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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

74-75

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Markschies, Christoph

Titel/Untertitel:

Kirchenhistoriker als Herausgeber der »Theologischen Literaturzeitung«. Überlegungen zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft einer Rezensionszeitschrift.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 208 S. = Forum Theologische Literaturzeitung, 38. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783374067992.

Rezensent:

Thomas Bremer

Wäre der Neid nicht seit Beginn der Kirchengeschichte als ganz und gar unchristliche Empfindung verpönt, würde sich der Rezensent vielleicht in der Gefahr sehen, ihm zu verfallen. Er war viele Jahre Schriftleiter der »Theologischen Revue«, der katholischen Schwesterzeitschrift der »Theologischen Literaturzeitung«, welch letztere im Mittelpunkt des hier zu besprechenden Bändchens steht, und hätte natürlich selbst die Idee haben können, eine Geschichte theologischer und kirchenpolitischer Entwicklungen anhand einer (seiner) Rezensionszeitschrift und ihrer Herausgeber zu schreiben. Doch auf diese Idee ist Christoph Markschies, seit 2019 Herausgeber der »Literaturzeitung«, anlässlich der Übernahme dieses Amtes gekommen. Aus dem Festvortrag ist ein vortreffliches Büchlein geworden, das nicht nur von der wechselhaften Geschichte der ThLZ berichtet, sondern sie auch in den weiteren Kontext der evangelischen Theologie- und Kirchengeschichte einbettet und die Probleme des theologischen Rezensionswesens erörtert.

Der Band ist in drei ungleiche Teile gegliedert. Auf ein Vorwort und eine Einleitung folgen »Historische Informationen« (27–127). Gut ein Drittel der fast 150-jährigen Geschichte der ThLZ waren Kirchenhistoriker die Herausgeber (etwas länger Systematiker, etwas weniger lang Exegeten). Die geschichtliche Entwicklung der Zeitschrift unter ihnen wird akribisch und in sorgfältiger Auswertung aller verfügbaren Quellen nachgezeichnet, wobei notwendigerweise auch die Zeitumstände (Kaiserreich, Weimarer Republik, Zweiter Weltkrieg und DDR) berücksichtigt werden. Das Kapitel »Zur Programmatik der kirchenhistorischen Herausgeber« (128–170) diskutiert den vom Vf. als »nichtpositionale Positionalität« (38 u. ö.) bezeichneten Anspruch der Gründer der ThLZ, keine einzelne theologische Schule oder Richtung zu bevorzugen, sondern objektive Wissenschaftlichkeit als einziges Kriterium gelten zu lassen. Bald zeigte sich die Problematik der Verwirklichung dieses Anspruchs, was anhand verschiedener Fälle nachgezeichnet wird. In den »Schlussüberlegungen« (171–179) werden die wichtigsten Ergebnisse gebündelt und daraufhin befragt, was sie für die Zukunft der ThLZ beitragen können. Im Anhang werden vier Dokumente aus der Redaktionsarbeit abgedruckt, die in bewegten Zeiten, nämlich zwischen 1938 und 1947, entstanden sind.

Der Vf. stellt gleich zu Beginn die These auf, dass sich »aus den programmatischen Äußerungen insbesondere der Gründungsherausgeber […] auch für die Gegenwart und Zukunft dieser Zeitschrift Orientierung gewinnen« lasse (16). Das sei allerdings nur unter Berücksichtigung der Probleme möglich, mit denen frühere Herausgeber zu tun hatten. Das wichtigste im Buch behandelte Thema für die ThLZ (und für jede Rezensionszeitschrift), die Frage nach einer eigenen theologischen Position, wird ausführlich und überzeugend reflektiert – als Grundprinzip der Zeitschrift, aber auch als kaum je zu erfüllender Anspruch. Darüber hinaus wird auch die Frage nach der Einheit der Theologie aufgeworfen, die sich in einer solchen Zeitschrift, die notwendig allgemeineren und übergreifenden Charakter haben muss, besonders deutlich zeigt. Der vorliegende Bd. kann natürlich keine Theologiegeschichte sein, zeichnet aber wichtige Grundzüge einer solchen vor. Durch die Verknüpfung der Positionalitätsfrage mit dem Aufzeigen von Wegen in die Zukunft ist ein Buch von großer Aktualität entstanden.

Auch Anekdoten sind keine Theologiegeschichte. Es ist jedoch instruktiv, dass eine Geschichte wie die von den verschiedenen Treppen im Gebäude, die die Anhänger unterschiedlicher theologischer Richtungen in der 1940er-Jahren an der Berliner Fakultät benutzten, um einander zu vermeiden, dem Rezensenten auch über seine eigene Fakultät bekannt ist, wo sie sich (mit der üblichen katholischen Verzögerung) einige Jahre später zugetragen haben soll. Das ist allerdings wohl weniger eine ökumenische Annäherung als vielmehr ein Hinweis darauf, welche Prozesse theologischen Schulbildungen konfessionsübergreifend inhärent sind. Das spannende Bemühen um den Versuch, in solchen Situationen (positionale) Positionalität zu vermeiden und der objektiven Forschung den Vorzug zu geben, der wohl nie endgültig gelingen kann und doch immer wieder unternommen werden muss, ist in diesem Buch für die ThLZ, wie neidlos zuzugestehen ist, überzeugend nachgezeichnet.