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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

41-43

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dyma, Oliver

Titel/Untertitel:

Das Sacharjabuch und seine Rezeptionen.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. IX, 398 S. m. 2 Abb. u. 4 Tab. = Studies of the Bible and Its Reception, 26. Geb. EUR 99,95. ISBN 9783110683622.

Rezensent:

Jakob Wöhrle

Das Sacharjabuch hat in der neueren Forschung einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Studien erschienen, die sich der Entstehung des Buches – meist im Kontext des Zwölfprophetenbuches – widmen. Zudem ist das Buch von großer Bedeutung für die in den letzten Jahren verstärkt in den Blick genommene Rekonstruktion der Geschichte Judas in (früh-)persischer Zeit; es gibt Einblick in wichtige politische, soziale und religiöse Vorgänge und Begebenheiten dieser Zeit.

Die nun von Oliver Dyma vorgelegte Studie zum Sacharjabuch bewegt sich bewusst nicht in den so skizzierten Bahnen der gegenwärtigen Forschung. Die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen entstandene, von Walter Groß betreute Habilitationsschrift fragt nicht – oder allenfalls am Rande – nach der Entstehung oder der historischen Relevanz des Sacharjabuches. Gegenstand der Studie ist vielmehr die inhaltliche und thematische Anlage des Sacharjabuches und vor diesem Hintergrund die frühe Rezeption des Buches – von den antiken Übersetzungen über das Neue Testament bis zu den Kirchenvätern und den frühjüdischen Schriften.

Nach einer kurzen Einleitung, in der Anlage und Ziel der Arbeit erklärt werden (1–15), widmet sich D. zunächst dem Sacharjabuch selbst (16–163). Dabei geht er nicht nur auf den ersten, gerne als Protosacharja bezeichneten Buchteil Sach 1–8 ein, sondern auf das gesamte, Sach 1–14 umfassende Groß-Sacharjabuch. Geradezu im Stil eines Kommentars behandelt er Abschnitt für Abschnitt wichtige textliche und inhaltliche Einzelfragen und arbeitet auf dieser Grundlage die im Sacharjabuch behandelten Themen heraus. Bedeutsam ist für D. insbesondere die konsequent theozentrische Ausrichtung des Sacharjabuches. Nach dem Sacharjabuch steht JHWH hinter allen geschichtlichen Vorgängen. Seine Umkehr ist es, die zur Heilswende führt (Sach 1,16). JHWH selbst ermöglicht den Tempelbau (Sach 4,9). Ja, sogar die an verschiedenen Stellen des Buches erwähnten gegenwärtigen oder künftigen Herrschergestalten sind ganz von JHWH bestimmt. Bei der bekannten Verheißung eines Friedefürsten (Sach 9,9–10) ist es etwa JHWH selbst, der das Kriegsgerät vernichten und so Frieden schaffen wird. JHWH ist im Sacharjabuch Herr und König über die ganze Welt (Sach 4,14; 6,5; 14,9.16.17). Andere, im Buch durchaus auch vorhandene Themen zeigen dagegen nach D. ein weit weniger kohärentes Bild. So werden etwa die Führer des Volkes teils positiv (Sach 4,1–4; 6,9–15; 9,9–17), teils aber auch sehr negativ dargestellt (Sach 11; 13).

Im Anschluss an diese inhaltlichen und thematischen Darlegungen geht D. dann doch auch auf die Frage nach der Entstehung des Sacharjabuches ein (164–192). Er zeigt sich dabei aber betont zurückhaltend. So ist für D. die gängige literaturgeschichtliche Aufteilung des Buches in die drei Teile Sach 1–8; 9–11; 12–14 angesichts der doch recht markanten inhaltlichen Differenzen nachvollziehbar. Auch hält er es für möglich, dass das Sacharjabuch einmal zusammen mit dem Haggaibuch, als ein kleines Zweiprophetenbuch, überliefert wurde. Weitergehende Aussagen zur Entstehung des Buches – gar im Kontext des Zwölfprophetenbuches – sind seiner Ansicht nach aber nicht möglich. Die neueren Modelle zur Entstehung des Zwölfprophetenbuches kranken nach D. insbesondere daran, dass sie die in den einzelnen Schriften belegten Themen vorschnell auf verschiedene Schichten aufteilen. Damit wird aber seiner Ansicht nach einem Autor jeweils nur ein Thema zugetraut, wozu doch kein Anlass besteht.

Die weitere Arbeit widmet sich der Rezeption des Sacharjabuches. D. behandelt zunächst die antiken Übersetzungen, insbesondere die Septuaginta (193–255). Die Septuaginta profiliert seiner Ansicht nach in sehr besonderer Weise die theologische Anlage des Sacharjabuches. Gott wird hier, etwa aufgrund der Bezeichnung als κύριος »Herr« und παντοκράτωρ »Allherrscher«, dezidiert als allmächtiger Herrscher vorgestellt. Doch wird das Wirken Gottes in der Septuaginta bisweilen etwas differenzierter, und dabei zurückhaltender, beschrieben als in der hebräischen Vorlage. So steht etwa in der Septuagintafassung von Sach 1,12 nicht, wie im hebräischen Text, dass Gott Juda und Jerusalem »verflucht« hat, sondern lediglich, dass er Juda und Jerusalem »vernachlässigt« hat.

