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Ausgabe:

Januar/2023

Spalte:

17-19

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Homolka, Walter, Hoppe, Juni, u. Daniel Krochmalnik

Titel/Untertitel:

Der Messias kommt nicht. Abschied vom jüdischen Erlöser.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 272 S. Geb. EUR 24,00. ISBN 9783451389962.

Rezensent:

Martin Hailer

Drei Stimmen von der School of Jewish Theology bzw. vom Abraham Geiger Kolleg in Potsdam melden sich mit einem provokanten Titel zu Wort. Die Provokation dürfte beiden Seiten, der jüdischen wie der christlich-dialogorientierten gelten.

Walter Homolka eröffnet mit einer kurzen Betrachtung, die den Ton des ganzen Werks angibt: Lang ist die Reihe der jüdischen Messiasprätendenten, die sich als falsche Messiasse herausstellten. Die Reaktion darauf war und ist eine Universalisierung: Es geht nicht um die Hoffnung auf eine einzelne Person, wohl aber darauf, dass Gott sein Reich und seine Gerechtigkeit aufrichten werde. Dann aber »wird der Messias zu einer kaum noch fassbaren Gestalt«, die Aufmerksamkeit richtet sich ganz auf das, »was denn die messianische Zeit ausmachen wird« (15.20). Die folgenden, im Wesentlichen historischen Überlegungen sollen diese These stützen und in den Ist-Stand der Debatte um die messianische Zeit einführen.

Auf knapp fünfzig Seiten informiert Juni Hoppe über Messiasvorstellungen in der Alten Welt. Sie geht aus vom Phänomen der Salbung als Inthronisationsvorgang zur Herrschaft, die in der davidischen Tradition rasch zum Bild eines idealen und Gott wohlgefälligen Herrschers wurde, zumal, als dies mit der Verheißung des ewigen Bestandes des Hauses David verbunden wurde. Die exilisch-nachexilische Tradition sieht sie betont uneschatologisch: Es geht um friedliche politische Umstände für Israel. Der Durchgang streift auch Qumran-Quellen, PsSal, 4Esr und 1Hen. Er läuft darauf hinaus, dass der Messias zu einer immer weniger fassbaren Person wird, zugleich aber die allgemeine Vorstellung eines Messianismus ein den Quellen externer Forschungsbegriff ist. Ein Netzwerk von Vorstellungen ist anzutreffen, aber nicht die eine Idee des Messianismus und schon gar nicht die Kontur des einen Messias.

Daniel Krochmalnik informiert über Messiasvorstellungen in der rabbinischen Tradition. Schwerpunkte sind hier einerseits die sog. messianischen Blätter aus dem Traktat Sanhedrin des Babylonischen Talmuds (bSanh 97a–99b, 2.–5. Jhdt.) und sodann die Aufarbeitung bei Moses Maimonides (nach 1135–1204). Die analytische Lektüre der messianischen Blätter ist für Talmud-unerfahrene Leserinnen und Leser hilfreich, weil die ca. 110 Argumente und Beobachtungen aus einem Jahrhunderte währenden Gespräch übersichtlich in Argumentgruppen eingeteilt werden, und das unter Beigabe der hebräisch-aramäischen Talmud-Seiten. In der Fülle dieser Worte und Widerworte wird mindestens deutlich, dass es zum einen »die« Lehre vom Messias niemals gab und dass zum anderen die Debatte um die Messiasfigur immer mit der um die messianische Zeit – Bedrängnis oder Heil?, Dauer?, für wen bestimmt? usw. – verknüpft ist. Fazit: »Die einzelnen Fragen werden […] so beantwortet, dass man am Ende nicht weiß, was man genau glauben soll.« (130) Und: »Der Talmud relativiert die messianischen Antworten, aber er autorisiert die messianischen Fragen.« (131) Maimonides, der große Systematisierer der Tora-Gebote, geht die Verknüpfung von Messias und messianischer Zeit mit und betont zugleich, dass der Messias nichts Göttliches an sich habe, sondern ein ganz und gar menschlicher Herrscher sein werde (145). Eine verbindliche Tradition zum Messias kann auch er nicht erkennen, freilich wurden seine Bemerkungen u. a. für die »messianischen Fieberschübe« (148) etwa um Sabbatai Zwi benutzt. Im Achtzehnbittengebet erkennt Krochmalnik keine ausgeführte Messias-Theologie. Vielmehr gilt in ihm Gott selbst als der Heiland.

