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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

87-88

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Blumenberg, Hans u. Hans Jonas

Titel/Untertitel:

Briefwechsel 1954–1978 und weitere Materialien. Hg. v. H. Bajohr.

Verlag:

Berlin: Suhrkamp 2022. 350 S. EUR 36,00. ISBN 9783518587775.

Rezensent:

Michael Hackl

Hans Blumenberg und Hans Jonas lernten sich 1953 auf dem XI. Internationalen Kongress für Philosophie in Brüssel kennen (17.192), die briefliche Korrespondenz setzt wenige Monate später ein und erstreckt sich über zweieinhalb Jahrzehnte (1954–1978). Der Briefwechsel endet etwas unvermittelt, er endet aber nicht in Folge eines fachlichen Disputs, vielmehr zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass es trotz des jahrzehntelangen Austauschs nicht gelungen ist, philosophisch ins Gespräch zu kommen.

Mit dem abgedruckten Briefwechsel wird der Veröffentlichung der Korrespondenz in der Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas zwar vorausgegriffen (vgl. 10), da sich die Edition scheinbar weiter verzögert, ist das jetzige Erscheinen und die Zusammenarbeit mit den Herausgebern des entsprechenden Bandes der Gesamtausgabe sehr erfreulich.

Der vorliegende Band versammelt 59 Briefe und Postkarten (15–195) aus dem Nachlass von Blumenberg in Marburg und dem Konstanzer Nachlass von Jonas. Neben deren Korrespondenz umfasst der Band auch den Briefwechsel zwischen Blumenberg und Jonas’ Frau Lore. Der Kontakt zwischen Lore Jonas und Blumenberg betrifft Persönliches, Danksagungen, aber auch die Arbeit an einer Festschrift zum Geburtstag ihres Mannes (135.153–157.161.168.195). Zwar weist der Briefwechsel zwischen Jonas und Blumenberg größere zeitliche Lücken auf, dennoch ist die Korrespondenz so weit vollständig, nur wenige Schreiben gelten als verschollen (9). Neben dem Briefwechsel sind dem Band weiterführende Materialien (18 Schriftstücke) beigegeben (197–283), davon sind 16 Schriftstücke von Blumenberg und zwei von Jonas, von Ersterem waren bislang neun und von Letzterem nur eines nicht publiziert.

Blumenbergs Wertschätzung gegenüber Jonas wird schon in den ersten Briefen deutlich. Bereits 1954 bemühte sich er darum (16.44 f.48 f.), Jonas für die vakante Philosophieprofessur in Kiel zu gewinnen. Durch die Berufung erhoffte er sich, Jonas, der vor den Nazis geflohen war und Deutschland 1933 verlassen hatte, wieder »in den Stromkreis des deutschen Geisteslebens […] eingeschaltet« (44) zu sehen. Doch Jonas, der kurze Zeit später die Nachfolge von Karl Löwith an der New Yorker New School for Social Research antrat (20), reagierte auf die Anfragen zurückhaltend und lehnte etwas später die Nachfolge von Ludwig Landgrebe, Blumenbergs Doktorvater, mit einem Schreiben an den Kieler Philosophieprofessor Walter Bröcker (209 f.) ab. Jonas’ zögerliche, aber deutliche Absage hat Blumenberg, wie er in seinem letzten Brief an Jonas schreibt, »nur schwer verwunden« (192). Von der Absage war er »sehr betroffen«, zudem kam es daraufhin zwischen ihm und Bröcker zum Zerwürfnis; in dessen Folge wurde Blumenberg sogar auf eine andere Stelle versetzt (51–53, 60). Trotz Jonas’ abwartender Haltung suchte Blumenberg den Kontakt mit ihm und bemühte sich weiter darum, ihn in die deutsche Wissenschaftslandschaft einzubinden – sei es durch Einladungen zu Gastvorträgen (77 f.104 f.108), die Unterstützung von Publikationsvorhaben (23, 46, 143, 300) oder dem Hinweis auf eine zu besetzende Professur (97). Die Unterstützung nahm Jonas meist gerne an, nichtsdestotrotz hat er für Blumenberg wichtige Einladungen – was in Blumenbergs Umfeld für große Irritation sorgte – auch ausgeschlagen (139, vgl. 304 f.).

Bemerkenswerterweise weckten Jonas’ briefliche Ausführungen, z. B. zum Verhältnis von Natürlichem und Künstlichem (25) oder zur Allmacht Gottes (130 f.), Blumenbergs Interesse nur bedingt. Dabei betonte dieser stets die Bedeutung von Jonas’ Arbeiten, so ermunterte er ihn schon 1955, eine deutsche Fassung seines Buchprojekts »Organism and Freedom« zu publizieren (23). Obwohl Blumenberg in seiner Habilitationsschrift Jonas’ »methodische[] Prinzipien« anwendete (29), griff er dieses Thema im Briefwechsel nur am Rande auf. Lediglich auf Jonas’ Kritik an einer Formulierung aus seinem »Kopernikus-Buch« nahm er ausführlicher Bezug (171.176). Auffallend ist, dass auch Jonas, trotz mancher Respektsbekundung (94.171), wenig um den Dialog bemüht war (141.150).

Dass Blumenberg sich ausführlich mit Jonas’ Werk beschäftigte, das belegt seine im Sommersemester 1976 in Münster gehaltene Vorlesung »Das Werk von Hans Jonas« (169 f., vgl. 174 f.). Dennoch stand er manchen Überlegungen kritisch gegenüber, z. B. hielt er Jonas’ »abenteuernden Gott« für äußerst fragwürdig (249). Derlei Kritik findet sich aber nur in den dem Band beigegebenen Texten, im Briefwechsel fehlt sie. In diesem beschränkte er sich darauf, Jonas hinsichtlich dieser Thematik wissen zu lassen, dass er gerne mehr über seine Korrespondenz mit Rudolf Bultmann erfahren würde (110). Philosophische Kritik ist im Briefwechsel kaum Thema. Nach einer zweijährigen Pause bricht der Briefwechsel 1978 mit einem Brief von Blumenberg ab. Dabei hätte es ausreichend Gesprächsstoff zwischen den beiden gegeben, u. a. Blumenbergs Kritik an Das Prinzip Verantwortung, von der wir erst aus den Materialien erfahren (257–263.275–280). In wissenschaftlicher Hinsicht sind die beigegebenen Materialien gewiss von tieferer Bedeutung als der vorhandene Briefwechsel.

Dass der Briefwechsel stockte, dürfte demnach nicht daran gelegen haben, dass Jonas, wie seine Frau Lore Blumenberg wissen lässt, ein »Unschreiber« ist (89), sondern vielmehr an der fehlenden philosophischen Gesprächsebene. Dass die Themen für ein ausführliches Gespräch prinzipiell vorhanden gewesen wären, zumindest seitens Blumenberg, eröffnet der Blick in das zusätzliche Material. Auch wenn bei den Materialien auf die sachliche Erschließung verzichtet wurde, ist der Briefwechsel dank den Sachanmerkungen samt umfangreichen Personenbeschreibungen gut erschlossen. Der sorgfältig edierte Band umfasst überdies ein Namenregister sowie ein praktisches Verzeichnis der gedruckten Briefe und Materialien. Zudem liefert das Nachwort des Herausgebers (287–327) einen sehr schönen thematischen Überblick.