In einem letzten thematischen Kapitel behandelt D. umfänglich die Rezeption des Sacharjabuches in der frühchristlichen und frühjüdischen Literatur (256–323). Er bespricht etwa ausführlich die Aufnahmen aus dem Buch im Neuen Testament. Bezeichnend ist dabei nach D. die bisweilen doch recht freie Übernahme der Vorlage. So wird im Matthäusevangelium in Mt 25 die Gerichtserwartung aus Sach 14 (LXX) rezipiert. Allerdings wird in Mt 25,31 nicht wie in Sach 14,5 das Kommen »Gottes des Herrn« (κύριος ὁ θεός), sondern das Kommen des »Menschensohnes« (ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου) angesagt. Die Rezeption des Sacharjabuches erklärt sich hier also nach D. nicht, oder zumindest nicht allein, von dem rezipierten Text her. Die Rezeption des Sacharjabuches unterliegt vielmehr einem bestimmten Zweck, einer neuen Aussageabsicht. Vergleichbares zeigt sich dann auch bei den Kirchenvätern und in der frühjüdischen Literatur. Es wird stets recht frei – und auch sehr unterschiedlich – auf das Sacharjabuch zurückgegriffen.

In einer abschließenden Reflexion (324–332) kommt D. zu dem Ergebnis, dass das Sacharjabuch bereits in sich ein vielstimmiges Werk ist, das dann in der frühen jüdischen und christlichen Rezeption auf ganz verschiedene Weise verstanden wurde. Das Sacharjabuch zeigt damit, geradezu exemplarisch, die Vielgestaltigkeit der Schrift, aus der heraus dann auch die Vielgestaltigkeit der späteren Aktualisierungen und Auslegungen erwachsen ist.

Mit seiner Studie hat D. zweifellos einen wichtigen und weiterführenden Beitrag zum Sacharjabuch vorgelegt. Ja, die Studie umfasst in sich de facto gleich mehrere Arbeiten zu diesem biblischen Buch. So behandelt D. zum einen das Sacharjabuch selbst, geht in einem umfänglichen close reading auf zahlreiche Einzelprobleme ein und beschreibt sehr schön und nachvollziehbar die theologische Anlage des Buches. Zum anderen gibt D. einen großen Überblick über die antike Rezeption des Sacharjabuches und zeigt sehr eindrücklich, auf wie vielfältige Weise in der frühjüdischen und frühchristlichen Literatur das Sacharjabuch aufgenommen und verarbeitet wurde. Die so im besten Sinne des Wortes materialreiche Studie ist daher von großem Wert für alle weitere Arbeit am Sacharjabuch.

Zu fragen ist aber, ob es sich D. mit seiner Abkehr von, ja, mit seiner Geringschätzung der literaturgeschichtlichen Forschung nicht doch etwas zu einfach macht. Auf methodischer Ebene ist es ja mitnichten so, wie D. meint, dass entstehungsgeschichtliche Modelle zum Sacharjabuch – oder zum gesamten Zwölfprophetenbuch – allein auf einer Scheidung der Texte nach verschiedenen Themen und der Zuweisung der so geschiedenen Texte zu verschiedenen Schichten beruhen. Solide literaturgeschichtliche Modelle basieren vielmehr auf kleinräumigen Beobachtungen etwa zu formalen, stilistischen, sachlichen oder historischen Diskrepanzen im vorliegenden Text. Dies einfach – gewissermaßen aus der Vogelperspektive – als unbegründet abzutun, ohne auf konkrete Beobachtungen und Argumente einzugehen, wird der literaturgeschichtlichen Arbeit nicht gerecht.

Von hier aus wäre dann auch zu fragen, ob eine literaturgeschichtliche Differenzierung des alten Sacharjabuches nicht auch dem Verständnis der späteren rezeptionsgeschichtlichen Prozesse hätte dienlich sein können. Denn die literaturgeschichtliche Forschung dient ja nicht zuletzt dazu, die von D. zu Recht herausgestellte »Vielgestaltigkeit« des Sacharjabuches zu erklären. Sie könnte dann aber auch dazu beitragen, die Vielgestaltigkeit der späteren Rezeption zu erklären, die natürlich, wie D. herausstellt, teils sehr frei, aber wohl doch nicht beliebig, sondern durchaus auf Grundlage des in den alten Schriften bereits Angelegten vorgenommen wird. Eine mehr in den Bahnen der neueren Forschung zum Sacharjabuch sich bewegende literaturgeschichtliche und historische Fundierung der Studie hätte es also vielleicht ermöglicht, die einzelnen Teile der Arbeit – die Ausführungen zum Sacharjabuch selbst und die Ausführungen zur späteren Rezeption des Buches – stärker miteinander in Verbindung zu bringen.

Es ist somit das große Verdienst der Arbeit von D., die Vielgestaltigkeit des Sacharjabuches und (mehr noch) die Vielgestaltigkeit der späteren Rezeption des Buches klar herauszustellen. Wie sich diese Vielgestaltigkeit hier und da erklärt, ob sich tatsächlich über die Entstehung des Buches nur sehr wenig sagen lässt und ob tatsächlich die spätere Rezeption vor allem frei, ja, geradezu beliebig verläuft, bleibt aber wohl offen für die weitere Diskussion um das Buch.