Walter Homolka berichtet aus den jüdischen Debatten in Neuzeit und Gegenwart. Er greift zunächst den Vorschlag von Gershom Scholem auf, zwischen restaurativem (Wiederherstellung des davidischen Reiches) und utopischem (universaler Friede und Gerechtigkeit) Messianismus zu unterscheiden. Beachtung findet auch die messianische Idee im Chassidismus, wo sie stark auf die persönliche Heiligung und die Beteiligung am tikkun olam (Heilung der Welt) fokussiert wird. Randbewegungen, die sich doch zu einer Personalisierung der Messiasidee entschließen, wie es etwa bei den Lubawitscher Chassidim geschah, werden mit einem ernsten Scherzwort als »die Religion bezeichnet, die dem Judentum am nächsten stehe« (190). Im utopischen Messianismus wird nicht eine konkrete Person, sondern universale Gerechtigkeit erwartet. Jeder und jede, so wird nun betont, kann und soll daran mitwirken. Moses Hess (1812–1875) konnte so von der messianischen Potentialität jedes jüdischen Menschen sprechen (201). Vereinzelte Stimmen mahnen die Vorstellung eines personalen Messias an, insgesamt aber macht Homolka diese Tendenz aus: »Für die jüdische Messiashoffnung unserer Zeit ist eine personale Messiashoffnung aber nicht mehr allgemein vorauszusetzen. Im Zentrum steht die Erwartung einer messianischen Zeit.« (222)

Dass es immer auch noch andere Stimmen gibt, ist angesichts der Bandbreite des jüdischen Meinungsspektrums eine unspektakuläre Feststellung. Eine Groß-Tendenz ist hier gleichwohl mit reichen Belegen vor Augen geführt worden. Ist der »Abschied vom jüdischen Erlöser« aber gleichbedeutend damit, dass die Messias-idee keine Brücke zwischen Juden- und Christentum sein kann, wie der Klappentext des Bandes behauptet? Es fragt sich doch viel eher, ob diese Brücke jemals bestanden hat, wenn präzise darzustellen versucht wird, dass die christliche Behauptung, Jesus sei der Messias, jüdischerseits jederzeit unerträglich war und ist.

Der katholische Fundamentaltheologe Magnus Striet (Freiburg) schließt den Band mit einem kurzen Kommentar ab. Er fokussiert auf das Judesein Jesu und darauf, dass die Basisannahmen des Juden- wie des Christentums (existiert Gott?, agiert er in rettender Gerechtigkeit?, kommt er in Menschengestalt nahe?) sämtlich unbeweisbar sind (236). Für ihn steht die Begründung der Messias/Christus-Idee über die augustinisch gedachte Erbsündenlehre zur Verhandlung an. Gott wurde Mensch, »weil er als Mensch darum streiten wollte, wer er für den Menschen sein wollte – und sich so einmischen wollte in den Konflikt um den wahren Gott« (247). Hier wird eine in der jüngeren katholischen Dogmatik wohlbekannte Debatte aufgerufen, die mit den Hauptthemen des Bandes aber nichts zu tun hat. In der Tat: »Jüdische Theologie kann sich aus dieser Frage heraushalten.« (Ebd.) Warum sie dann am Ende dieses Bandes überhaupt aufgeworfen wird, erschließt sich nicht recht.