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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1212–1214

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bohnert, Daniel, u. Markus Wriedt

Titel/Untertitel:

Theologiae Alumni Vitebergenses (TAV). Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502–1648).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2020. 1160 S. m. 12 Abb. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 38. Geb. EUR 198,00. ISBN 9783374066728.

Rezensent:

Ulrike Ludwig

Die Wittenberger Universität (Leucorea) entfaltete im 16. und beginnenden 17. Jh. als Ausgangsort der lutherischen Reformation eine enorme Strahlkraft. Sie zog Studenten aus vielen Territorien des Reichs und aus verschiedenen europäischen Ländern an, die nach ihrem Studienaufenthalt Wittenberger Lehrinhalte in zahlreiche Regionen trugen. Dies betraf auch und insbesondere die Theologie. Die ehemaligen Studenten der Leucorea beteiligten sich an ihren späteren Wirkungsorten bei dem Aufbau eines protestantischen Kirchenwesens und der Ausbildung des frühmodernen Staates.

Die von Daniel Bohnert und Markus Wriedt vorgelegte Studie widmet sich einem Teil dieses Personenkreises, und zwar den höher graduierten Absolventen (Lizentiaten und Doktoren) der Wittenberger Theologischen Fakultät im Zeitraum von deren Gründung 1502 bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648. Sie liefert auf breiter Quellenbasis beruhende personenbezogene Daten, welche die »weitreichende Wirkung« (5) der lutherischen Theologie Wittenberger Prägung belegen. Ziel der Autoren ist es, »die quantitativen und qualitativen Dimensionen der Diffusion und Distribution der Wittenberger Theologie in die Territorien und Städte des Heiligen Römischen Reiches sowie darüber hinaus erstmals abzubilden« (27). Der Band entstand als Ergebnis des von der DFG zwischen 2015 und 2018 geförderten Projekts »Theologiae Alumni Vitebergensis (TAV)«. Er korrespondiert in hervorragender Weise mit den ebenfalls in der Reihe »Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie« erschienenen Bänden zu den Professoren der Theologischen Fakultät von Armin Kohnle und Beate Kusche (Bd. 27, 2016), zu den landesherrlichen Stipendiaten an der Leucorea von Ulrike Ludwig (Bd. 35, 2019) sowie zu den Wittenberger Universitätsbekanntmachungen, den »Scripta publice proposita«, von Christiane Domtera-Schlei-chardt (Bd. 39, 2021). Ebenfalls im Rahmen eines DFG-Projekts und eng mit dem TAV-Projekt verbunden werden zudem seit 2017 die Einträge der Wittenberger Universitätsmatrikeln sowie in einem zweiten Schritt Personendaten aus weiteren seriellen universitären Quellen in einer Datenbank erfasst und elektronisch der Forschung zur Verfügung gestellt (»Corpus Inscriptorum Viteber-gense – CIV«; URL: https://www.civ-online.org). Geplant ist zudem die Erfassung der Absolventen der Juristischen und der Medizinischen Fakultät der Universität Wittenberg, analog denen der Theologischen Fakultät, was ein sehr wichtiges und wünschenswertes Vorhaben darstellt.

Der anzuzeigende Band beginnt mit einleitenden Ausführungen zu Thema, Forschungsstand und Quellenlage, Methodik und Konzeption (Kapitel I, 25–51). Dem schließen sich zwei Kapitel an, welche in die Biogramme einführen, eine statistische gruppenbiografische Auswertung der in den Biogrammen gewonnenen Erkenntnisse vornehmen sowie nähere einordnende Informationen bieten. So enthält Kapitel II (53–121) Angaben zur Personengruppe der Absolventen, zu ihrer Herkunft sowie ihrer Ausbildung vor dem Universitätsbesuch, zu ihren Universitätsaufenthalten, dem Erhalt von Stipendien, dem Erwerb von philosophischen und theologischen Graden samt den dazu nötigen Voraussetzungen, der Berufung und Ordination sowie zu weiteren Tätigkeiten und Wirkungsorten der Absolventen vor und nach ihrer Promotion. Die im Rahmen der Gruppenbiografie untersuchten Absolventen wechselten nach ihrem, in der Regel nach langjährigem Studium erworbenen Abschluss »in die herausragenden höheren Ämter in Kirche, Kirchenleitung und Universität« (90). Auch wenn ein theologischer Grad keine Voraussetzung für die Berufung auf eine Stelle beispielsweise als Pfarrer darstellte, war er doch für bestimmte – höhere – Ämter unabdinglich. Kapitel III (123–138) bereitet denjenigen Teil der Biogramme vor, der sich mit dem theologischen Profil und den Schriften der Absolventen befasst. Es wird ein Überblick über ihre theologischen Werke gegeben sowie der »Versuch einer Systematisierung von Titulatur und Genre« (125) unternommen. So verfassten die Absolventen der theologischen Fakultät häufig theologische Lehrbücher und fungierten nicht zuletzt dadurch als Vermittler der Wittenberger Theologie. Außerdem werden Kommentarwerke, weitere Monografien und homiletische Literatur unterschieden.

