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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1233–1234

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schwillus, Harald [Hg.]

Titel/Untertitel:

Religiöses Kulturerbe im Wandel. Nutzung und Umnutzung des religiösen Erbes in Europa.

Verlag:

Berlin: Logos Verlag 2021. 240 S. Kart. EUR 69,00. ISBN 9783832553814.

Rezensent:

Thomas Erne

Der katholische Religionspädagoge Harald Schwillus von der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg veranstaltet seit 2008 alle zwei Jahre ein Symposion zum Thema »Religion ausstellen«. Die Reihe lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Vermittlungsgeschehen, das in der Religionspädagogik allenfalls am Rande bedacht wird. Wie wird eigentlich Religion für Touristen erschlossen, die in gro-ßer Zahl jedes Jahr Museen, Kunstaustellungen, Gedenkstätten und Kirchen besuchen? Besonders aufschlussreich ist dabei der Blick in die Reiseführerliteratur (vgl. Florian Trott), die als Gattung unterschätzt ist und neben den Kochbüchern zu den meistverkauften Büchern in Deutschland gehört.

Dass diese Vermittlung der Religion in public display bisher religionspädagogisch ein Randthema war, hat vermutlich auch mit der pädagogischen Dürftigkeit zu tun, dem Welterklärungstonfall bei Führungen und einem kontextlosen Wissen in den Begleittexten, die Museen lange auszeichnete. Inzwischen hat sich die Ausstellungsszene verändert. Museen wie der Hölderlin-Turm in Tübingen oder das Bach-Museum in Eisenach, um nur zwei besonders gut gelungene Beispiele zu nennen, sind aufregende Erlebnisorte der Bildung. Auch die großen Kunstaustellungen wie Biennale und documenta haben sich gewandelt. Dort wandert die Avantgarde-Kunst aus den klassischen Ausstellungsräumen aus und inszeniert sich in Palästen, Lagerhallen, Schwimmbädern oder Fabriken. Nun richtet dieser Band das Augenmerk weniger auf die spektakulären Spitzeninszenierungen als auf die Versuche, das religiöse Erbe in der Breite zu sichern. Hier geht es zum einen um klassische Wissensvermittlung.

Die Problemstellung, die Harald Schwillus einleitend skizziert, geht von einem Traditionsabbruch aus, der dazu führt, dass die religiöse Bedeutung der Gebäude, Artefakte, Bilder und Vorstellungen, die die jüdisch-christliche Kulturgeschichte hervorgebracht hat, den meisten Menschen nichts mehr sagt (vgl. 16). Was manmit Traditionsabbruch meinen kann, ist allerdings sehr verschieden. Einerseits geht es darum, das religiöse Erbe des europäischen Judentums, das gewaltsam vernichtet wurde, zu sichern und geltend zu machen, also ein »reclaiming history« (Ruth Ellen Gruber). Anderseits geht es in den neuen Bundesländern, die reich an Kirchen, aber arm an Mitgliedern sind, um ein Problem der Fülle (Thomas Drachenberg), ein reducing history. Dort wird das schrumpfende Christentum von seinem kulturellen Erfolg, den vielfältigen Zeugnissen seiner einstigen Gestaltungsmacht geradezu überwältigt. Eine zweite Gruppe von Beiträgen zeigt den Sinn von Netzwerken. Im Zentrum stehen Netzwerke für Klöster in Österreich (Hermann Paschinger) und in Hannover (Wolfgang Brandis). Schließlich greift ein dritter Teil praktische Beispiele heraus. Kommunale und zivilgesellschaftliche Initiativen, die Kirchen neu nutzen, führen im Idealfall dazu, dass die religiöse Substanz der Kirchen neu fortgeschrieben wird, etwa in der Kirche St. Vicente Martir in Potes, Spanien, die Pilgerort und internationales Kongresszentrum zugleich ist (Pilar Gomez Baha-monde). Überzeugend ist auch der jüdisch-christlich-muslimi-sche Garten, der im Kloster Lindow (Sascha Gebauer) entstanden ist. Ein Taktgeber für eine systematische Herangehensweise an das Problem der vielen Kirchen, wie man sie auch von einer Kirchenleitung erwarten darf, ist die Church of England (Joseph Elders). Exemplarisch für das übergeordnete Thema der gesamten Reihe ist der Beitrag zum Museum für Religionsgeschichte in Remchingen bei Pforzheim. In Remchingen wird ein Museum, das seine Exponate in jährlich wechselnden Sonderausstellungen zu Themen der Religionsgeschichte zeigt, ausschließlich von Ehrenamtlichen betrieben und das heißt auch, dass die Ausstellungen von Ehrenamtlichen konzipiert, kuratiert und präsentiert werden (Jeff Klotz).

Der Charme dieses Bandes liegt darin, dass mit der Frage nach der Zukunft des religiösen Erbes zwar ein roter Faden alle Beiträge durchzieht, dieser Faden aber nicht allzu sehr bindet. Wer daher vor der Frage steht, was tun mit einer ungenutzten Kirche oder wie sich mit seinem Projekt mit anderen vernetzen oder wie könnte eine Ausstellung aussehen, die von einer Bürgerinitiative oder Kirchengemeinde zum Thema Religion gestaltet wird, findet in diesem Band viele Anregungen.

Angesichts der Fülle an guten Beispielen fehlt aber mitunter die Vertiefung. Ein Beispiel: Geht man, wie das in der Einleitung skizziert wird, davon aus, dass das religiöse Erbe durch Wissen neu erschlossen werden muss (vgl. 16), dann spricht dieses religiöse Erbe nicht mehr aus sich heraus. Im Fall der Aura von Kirchen (vgl. 23) ist das aber gerade nicht der Fall. Hier scheint die Atmosphäre des Raumes die Menschen anzusprechen, ohne dass das Raumerlebnis der Wissensvermittlung bedarf. Auch Rudolf Otto, der eine bedeutende religionsgeschichtliche Sammlung in Marburg zusammentrug, war der Meinung, dass die dort gezeigten Artefakte ohne Erläuterung ausgestellt werden sollten. Die religiöse Substanz würde sich in der Begegnung mit dem Besucher aus sich heraus erschließen. Man muss sich nur für diese Begegnung offenhalten. Lässt sich also auch Aura ausstellen? Und von welcher Art wäre die Vermittlung, die dabei nötig ist? Man darf gespannt sein auf die weiteren Bände der Reihe.