Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

44-46

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hensel, Benedikt [Ed.]

Titel/Untertitel:

The History of the Jacob Cycle (Genesis 25–35). Recent Research on the Compilation, the Redaction and the Reception of the Biblical Narrative and Its Historical and Cultural Contexts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. VIII, 236 S. = Archaeology and Bible, 4. Kart. EUR 89,00. ISBN 9783161599279.

Rezensent:

Kristin Weingart

Der Band versammelt Beiträge einer Tagung vom Dezember 2018 in Tel Aviv. Diese stand im Kontext des größeren SNF Sinergia-Projekts »The History of the Pentateuch« (geleitet von Israel Finkelstein, Oded Lipschits, Christophe Nihan, Thomas Römer und Konrad Schmid), zu dessen Teilvorhaben auch die Untersuchung von »Shifting Historical Realities Reflected in the Jacob Cycle (Gen 25–35)« zählte. Veranstaltet von Omer Sergi, Assaf Kleiman und dem Herausgeber verfolgte die Tagung das erklärte Ziel, literargeschichtliche, archäologische und (religions-)historische Zugänge im Blick auf die Jakoberzählung ins Gespräch zu bringen (1). Der Herausgeber eröffnet den Band mit einer knappen Einführung in Hauptlinien der gegenwärtigen Forschungsdiskussion und einer Kurzvorstellung der sieben Beiträge (The History of the Jacob-Cycle in Recent Research. An Introduction to the Volume, 1–9).

Konrad Schmid (Shifting Political Theologies in the Literary Development of the Jacob Cycle, 11–34) untersucht das, was er die »political implications« (28) der Jakoberzählungen nennt und entwirft Grundlinien eines über fünf Jahrhunderte (9.–5. Jh.) laufenden Wechselspiels von Literargeschichte und Historie. Der Jakobzyklus hatte für Schmid »a political function from the outset« (22), d. h. von seinen Anfängen im Nordreich Israel an – nicht zuletzt in der Betonung der Verbindungen von Israel und Edom, die für Schmid religiöse und ökonomische Realitäten im 9. oder 8. Jh. v. Chr. spiegeln. Nach 720 werde die Verbundenheit von Israel und Juda politisch bedeutsamer und zeitige literarische Niederschläge, z. B. in der Integration des Isaak-Kapitels Gen 26. Verheißungstexte wie Gen 28,13–15 reagieren auf das Exil und deuten die Diaspora-existenz als Teil des göttlichen Heilsplans. Den priesterlichen Passagen gehe es schließlich um eine desakralisierende Relecture der Bethel-Tradition und den Transfer des Edom-Themas von der politischen auf die familiäre Ebene von Heiratsbeziehungen.

Friederike Neumann (Jacob, Laban, and the Two Daughters. Insights into the Formation of the Jacob-Laban Story [Genesis 29–31], 35–55) rekonstruiert als Grundschicht der Jakob-Laban-Erzählung in Gen 29,1–30; 30,25b-26; *31,2–32,1 eine Erzählung, die auf die Beziehungen zwischen Jakob, Laban und dessen Töchtern fokussiert gewesen sei und in der es um Fragen der Verbundenheit mit, aber auch der Trennung von Aram gehe. Das Töchtermotiv diene dazu, sowohl die aramäische Herkunft und das aramäische Erbe Israels herauszustellen als auch Israels Unabhängigkeit von Aram zu reflektieren. Damit sei die Entstehung der Erzählung am ehesten in der Region Gilead im 9. Jh. zu vermuten.

Der Beitrag von Benedikt Hensel (Edom in the Jacob Cycle [Gen *25–35]. New Insights on Its Positive Relations with Israel, the Literary-Historical Development of Its Role, and Its Historical Background[s], 57–133) ist der bei Weitem umfangreichste des Bandes. Er bietet zunächst eine Übersicht über die Geschichte Edoms bzw. Idumäas von der Eisen- bis in die hellenistische Zeit, die dann als Schlüssel für die (z. T. sehr komplexe Rekonstruktion der) Literargeschichte des Jakobzyklus herangezogen wird. Dessen älteste literarische Stufe sei nach dem Ende des Nordreiches im Kontext eines Ringens um eine »Israelite identity« (119) entstanden, wobei Edom als »nomadic kingdom« u. a. ein Deutemuster geliefert habe. Im Zuge von exilischen bzw. nachexilischen Fortschreibungen, die zur Herausbildung einer Abraham-Jakob-Erzählung führten, sei die positive Beziehung zu Edom noch verstärkt worden, nicht zuletzt über das Motiv der Teilhabe Edoms am Segen und Erbe Israels. Den Hintergrund dieser integrativen Sichtweise, in die sich für Hensel auch die priesterlichen Texte einfügen, sieht er im Werben um JHWH-Anhänger in Idumäa bzw. einem in der Perserzeit greifbaren Israel-Verständnis, das für diverse jahwistische Gruppen in- und außerhalb Judas offen gewesen sei.

