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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

28-30

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Berlejung, Angelika [Ed.]

Titel/Untertitel:

Encyclopedia of Material Culture in the Biblical World. A New Biblisches Reallexikon. Ed. with P. M. M. Daviau, J. Kamlah, and G. Lehmann.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. LXVIII, 617 S. Lw. EUR 169,00. ISBN 9783161489662.

Rezensent:

Markus Witte

Mit dem hier angezeigten Werk liegt eine grundlegende Neubearbeitung des Biblischen Reallexikons (BRL) vor. Dieses war 1937 als erster Band des Handbuchs zum Alten Testament erschienen, von einem einzigen Autor, dem evangelischen Theologen und klassischen Archäologen Kurt Galling (1900–1987), verfasst und verdeutlichte in 548 Spalten die syrisch-palästinische Lebenswelt von der Zeit der Hyksos (18. Jh. v. Chr.) bis in die hellenistisch-römische Zeit. Laut seinem Verfasser sollte es ein Hilfsbuch für Theologie und Kirche im Blick auf die Erklärung der biblischen Realien sein, das das konkrete Ausgrabungsmaterial zum Ausgangspunkt nimmt und einen Leser voraussetze, »der sich zu einer bestimmten Bibelstelle eine Anschauung verschaffen möchte.« (V) Die im Jahr 1977 publizierte Neuauflage reagierte auf die »Verzehnfachung« (V) der Funde und Publikationen zur materialen Kultur Syrien-Palästinas in den zurückliegenden vier Jahrzehnten mit der Aufteilung der Lemmata auf 19 verschiedene Autoren und Autorinnen, überwiegend aus Deutschland, aber auch aus den Niederlanden, Israel und den USA, und einer Erhöhung des Umfangs um rund 40 %. Die Herausgabe der zweiten Auflage lag in den Händen von K. Galling, der auch weiterhin selbst einzelne Beiträge verfasst hatte. Gegenüber der ersten Auflage wurde die Anzahl der Artikel »zugunsten einer thematisch orientierten Zusammenfassung einzelner Stichwörter verringert« (VIII). Zu den aus der ersten Auflage übernommenen Abbildungen kamen neue Zeichnungen und aktualisierte Karten und Zeittafeln, ein stark ausgebautes Register erschloss die Neuauflage. Ihre grundsätzliche Anlage und ihr Ziel entsprachen dem der ersten: Das Buch sollte ein kompaktes, dabei auf höchstem wissenschaftlichen Niveau stehendes Hilfsmittel bei der Erschließung der im Alten und Neuen Testament zur Sprache kommenden Realien sein. Als solches hat es auch dank seiner jedem Artikel beigegebenen Bibliographie mehreren Generationen von Theologiestudierenden, Pfarrerinnen und Pfarrern, aber auch der Fachwissenschaft wertvolle Dienste geleistet.

Dass angesichts der in den vergangenen 40 Jahren erfolgten Ausgrabungen in Israel, Jordanien, im Libanon, in Syrien und Palästina, der Ausdifferenzierung und Erweiterung der archäologischen Methoden, der Entwicklungen in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Grundlagenforschung sowie der Internationalisierung der sogenannten biblischen Archäologie eine umfassende Neuausgabe des Biblischen Reallexikons nötig war, versteht sich von selbst. Die Besonderheiten dieser Neuausgabe zeigen sich bei einem Vergleich mit dem Vorgängerwerk. Schon der Titel signalisiert einen entscheidenden Perspektivwechsel: An die Stelle eines biblischen Handbuchs tritt mit der Encyclopedia of Material Culture in the Bib- lical World (EBW) ein Handbuch der biblischen Welt, näherhin ein Handbuch zur materialen Kultur der südlichen Levante für die Zeit vom Neolithikum bis zur hellenistischen Zeit mit einem Schwerpunkt auf der Spätbronzezeit und der Eisenzeit (einschließlich der Perserzeit). Anstatt eines Verfassers (BRL1) bzw. eines Herausgebers (BRL2) hat das Werk nun eine Hauptherausgeberin, die an der Universität Leipzig tätige Alttestamentlerin Angelika Berlejung, sowie drei, für bestimmte Abteilungen zuständige Mitherausgeber, P. M. Michèle Daviau (Waterloo, Ontario – verantwortlich für Jordanien), Jens Kamlah (Tübingen – verantwortlich für die Abbildungen) und Gunnar Lehmann (Beer-Sheva – verantwortlich für die Karten). Die insgesamt 126 Lemmata verteilen sich auf 72 Autorinnen und Autoren aus 15 verschiedenen Ländern. Die Abfassung des Bandes auf Englisch entspricht dem Standard in der internationalen Archäologie der südlichen Levante. Neu ist weiterhin, dass das Lexikon nun mit vier umfassenden thematischen Beiträgen eröffnet wird: (1) zu Fragen der Chronologie der materialen Kultur der biblischen Welt, verfasst von G. Lehmann (XIX–XXVIII), (2) zur Archäologie und Kulturgeschichte vom Neolithikum bis zum Beginn der römischen Zeit in Palästina, verfasst von Aren M. Maeir (XXIX–LIII), (3) zur Epigraphik, verfasst von dem im Jahr 2014 verstorbenen Semitisten Klaus Beyer (LIV–LXII), und (4) zur Ikonographie, verfasst von A. Berlejung (LXIII–LXXIII).