Kern des Bandes stellen die Biogramme (Kapitel IV, 139–1107) dar, die statt in alphabetischer in chronologischer Folge geboten werden. Insgesamt 165 Personen, die im Untersuchungszeitraum an der Leucorea den Grad eines Lizentiaten oder Doktors der Theologie erwarben, werden in Kapitel IV mit einem Biogramm bedacht. Es handelt sich um einen klar definierten, begrenzten Personenkreis, der in Wittenberg relativ groß war, nahm doch die Leucorea im universitären Vergleich im Alten Reich eine herausgehobene Position bei den Graduierungen ein. Die biografischen Skizzen zu den Absolventen sind jeweils gleich aufgebaut. Sie bieten Informationen zur räumlich-geografischen und sozial-familiären Herkunft, zu Schul- und Universitätsbesuchen sowie zu Wirkungsorten und Tätigkeitsfeldern, außerdem werden Angaben zu Ehefrauen und Kindern der Absolventen gemacht. Nicht immer können alle Punkte ausgefüllt werden, die Biogramme variieren naturgemäß in ihrer Ausführlichkeit entsprechend der Quellenlage. Der in ausformulierter Textform gebotenen biografischen Skizze folgt nach Möglichkeit das theologische Profil des Absolventen anhand seiner eigenen, nach dem Erwerb des theologischen Grades entstandenen Schriften, was ebenfalls aufgrund der Überlieferungslage nicht in allen Fällen möglich ist. Hier wird auch eine Würdigung der Tätigkeit und Wirkung des Absolventen vorgenommen. In den Anmerkungen werden ausgewählte Literatur sowie umfangreiche Quellenangaben geboten.

Den Schluss des Bandes bildet ein Personenregister. Leider fehlt ein Ortsregister, welches bspw. für Fragen nach den späteren Wirkungsorten der Absolventen und damit der Ausstrahlung der Leucorea wünschenswert gewesen wäre. Ebenso wurde auf ein gesondertes Quellen- und Literaturverzeichnis verzichtet. Die Nennung der Literatur erfolgt stattdessen in den Fußnoten, und die erwähnten Autoren wurden mit in das Personenregister aufgenommen. Dies ist wohl dem bereits ohne weitere Verzeichnisse sehr stattlichen Umfang des Bandes geschuldet. So sind auch auf der Verlagsseite (https://www.eva-leipzig.de/product_info.php?info=p5004) Anhänge zu dem Band in Form von alphabetisch nach den Personennamen geordneten Listen zur räumlich-geografischen und sozial-familiären Herkunft sowie zu den Schulbesuchen, zu Universitätsaufenthalten, eventuellen Studienförderungen, zur Ordination, zum Erwerb von Graden und zu späteren Wirkungsorten der Absolventen zu finden. Es ist zu hoffen, dass diese wichtige Ergänzung zum Band langfristig zugänglich bleibt und auch genutzt wird.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der umfangreiche Band mit seinen Biogrammen ein wichtiges Nachschlagewerk darstellt, das weit über den Bereich der Universitätsgeschichte hinausgeht und den Wunsch der Autoren, »weiterführende Arbeiten zur Sozial- und Kultur- sowie Kirchen- und Theologiegeschichte in der Frühen Neuzeit« (6) anzuregen, sicher voll und ganz erfüllen wird. Es wird eindrucksvoll deutlich, welche Fülle an neuen Erkenntnissen sich durch die äußerst aufwendige Kärrnerarbeit einer systematischen prosopographischen Auswertung serieller Quellen gewinnen lässt. Die einleitenden Kapitel ordnen unter Hinzuziehung weiterer Quellen wie beispielsweise Kirchen- und Universitätsordnungen die Biogramme ein und bieten eine Auswertung der darin gewonnenen Daten, womit sie zusätzliche wertvolle Erkenntnisse über die einzelnen Personen hinaus erbringen.