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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1240–1242

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heimbach-Steins, Marianne u. Könemann, Judith (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Religiöse Identitäten in einer globalisierten Welt.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2019. 244 S. = Münsterische Beiträge zur Theologie. Neue Folge, 2. Kart. EUR 36,00. ISBN 9783402123126.

Rezensent:

Thomas Bohrmann

Der Sammelband möchte mit seinen Beiträgen die Frage beantworten, »wie Religionsgemeinschaften unter den gegenwärtigen Bedingungen von Migration und Globalisierung ihre Identität gestalten.« (9) Besonders in den letzten Jahrzehnten haben Migrationsbewegungen und Globalisierungsprozesse zugenommen, die weitreichende politische, kulturelle und soziale Auswirkungen haben. Davon sind auch die Religionen betroffen, die in einer zumeist multikulturellen und multireligösen Welt ihre Identitäten finden bzw. gestalten müssen. Dieser Gestaltungsprozess kann einerseits zur Begegnung und Kooperation führen, andererseits aber auch zur Abgrenzung und Differenz. Die Konstituierung einer religiösen Identität erfolgt immer in gesellschaftlichen Räumen und ist somit abhängig von kulturellen Kontexten. Religion und Kultur stehen also in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander.

Der von Marianne Heimbach-Steins (Professorin für Christliche Sozialwissenschaften) und Judith Könemann (Professorin für Religionspädagogik, Bildungs- und Genderforschung) herausgegebene Sammelband ist das Ergebnis der Internationalen Theologischen Studientage, die an der Katholisch-Theologischen Fakul- tät der Universität Münster im Juni 2016 stattfanden. Dieses Format, an dem sich alle theologischen Fächer beteiligen, hat an der Münsteraner Fakultät eine lange Tradition und versammelt natio-nale und internationale Expertinnen und Experten, um gemeinsam mit Lehrenden und Studierenden einen theologischen Dialog zu führen. Neben dem Einleitungstext der Herausgeberinnen werden in 20 Beiträgen (neun deutschsprachige und elf englischsprachige) sowohl theoretische als auch praxisorientierte Perspektiven zur religiösen Identität entfaltet.

Die Beiträge werden sieben unterschiedlichen Themenfeldern zugeordnet: (1) Mit zentralen thematischen Perspektiven wird inhaltlich in die Problembereiche des Sammelbandes eingeführt, indem das Phänomen der religiösen Hybridität als eine Folge der Globalisierung der Religionen dargestellt wird (Catherine Cornille), das oft diskutierte Verhältnis von Glaube und Wissen zur Sprache kommt (Volker Gerhardt) sowie die Pluralität und Fluidität reli-giöser Identitäten in den Weltreligionen unter Globalisierungsprozessen reflektiert wird (Felix Wilfred). (2) Die Entwicklung religiöser Identitäten unter den Bedingungen der Moderne wird anhand unterschiedlicher Zugänge erörtert. Walter Lesch behandelt den Zusammenhang von Bekenntnis (Religion) und Praxis (Moral), Kathrin Gies konzentriert sich auf die Bedeutung biblischer Texte für das ethische Handeln, Reinhold Bernhardt erläutert die religiöse Identitätsbildung im religionspluralen Kontext und Viera Pirker analysiert den Traditionswandel anhand lehramtlicher Texte zum Religionsunterricht. (3) Das Verhältnis von Orthodoxie und westlichen Ideen im Hinblick auf die religiöse Identitätsbil- dung reflektieren die Beiträge von Regina Elsner, Sebastian Rimestad, Richard Fabian. Elsner macht besonders auf den Konflikt zwischen den Wertvorstellungen der russisch-orthodoxen Kirche sowie dem russischen Staat und den westlich-säkularen Werten aufmerksam. Dieser Beitrag ist vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs besonders lesenswert. (4) Die für eine moderne und zeitgemäße Theologie unverzichtbare Genderperspektive wird anhand von zwei Beiträgen thematisiert, indem zum einen der Blick auf Polen (Elżbieta Adamiak) und zum anderen der Blick auf Malaysia (Sharon A. Bong) gerichtet wird. (5) Wie sich religiöse Identitäten in Afrika vor dem Hintergrund traditioneller afrikanischer Kultur, indigener Religion und dem Christentum entwickelt haben, erläutern Mary Getui, David Kajal und Agbonkhianmeghe Emmanuel Orobator SJ in ihren aufschlussreichen Beiträgen. (6) Die Entwicklung religiöser Identitäten in Südamerika mit einem Schwerpunkt auf charismatisch-pentekostale Bewegungen thematisieren die spannenden Beiträge von Joaquín Silva, Daniel Chiquete und Michael Huhn. (7) Mit der Perspektive auf die religiöse Identitätsbildung angesichts religiöser Vielfalt in Süd- und Südostasien und den instruktiven Beiträgen von Jose Mario C. Francisco SJ und Simone Sinn wird ein weiterer regionaler Schwerpunkt berücksichtigt.

Der Sammelband mit seinen unterschiedlichen Positionen entfaltet ein breites Spektrum für ein interreligiöses und interkonfessionelles Gespräch, da die einzelnen Beiträge verdeutlichen, was religiöse Identitäten in einer globalisierten und sich schnell verändernden Welt heute bedeuten und wie die einzelnen Religionsgemeinschaften sich unter modernen Verhältnissen damit auseinandersetzen. Die Beiträge, sowohl die theoretischen als auch die länderspezifischen, sind informativ und spannend, da sie zum Teil neue Antworten geben auf die komplexe alte Frage, wie nämlich die persönliche Religion in einer bestimmten Kultur gelebt werden kann. Besonders die fallbezogenen Aufsätze konkretisieren das dem Sammelband zugrunde liegende zentrale Thema, da die Entstehungsprozesse religiöser Identitäten und das Ringen um die Gestaltungsformen in Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und Süd- und Südostasien beispielhaft veranschaulicht werden. Zudem macht das Buch darauf aufmerksam, dass Globalisierung kein Thema ist, das nur den sozialwissenschaftlichen Fachdiskurs betrifft, sondern ebenso Theologie und Philosophie. Für die christlichen Theologien bietet der Band weiterhin eine gute Grundlage für das interkonfessionelle und ökumenische Gespräch. Das Christentum als globale Religion ist heute nur plural denkbar. Religiöses Leben ist und bleibt ein dynamischer Prozess in Vielfalt. Insgesamt ist ein gelungener interdisziplinärer Beitrag zu einer aktuellen Problematik entstanden, wobei deutlich wird, dass die Religion nach wie vor eine wichtige Ressource im Leben ist: »Die Ausbildung der religiösen Identitäten ist wichtig für das persönliche und soziale Leben, für die Entwicklung einer Kultur des Lebens, des Friedens, der Solidarität.« (198) Wer sich mit der religiösen Identitätsproblematik in der gegenwärtigen Weltgesellschaft auseinandersetzen möchte, wird in diesem Sammelband wertvolle Impulse finden.