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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1235–1237

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Simon, Werner

Titel/Untertitel:

Katholische Katechetik, Religionspädagogik und Pädagogik im deutschen Sprachgebiet 1740–1918. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2021. 682 S. Geb. EUR 88,00. ISBN 9784402247716.

Rezensent:

Alexander Maier

Die sogenannte »katholische Aufklärung« (ca. 1770er bis 1840er Jahre) und die Zeit um 1900 gelten in bildungshistorischer Perspektive als besonders produktive Epochen der katholischen Religionspädagogik oder besser: ihrer Vorgängerdisziplin, der katholischen Katechetik. Kam es Ende des 18. Jh.s durch die Rezeption des damals neu generierten aufgeklärt-pädagogischen und naturphilosophischen Wissens durch katholische Pädagogen und Katechetiker zur Berücksichtigung der subjektiven Seite religiöser und ethischer Lernprozesse überhaupt, so ermöglichte die Orientierung an reformpädagogischen Konzepten um und nach 1900 eine konsequentere Ausrichtung des katholischen Religionsunterrichts an pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen. Beide historische Phasen markieren eine sukzessive Einstellung der Planung und Gestaltung religiöser Lernprozesse auf die Subjekte. Auch die dazwischenliegende neuscholastische Phase war insofern produktiv, als sie versucht hat, den Religionsunterricht eher theologisch-ekklesiologisch zu fundieren. Zwar hat erst die anthropologische Wende des katholischen Religionsunterrichts durch die »Würzburger Synode« (1974) im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Liberalisierungs- und Pluralisierungsprozessen zu einer endgültigen Individualisierung des Religionsunterrichts geführt. Jedoch haben sowohl die »katholische Aufklärung« als auch die reformkatechetischen Bemühungen um und nach 1900 der Katechetik doch die Berücksichtigung des Subjektbezugs ins Pflichtenheft geschrieben. Insofern sind Personen wie Johann Michael Sailer, Johann Baptist von Hirscher oder Johann Ignaz von Felbiger sowie Joseph Göttler und Heinrich Stieglitz für eine historisch informierte Religionspädagogik keine Unbekannten. Doch wer waren Franz Xaver Geiger, Johanna Huber oder Josef Glanzmann? Welche Schriften verfassten sie, was waren ihre katechetischen Anliegen und mit wem standen sie in fachlichem Austausch?

Antworten darauf gibt das von Werner Simon publizierte biographisch-bibliographische Lexikon zur katholischen Katechetik, Religionspädagogik und Pädagogik im deutschsprachigen Raum – und das für den oben bereits skizzierten, religionspädagogisch besonders produktiven Zeitraum von der Aufklärung bis zu den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jh.s. Damit krönt der pensionierte Mainzer Religionspädagoge Werner Simon sein wissenschaftliches Werk, welches nicht nur um die Frage nach den Möglichkeiten religiösen Lernens in Ostdeutschland und religionsdidaktische Einzelfragen kreist, sondern vor allem im Bereich der Geschichte des Religionsunterrichts liegt. Insofern könnte der Band auch als Vermächtnis gesehen werden. Denn einerseits spiegelt sich hier S.s eigene Forschungsarbeit (z. B. im Rahmen des gemeinsam mit Bernd Schröder verantworteten DFG-Projektes »Bibliographie und wissenschaftsgeschichtliche Auswertung katechetischer und religionspädagogischer evangelischer und katholischer Literatur 1750-1900«, Laufzeit 2012–2015) wider. Andererseits – und damit sind schon die Intentionen des Bandes angesprochen – gibt er hier einen umfassenden Zugriff auf Personen, Themen und Kontexte religiösen Lernens. Dieser regt nicht nur zu weiterer Forschung im Bereich der historischen Religionspädagogik an, sondern legt dazu auch die ersten Spuren. Zudem verdeutlicht dieses biographisch-bibliographisch angelegte Lexikon die Relevanz der bildungsgeschichtlichen Forschung für die Religionspädagogik.

Das Lexikon beinhaltet 638 Artikel zu Personen, die das Feld der katholischen Katechetik, Religionspädagogik und Pädagogik im von S. ausgewählten Zeitraum aktiv mitgestaltet haben. Darunter sind bekannte Protagonisten, die mit ihren Konzepten die katechetische Arbeit nachhaltig geprägt haben. Genauso werden aber viele Katechetiker der zweiten und dritten Reihe berücksichtigt, die vielleicht nur eine zeitlich oder regional begrenzte Wirkung entfalten konnten. Dass diese dadurch für die historische Forschung greifbar gemacht werden, ist der große Mehrwert des Lexikons. Zudem finden auch nicht deutschsprachige Autoren Berücksichtigung, insofern sie den deutschsprachigen religionspädagogischen Diskurs angeregt und bereichert haben (z. B. François de Salignac de La Mothe-Fénelon oder Lodovico Muratori).

