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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

52-54

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Despotis, Athanasios

Titel/Untertitel:

Bekehrungserfahrung und Bekehrungserinnerung bei Paulus und Johannes.

Verlag:

Paderborn u. a.: Brill | Schöningh 2021. X, 577 S. m. 3 Tab. = Biblische Zeitschrift. Supplements, 2. Geb. EUR 109,00. ISBN 9783506704405.

Die umfängliche Studie von Athanasios Despotis widmet sich dem Vergleich der von Bekehrungserfahrung und Bekehrungserinnerung handelnden Texte der Paulusbriefe und des Corpus Johanneum. Dies geschieht unter Einbeziehung der kulturellen Diskurse über die religiöse und philosophische Bekehrung in der Zeit des Neuen Testaments. Ein weiteres Anliegen der Darstellung ist die Einbeziehung der frühchristlichen Wirkungsgeschichte, welche die analysierten Texte in Kommentaren der Kirchenväter entfaltet haben.

Im Einleitungskapitel (1–65) klärt D. Grundsatzfragen seines Themas. Zunächst wird der Forschungsstand zum Bekehrungsbegriff umrissen und die antike Bekehrungsterminologie beleuchtet, wobei neben der Septuaginta und dem Neuen Testament auch philosophische Werke der frühen Kaiserzeit Berücksichtigung finden. Zudem skizziert D. die Forschungsgeschichte zum kontrovers erörterten Problem, in welchem Verhältnis das Corpus Paulinum und das Corpus Johanneum zueinanderstehen. Die eigene Fragestellung lautet: »Wenn nun Paulus eine ›Bekehrungsreligion‹ reflektiert und er an wesentlichen Punkten mit Johannes vergleichbar ist, könnte dann auch bei Johannes Bekehrung als Erfahrung und/oder Erinnerung zu spüren sein?« (46) Um dies zu belegen, sollen durch Textanalysen jene Begriffe und Themen herausgearbeitet werden, die für die Beschreibung der paulinischen und johanneischen Bekehrungskonzepte von Bedeutung seien.

Ein erster Hauptteil (66–251) widmet sich dem Befund in den Paulusbriefen. Dabei werden sowohl autobiographische Aussagen des Paulus zur eigenen Bekehrung (Gal 1,11–23; 6,14–15; Phil 3,2–11) als auch Bezugnahmen des Apostels auf die Bekehrung seiner Adressaten (1Thess 1,9–10; 1Kor 14,24–25; 2Kor 3,14–4,6; 5,16–17) gesichtet. Zudem gilt das Augenmerk solchen paulinischen Textpassagen, die den Zusammenhang von Taufe, Geist und Sohnschaft in den Blick nehmen (1Kor 6,9–11; 12,12–13; Gal 3,23–29; Röm 6,3–11). Bei der Exegese liegt der Fokus auf der Semantik, der Kontext-analyse sowie der Ausleuchtung des traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrunds. Über den bisherigen Ertrag der bibelwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Texten führt D. im Wesentlichen dadurch hinaus, dass er Vergleichsmaterial aus philosophischen Schriften der Antike anführt und die patristische Rezeptionsgeschichte in die Darstellung einfließen lässt.

Danach wendet der Verfasser sich dem Corpus Johanneum zu (252–439). Hier gestaltet sich die Textauswahl schwieriger, da die klassische Umkehrterminologie (metanoia; epistrephē) fehlt. Dennoch sieht D. zahlreiche Passagen der johanneischen Schriften von der Erinnerung an die Erfahrung eines Perspektivenwechsels und tiefen biographischen Einschnitts geprägt, welche auch als Bekehrung bezeichnet werden dürfe. Konkret nimmt er Textabschnitte unter die Lupe, die von den Anfängen des christlichen Lebens und der Taufe (Joh 1,12–13; 3,1–12; 1Joh 5,6–8), dem Synagogenausschluss als Folge der Hinwendung zum Christusglauben (Joh 9,1–38) und der einschneidenden Begegnung mit Jesus (Joh 1,35–41; 4,4–42) handeln. Ergänzend werden in einem Exkurs die den Weg zum vollkommenen Glauben thematisierenden Erzählungen über Martha (Joh 11,21–27), Maria Magdalena (Joh 20,11–18) und Thomas (Joh 20,24–29) besprochen. Die Methodik der Auslegung ist die gleiche wie bei den Paulusbriefen. Die Frage nach der Verfasserschaft und dem historischen Ort der johanneischen Schriften wird bewusst ausgeklammert. Entscheidend ist für D., dass das Johannesevangelium und der erste Johannesbrief aus demselben theologischen Kreis stammen.

Das Schlusskapitel (440–464) widmet sich unter ausgewählten Gesichtspunkten dem Vergleich zwischen Paulus und Johannes aus bekehrungstheologischer Perspektive. Als ein wichtiges Ergebnis hält D. fest, dass Paulus und Johannes völlig unabhängig voneinander jüdisch-biblische und hellenistisch-philosophische Bekehrungskonzepte kombinierten. Bei aller Nähe zur philosophischen Transformation höben sie sich aber von dieser durch ein christologisches Konzept und eine ekklesiologische Dimension der Bekehrungserfahrung ab. Die Bekehrungskonzepte und die Deutungen der Bekehrungstaufe seien bei Paulus und Johannes allerdings nicht identisch. Während bei Paulus eine radikale Eschatologie vorherrsche, der zufolge die Auferstehung Christi das Eschaton eröffnet und die Gläubigen durch die Taufe in diese neue Zeit eintreten, betone Johannes mit dem Bild der Geburt von oben eher den ontischen Aspekt der Identitätstransformation. Die johanneische Tauftheologie betrachtet D. als eine im Vergleich zur paulinischen Vorstellung von der Taufe als Neuschöpfung oder Partizipation am Leib bzw. Tod Christi radikalere Sehweise, da sie eine Vereinigung mit Gott bzw. den Anfang einer »dynamischen Gottesverähnlichung« impliziere (457). Die Relevanz der in sich nicht einheitlichen Kirchenväterauslegungen liegt für D. vor allem darin, dass diese eine Überlappung zwischen Philosophie und Religion im frü-hen Christentum bezeugten. Über die patristische Exegese könne man aber nicht nur einen besseren Zugang zum Phänomen der religiös-philosophischen Bekehrung im antiken Mittelmeerraum gewinnen, sondern auch die Entstehung einer antijudaistischen Betrachtung der Bekehrung des Paulus als Befreiung von der vermeintlich nomistischen jüdischen Religion besser nachvollziehen, wie sie bis in die zweite Hälfte des 20. Jh.s hinein verbreitet war. Abgerundet wird die Darstellung durch einen Exkurs zur Bekehrungserfahrung in gnostischen Evangelien (465–483).

Unter dem Strich liefert D. eine lesenswerte Studie, die unter Berücksichtigung philosophischer Vergleichstexte der Antike wichtige Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zwischen dem paulinischen und johanneischen Bekehrungskonzept herausstellt und zudem auch ausgewählte Aspekte der patristischen Wirkungsgeschichte beleuchtet.