin lesbar ist (Bergen- gruen, 191). In der Moderne schließlich ist die Teufelsfigur nicht nur Ausweis »unerschöpfliche[r] Einbildungskraft« (Brittnacher, 208) und innermenschlicher Konflikte, sondern sie wird auch eingesetzt, um die Illusionsmacht vergangener Bilder (im Medium der Schrift) zu verdeutlichen. Es ist eine »bizarre[] Bilderwelt«, die mit »synästhetische[r] Intensivierung« arbeitet (205), oder positiv gewendet: Der Teufel ermöglicht eine »ästhetische Apotheose« (208).

Die Fallstudien zeigen, wie die Texte den oder die Teufel geschickt narrativ einbinden, um einerseits unterschiedliche Semantisierungen der diabolischen Figur durchzuspielen, andererseits seine Funktion für und im narrative(n) Gefüge, bestehend aus Handlung und Figur, Zeit und Raum, variabel zu gestalten. Insofern liegt die positiv gedachte Produktivität des Teufels auf der Hand; der »alte Feind« des Menschen ist in seiner Widerständigkeit und Wandelbarkeit geradezu prädestiniert dafür, produktiv zu wirken – und dies sowohl auf der Ebene der histoire wie auf der Ebene des discours. Dabei reagiert er nicht nur auf anthropologische, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Lesarten des menschlichen Seins, er macht sie überhaupt erst als solche wahrnehmbar.

Ausweiten ließen sich die Überlegungen des Bandes vor allem auf Gattungen, die sich in thematischer Hinsicht geradezu aufdrängen: Traktatliteratur und Predigten, aber auch versnovellistische Texte, um nur einige zu nennen. Dem Wunsch der Her-ausgeberinnen, »mit exemplarischen Lektüren zur erweiterten Perspektive hinsichtlich der literatur- und kulturgeschichtlichen Deutung des Teufels anregen« (11) zu wollen, ist ausdrücklich beizupflichten, zumal der nicht nur für Literaturwissenschaftler, sondern für alle (kultur-)historisch arbeitenden Disziplinen inspirierende Band zeigt, welch großes Feld es nach wie vor zu bestellen gilt.