Jakob Wöhrle (Jacob from Israel and Jacob from Judah. Reflections on the Formation and the Historical Backgrounds of the Jacob Story, 135–153) entwickelt einen weiteren Vorschlag zur his-torischen Erklärung des Jakob-Esau-Themas. Er führt die nicht-priesterliche Jakoberzählung auf die sekundäre Verbindung zweier Vorlagen zurück: eine aus dem Nordreich stammende Jakob-Laban-Erzählung in Gen 29–31, die das Verhältnis zwischen Israel und Aram reflektiere, und eine aus Juda stammende Jakob-Esau-Erzählung in Gen 25–27, ein »political pamphlet that argues for and authorizes the political domination of the neighboring Edomites« (141), das ursprünglich mit der Vertreibung Esaus endete. Beide seien im Juda der späten Königszeit verbunden und mit dem versöhnlicheren Abschluss in Gen 32–33 versehen worden, so dass die Erzählung angesichts der babylonischen Bedrohung für ein friedliches Übereinkommen mit Edom werbe.

Christian Frevel spielt den Jakobzyklus in die Frage nach der Genese eines Verständnisses Israels als Zwölfstämmevolk ein (Jacob as Father of the Twelve Tribes. Literary and Historical Considerations, 155–181). Er versteht das Stämmesystem als ein »ideological construct of identification that creates a sense of belonging among its constituents« (158) und diskutiert historische Optionen zu seiner Entstehung. Aus der Einschätzung, dass die Belege für das System mehrheitlich in jüngeren Texten zu finden seien und dass die Geburtsgeschichte der Jakobsöhne in Gen 29 f. Spuren literarischen Wachstums aufweise, schließt Frevel, dass das Zwölf-Stämme-Konzept eine nachexilische Konstruktion darstellt. Ein Nord- und Südstämme verbindendes Israelverständnis habe freilich ältere Wurzeln und seine Herausbildung lasse sich anhand der Genese des Jakobzyklus nachverfolgen: Das Jakob-Esau-Thema erkläre sich vor dem Hintergrund von Rivalitäten zwischen Juda und Edom im 7. Jh. Seine Verbindung mit dem nord-israelitischen Jakob-Laban-Zyklus sei denn auch in Juda geschehen, verbunden mit der »constitution of an ›Israel‹ as a mode of collective identification« (175), das Juda nicht nur einschließe und zugleich für die Priorität Judas argumentiere.

Guy Darshan (The Priestly Account of the End of Jacob’s Life. The Significance of Text-Critical Evidence, 183–199) kombiniert textkritische Erwägungen mit der Frage nach der Identifikation priesterlicher Texte innerhalb von Gen 47–50. Er argumentiert, dass die LXX insbesondere in Gen 47 eine gegenüber dem MT ältere Textgestalt bewahrt hat. In dieser sei zu erkennen, dass die priesterlichen Anteile nicht nur umfangreicher waren als bislang angenommen, sondern dass hier viel stärker Brücken zu Gen 25–35 geschlagen werden, Gen 47–50 in der priesterlichen Konzeption mithin als Klimax der Jakob- und nicht der Josephserzählung gelesen werden sollten.

Das Heiligtum in Bethel ist in den biblischen Texten so gut belegt, dass seine Existenz kaum sinnvoll bezweifelt werden kann. Umso rätselhafter ist es, dass sich trotz intensiver Bemühungen archäologisch bislang keine Spuren des Heiligtums finden ließen. Aharon Tavger (»And He Called the Name of that Place Bethel« [Gen 28:19]. Historical Geography and Archaeology of the Sanctuary of Bethel, 201–222) unterbreitet einen neuen Vorschlag zu seiner Lokalisierung. Die biblischen Zeugnisse lassen laut Tavger keine monumentale Anlage vermuten, sondern eher ein Freiluft- bzw. Höhenheiligtum außerhalb der Stadt. Vor diesem Hintergrund lohne sich die Suche auf einem als Elevation Point 914 bezeichneten Areal 900m östlich von Beitin, wo Surveys bereits Hinweise auf eisenzeitliche Strukturen und Keramik geliefert haben.

Stellen- und Sachregister erschließen den Band, der interessante Einblicke in aktuelle Diskussionen um den Jakobzyklus bietet. Der Untertitel sollte dabei nicht im Sinne eines Rundumschlags verstanden werden, in dem die meisten Fragen geklärt würden. Er bezieht sich eher auf die vielfältigen Frageperspektiven, die die einzelnen Beiträge anreißen. Dabei zeigen sich in der Zusammenschau – jenseits manch konträrer Positionierung im Detail– durchaus instruktive Konvergenzen. Diese liegen zum einen in der spätestens seit der grundlegenden Studie von Erhard Blum zur »Komposition der Vätergeschichte« (1984) kaum mehr hintergehbaren Einsichten in die nord-israelitischen Ursprünge und die völkergeschichtliche Dimension der Jakoberzählung, zum anderen in der damit verbundenen Frage nach der Rolle Esaus/Edoms. Allein vier der sieben Beiträge thematisieren bzw. diskutieren den Edom-Bezug des Jakobzyklus und erhärten den Eindruck, dass in diesem sperrigen Zug ein Schlüssel (oder zumindest ein Prüfstein) für die Unternehmung liegt, eine plausible historische Pragmatik der Jakoberzählungen zu benennen.