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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1210–1212

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Saak, Eric Leland

Titel/Untertitel:

Augustinian Theology: Augustinian Theol-ogy in the Later Middle Ages. Vol. 1: Concepts, Perspectives, and the Emergence of Augustinian Identity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XVIII, 533 S. = Studies in the History of Christian Tradition, 196. Geb. EUR 157,00. ISBN 9789004405738.

Rezensent:

Christian V. Witt

Mit dem anzuzeigenden ersten Band eines auf zwei Bände angelegten Opus legt Eric Leland Saak Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit dem Orden der Augustiner-Eremiten im Spätmittelalter und in der Reformationszeit vor. Wie kaum ein anderer hat er sich auf internationaler Bühne in der jüngeren Vergangenheit mit jener monastischen Gestalt des lateineuropäischen Christentums befasst, weshalb die entsprechend interessierte Forschung dankbar auf die nun vorliegende Bündelung seiner vielfältigen Überlegungen und Beobachtungen zugreifen wird. Ist bereits dem Untertitel der inhaltlich-thematische Zuschnitt dieses ersten Bandes zu entnehmen, liegt der Schwerpunkt der Einzelanalysen insgesamt auf der Frage nach dem spezifischen Profil des Ordens als genuin päpstlicher Kreatur. Was hebt ihn von anderen, vielleicht heute prominenteren Mendikantenorden ab? Wie wirken sich seine eigentümliche Genese und die daran anschließenden Versuche einer Selbst- und Fremdverortung innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche auf die Prozesse der Identitätsbildung aus? Und wie verhält sich vor diesem Hintergrund der spätere Orden Luthers zu anderen geistlichen und weltlichen Institutionen?

Diesen Leitfragen geht S. entlang dreier Themenbereiche nach, die als Hauptteile den Band strukturieren: Im Anschluss an die luzide Einleitung, die konzeptionelle Klärungen vornimmt, Semantiken ausschärft, den internationalen Forschungsstand vor Augen stellt und die Anliegen des Bandes offenlegt (1–46), ist der erste Hauptteil »Augustinian Traditions« gewidmet (47–192). Der zweite Hauptteil befasst sich dann mit »Augustinian Political Theology« (193–342), bevor schließlich der dritte »Augustinian Theology in the Studia« (343–500) beleuchtet. Eine knappe »Intermission« baut die Brücke zum zweiten Band (501 f.). Eine umfassende Bibliographie ist ebenso beigegeben wie ausführliche und zuverlässige Register zu Personen, Orten, Sachen und »Modern Authors« (503–533). Allen drei angeführten Hauptteilen sind zudem eigene »Introductions« vorgeschaltet, die zu den jeweiligen Themenbereichen Aspekte des Forschungsstands, der interdisziplinären Forschungsfragen und der vom Autor gewählten inhaltlichen Ausrichtung erhellen.

Konnten sich Dominikaner und Franziskaner auf rasch prominente Gründergestalten berufen, welchen sie dauerhaft normative Bedeutung zuschrieben – die Franziskaner wesentlich prononcierter noch als die Dominikaner –, fehlte dem Orden der Augustiner-Eremiten aufgrund seiner Gründungsgeschichte eine solche charismatische Gründungsfigur. Das machte die Traditions- und Identitätskonstruktion im Vergleich mit und in Konkurrenz zu jenen anderen monastischen Gestalten unweigerlich zu einer erheblichen Herausforderung, wie der erste Hauptteil überzeugend verdeutlicht. Augustin lag als zentrale Referenzgröße freilich nahe, war aber alles andere als leicht zu haben, zumal er meistenteils vermittelt durch einschlägige Instanzen wie etwa das Sentenzenwerk des Lombarden vorlag und zudem in Kirche und Theologie insgesamt genauso viel beansprucht wurde wie er umstritten war: »The reception of Augustine is virtually synonymous with the intellectual history of the west«, spitzt S. die Sachlage zu (53). In Anbetracht dessen bedurfte es einer spezifischen Augustin-Aneignung, um diese überhaupt profilbildend und traditionsbegründend in Anschlag bringen zu können, was eine entscheidende Voraussetzung nicht nur für die Namensgebung, sondern auch für die Stabilisierung und letztlich Institutionalisierung des Ordens war. Denn: »Self presentation and the social construction of the Order’s identity was central, but to truly be an Augustinian required more. […] How does one follow Augustine?« (192)