Eine wesentliche Veränderung gegenüber den Vorgängerauflagen stellt die Tatsache dar, dass auf die Lemmatisierung einzelner Ortslagen verzichtet wurde. So werden nun einzelne Orte und die dort gemachten Funde nur noch im Rahmen übergreifender Sachartikel, wie z. B. »altar«, »city«, »gate«, »house«, »palace«, »sanctuary«, »tower« u. a., thematisiert, mitunter auch kartographisch dokumentiert, aber nicht mehr in einem topographischen Längsschnitt präsentiert. Zwar gibt es beispielsweise mit The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land (NEAHL, hg. v. Ephraim Stern, Bd. 1–4, Jerusalem 1993) ein mehrbändiges Lexikon, das lexematisch den Ortslagen in Israel / Palästina gewidmet ist, doch wäre auch in der EBW eine knappe, aktuelle Darstellung der archäologischen Befunde und Strata der für die (hebräische) Bibel zentralen Ortslage jeweils in einem eigenen Artikel wünschenswert gewesen.

Grundsätzlich sind die Artikel in der EBW so angelegt, dass nach einer generellen Einführung in das entsprechende Lemma Typen, Elemente, besondere Phänomene und die lokale Verbreitung besprochen werden, sodann das Material einschließlich seiner Herkunft vorgestellt wird, danach eine diachrone Beschreibung der Funde folgt und schließlich eine kurze Synthese und eine Korrelation mit biblischen (mehrheitlich alttestamentlichen) Texten geboten werden. Jedem Artikel ist, wie den Einführungsartikeln, eine teilweise mehrspaltige Bibliographie beigegeben.

Wesentliche forschungsgeschichtliche Veränderungen gegenüber den beiden älteren Ausgaben des BRL spiegeln sich (1) in dem stark angewachsenen Material ausgezeichneter Karten, die auch klimatische, ökologische und ökonomische Aspekte berücksichtigen, (2) in der Zusammenlegung einzelner Artikel, die im BRL jeweils einen eigenen Eintrag hatten, unter einem einzigen Eintrag – so werden z. B. unter dem Lemma »agriculture and agri-cultural tools« jetzt auch »Pflug« und »Dreschen und Worfeln« oder unter dem Lemma »weapon/s and armament« jetzt auch »Axt« und »Lanze« behandelt, (3) in dem starken Ausbau oder der gänzlichen Neuaufnahme einzelner Artikel zur Ikonographie (»iconography of animals/of human beings/of plant/s«; »mask/s«), zur Medizin (z. B. »medicine«; »midwifery and contraceptive/s«), zur Religionsgeschichte (z. B. »amulet/s«; »magic«, »votive/s«) oder zur Wirtschaftsgeschichte (z. B. »water management«; »forest/s and forestry«). Besondere Prunkstücke sind wie schon im BRL2 die Artikel »Götterbild« (Peter Welten, K. Galling) / »idol/s« (A. Berlejung), »Siegel und Stempel« (P. Welten) / »seal/s and sealing/s« (Jürg Eggler und Christoph Uehlinger) und »Grab« (Arnulf Kuschke) / »tomb/s« (Jens Kamlah).

Insgesamt handelt es sich bei der vorgelegten Neuausgabe, die mittels einzelner Register zu Personennamen, Namen von Gottheiten, Ortsnamen und Sachen, gut erschlossen wird, um ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk zur Lebenswelt und materialen Kultur der südlichen Levante. Das Werk repräsentiert den aktuellen Forschungsstand und trägt mit seinem gegenüber dem BRL2 verdoppelten Umfang dem erweiterten Wissensstand Rechnung, ohne dabei unhandlich zu sein. Die zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen genügen, auch wenn sie durchgehend nur in schwarz-weiß erscheinen, höchsten ästhetischen Ansprüchen.