Die Artikel weisen eine dreiteilige Struktur auf, die den Leser/innen die Orientierung erleichtern. Am Beginn der Beiträge stehen Biogramme, die je nach Quellenlage – und damit indirekt auch nach Relevanz innerhalb der bisherigen Forschung – einen unterschiedlichen Umfang aufweisen. Sie geben wichtige Hinweise zu Ausbildung, Berufstätigkeit oder fachlicher Vernetzung. Für die weitere Forschungsarbeit besonders bedeutsam sind die darauffolgenden bibliographischen Angaben, wobei hier nur Monographien berücksichtigt werden konnten. Abschließend folgt eine Übersicht über die vorhandene Sekundärliteratur. Darüber hinaus verfügen die einzelnen Artikel in der Regel noch über Fußnoten, in denen weiterführende Informationen geboten werden – vor allem zu denjenigen Personen, mit denen der jeweilige Akteur in Verbindung stand oder durch dessen Schriften er beeinflusst wurde.

Auch wenn die Artikel zu den einzelnen Akteuren den größten Teil des Lexikons ausmachen, müssen auch die Verzeichnisse im Anhang ausdrücklich erwähnt werden, da sie weitere substanzielle Erschließungsmöglichkeiten für die bildungshistorische Forschung bereitstellen. Es werden zunächst einschlägige Buch- und Schriftenreihen sowie Zeitschriften aufgeführt, die für den katechetisch-religionspädagogischen Diskurs einschlägig sind und Forschenden damit einen umfassenden Einblick in die Quellenlage ermöglichen. Zusätzlich dokumentiert der Anhang eine breite Auswahl an kontextbezogener Sekundärliteratur. Die Dechiffrierung transnationaler Verflechtungen wird durch ein Übersetzungsregister unterstützt. Besonders hilfreich ist das chronologische Personenregister zu den Artikeln. Dieses enthält zudem die Lebensdaten der besprochenen Akteure, wodurch sich die Lesenden schnell einen Überblick über den Wirkungszeitraum der Einzelnen verschaffen können. Es folgen ein alphabetisches Personenregister, ein Orts- sowie ein Sachregister, so dass auch eine Suche über Themen und Begriffe möglich ist.

Mit S.s Lexikon ist nun erstmals ein umfassender Zugriff auf Akteure katholischer Erziehung verfügbar – insbesondere auf bisher weitgehend unbekannte Namen. So erfährt die Leserschaft, dass die einzige im Band aufgeführte Frau, Johanna Huber (1869– 1935), nicht nur Lehrerin an der durch den Reformpädagogen Georg Kerschensteiner gegründeten »Münchner Versuchsschule« war, in der die Ideen der Arbeitsschule praktisch umgesetzt und erprobt werden sollten, sondern auch zu religionspädagogischen Fragen publizierte und sich für die Vernetzung von Frauen in pädagogischen Berufen einsetzte. Man entdeckt, dass Franz Xaver Geiger (1749–1841), Theologe und Historiker, sich in seinen Schriften für die Vermittlung einer aufgeklärten Religiosität eingesetzt hat und dass der im Kanton Luzern wirkende Geistliche Josef Glanzmann (1824–1902) sich mit pädagogischen Fragen der Beicht- und Kommunionerziehung befasste. Das Lexikon berücksichtigt Autoren aus den Feldern der katholischen Katechetik bzw. Reli- gionspädagogik sowie der katholischen Pädagogik. Wünschenswert wäre es gewesen, diese Begrifflichkeiten – etwa in der Einleitung – voneinander abzugrenzen, um so ihr unterschiedliches Profil zu unterstreichen. Wenngleich die zeitliche Begrenzung auf die »katholische Aufklärung« und das »lange 19. Jahrhundert« nachvollziehbar begründet ist, insofern sich hier wesentliche Strukturen der Religionspädagogik herausgebildet haben, hätte doch die Weimarer Zeit – gerade aufgrund der damaligen Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik – noch einbezogen werden können. Vielleicht wäre dadurch auch die Stimme der Religionspädagoginnen gestärkt worden? Doch hätte dies wohl den ohnehin schon umfänglichen Band überdehnt.

S.s Lexikon überzeugt jedenfalls durch seinen sinnvollen und übersichtlichen Aufbau sowie seine recherchefreundliche Struktur. Insofern hat S. die historische Religionspädagogik und Bildungsforschung um ein zukünftig nicht mehr wegzudenkendes Forschungsmedium bereichert.