Diese Frage nach der Operationalisierung der eigenen Identitätskonstruktionsleistungen sollte den jungen Orden dauerhaft auch auf dem Feld der Kirchenpolitik beschäftigen, was S. dann am Beispiel der »Political Theology« im zweiten Hauptteil durchspielt: Angesichts der vielschichtigen und sich zuspitzenden Spannungen zwischen den hierokratisch-universalistischen Geltungsansprüchen des (avignonesischen) Papsttums und den auch kirchenpolitisch emanzipatorischen Bestrebungen der werdenden Nationen vor dem Hintergrund der bekannten Prozesse territorialer Herrschaftsverdichtung sahen sich rasch auch Augustiner zur Positionierung genötigt. Dass und wie sie sich letztlich auf die Seite der Päpste stellten und darüber zu entschiedenen Verfechtern papalistischer Positionen wurden, zeichnet S. am Beispiel der Ordnungstheorien des Aegidius Romanus, des Jakob von Viterbo und des Augustinus von Ancona nach. Dessen große Summa de Potestate Ecclesiastica, die dann bezeichnenderweise im Kontext der Konzilien des 15. Jh.s verstärkte Aufnahme erfuhr, bündelt gewissermaßen die entsprechenden Reflexionsanstrengungen aus den Reihen der Augustiner-Eremiten, die sich so auch auf dem Feld der politischen Ordnungstheoriebildung profilierten und dabei intensiv – und mit erheblichen theologischen Folgen – um die angemessene Aneignung Augustins rangen. S. bilanziert (340 f.):

»Augustinus of Ancona stands at the headwaters of the late medieval Augustinian Renaissance, which was predicated upon his ecclesiology of the episcopacy of Christ. Thus we need to rethink, reconsider, and reinterpret our portrayals of Augustine’s late medieval reception, as well as that of late medieval political thought. It was not the Franciscans or Dominicans who were the driving force of political theory in the later Middle Ages, but the Augustinians«.

Die Theologie und in Grenzen auch die Frömmigkeit des Ordens, ihre Entwicklungen und ihre Konturen stehen dann auch im Mittelpunkt des dritten Hauptteils, der strukturanalog zum zweiten Teil drei Persönlichkeiten und ihr Werk vorstellt: Heinrich von Friemar, Hermann von Schildesche und Jordan von Quedlinburg. »Each contributed to the Order’s newly emerging created identity, while likewise composing works of pastoral theology that were to form the basis of the Order’s mendicant theology for the rest of the Middle Ages and beyond.« (345) Mit institutionellem Fokus auf den Ordensstudien, besonders auf das in Erfurt, an dem alle drei Mendikanten tätig waren, zeichnet S. überaus kundig nach, wie und warum er zu zitierter Bedeutungseinschätzung gelangt ist. Leitend ist dabei freilich auch die Annahme, dass es eben die von jenen Persönlichkeiten wesentlich beeinflusste und ab einem gewissen Punkt durchaus ordenstypische (Frömmigkeits-)Theologie war, die mit Luther das unstrittig prominenteste und wirkmächtigste spätmittelalterliche Mitglied des Ordens prägte, der seit dem 14. Jh. bestimmte Traditionslinien aufnahm und produktiv weiterführte, während er sich von anderen scharf absetzte (vgl. exemplarisch 368.375.446.472).

Mit gelegentlich diskussionswürdigen Thesen, aber stets anregenden und überaus lehrreichen Analysen legt einer der besten Kenner des Ordens somit die eindrucksvolle Bilanz seiner einschlägigen Forschungen vor. S.s kompendienhafte Darstellung wird die Forschung zur Kirchen- und Theologiegeschichte des Mittelalters und darüber hinaus erheblich und bleibend bereichern.