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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1200–1201

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jónsson, Sigurvin Lárus

Titel/Untertitel:

James among the Classicists. Reading the Letter of James in Light of Ancient Literary Criticism.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021. 353 S. Geb. EUR 130,00. ISBN 9783525564844.

Rezensent:

Michael Glöckner

Die Rhetorik des Jakobusbriefes erfährt in jüngerer Zeit mit Recht eine gesteigerte Aufmerksamkeit, welche sich in zahlreichen Monographien niederschlägt (z. B. W. Baker, W. H. Wachob, S. Luther, R. J. Foster, N. R. Morales u. a.). Dieser Fragestellung fühlt sich auch die im Jahr 2019 durch die Universität Aarhus angenommene Dissertation von Sigurvin Lárus Jónsson verpflichtet. Sie ist auf die sprachliche und stilistische Ausgestaltung des Jakobusbriefes fokussiert. Die Grundannahme ist, dass die Autorität einer Persönlichkeit (auch) durch die Verwendung von einer dem Gegenüber angemessenen Sprache generiert wird. Mithin ergibt sich folgende Leitfrage: »How does the author establish and assert authority?« (18) J. versteht den Jakobusbrief als »speech-in-character«, dessen Grundanliegen darin besteht, den Rezipienten durch eine erkennbare Sprachkompetenz sowie durch den Bezug auf die Heiligen Schriften ein dezidiertes Ethos, das sie sich aneignen sollen, zu vermitteln.

Zu den ethischen Themen, die in der kleinen katholischen Schrift sehr ausführlich entfaltet werden, gehört die Problematik sozialer Ungleichheit (»socio-economic disparity« [19]) in den Bezügen der Gemeinde. Die Kategorien von Reichtum und Armut in ihren Auswirkungen auf das zwischenmenschliche Miteinander grundlegend zu beleuchten, ist aus diesem Grund erkennbar eine der primären Intentionen des Jakobusbriefes (vgl. dazu u. a. die Studien von P. U. Maynard-Reid, E. Tamez, M. Ahrens, P. H. Davids, B. Witherington, N. R. Morales). Im Unterschied zu Paulus beschreibt der Autor des Jakobusbriefes sich selbst jedoch nicht als »model of imitation«, sondern vermittelt sein Anliegen »only implicitly through the […] use of language and teachings associated with the sender« (51). An dem Beispiel von Reichtum und Armut entfaltet J. grundsätzlich den den Jakobusbrief durchziehenden Sprachgebrauch. Dazu untersucht er dessen Spezifika insbesondere im Kontext der Critical Essays des Rhetorikers und Historikers Dionysios von Halikarnassos und stellt dabei fest: »James argues from scripture and when we compare his use of scripture to the discussion of literary imitation in Dionysius of Halicarnassus and Longinus, he fulfils the categories of successful literary mimesis.« (40) Eine Festlegung, aus wessen Feder der Jakobusbrief stammt und zu welcher Zeit er verfasst worden ist, trifft J. nicht. Das ist für sein Anliegen auch nicht weiter erforderlich.

Der Aufbau der zwischen neutestamentlicher Exegese und klassischer Philologie interdisziplinär angelegten Studie folgt einer klar nachvollziehbaren Gliederung, die am Beginn vorgestellt und am Ende kurz zusammengefasst wird. Ein Einführungsteil (17–41) nimmt zunächst moderne Forschungsansätze bezüglich des Sprachgebrauchs des Jakobusbriefes in den Blick, orientiert insbesondere an den Kommentaren von D. C. Allison, Jr., und R. Metzner. Um die exegetische Kompetenz des Autors vorzustellen, streift J. die Fragestellung nach dem Verhältnis des Jakobusbriefes zu den paulinischen Briefen und zu Jesus-Logien. Anschließend werden Vertreter antiker Literarkritik, die in griechischer Sprache vor bzw. zeitgleich zu den neutestamentlichen Autoren publizierten, vorgestellt, darunter Aristoteles, Demetrius und Dionysius von Halikarnassos. In diesen Kontext ordnet J. den Jakobusbrief schließlich ein. Kapitel 2 (42–92) behandelt die klassischen Einleitungsfragen (literarische Gattung, Autor, Adressaten). Dazu gehört die Klassifikation des Jakobusbriefes als Ethopoieia. Das 3. Kapitel (93–113) widmet sich ausführlich der sprachlichen Gestaltung. Dazu untersucht J. die Gliederung und nimmt die Beobachtung auf, dass die in Jak 1 beschriebenen Gegenstände eine breite Entfaltung im gesamten Brief erfahren. Kapitel 4 (114–192) ordnet sehr umfangreich und detailliert den Jakobusbrief in den großen Kontext der literarischen Kultur des griechisch-römischen Sprachraumes ein. Dabei werden die folgenden Kriterien genauer betrachtet: »Purity of Greek«, »Lucidity and Clarity«, »Vividness«, »Imitation of Traits of Character and Emotion« und »Qualities of Composition«. Vor dem Hintergrund der Einordnung in die Sprachkompetenzen seiner Vorgänger und Zeitgenossen untersucht J. die Vermittlung der Autorität des Autors des Jakobusbriefes (Kapitel 5, 193–257) als Lehrer und Schriftausleger, wobei er Bildung als die wesentliche Vor-aussetzung von Autorität beschreibt, sowie die Frage, wie Reichtum und Gemeinsinn im Jakobusbrief entfaltet werden (Kapitel 6, 258–282). Eine konzise Zusammenfassung der zahlreich erhobenen Befunde (Kapitel 7, 283–288) sowie Literatur- und Quellenverzeichnis runden die Studie ab.

Die der Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung, welches Spektrum antiker Sprachkompetenz in den Texten des Frühjudentums und des Neuen Testaments zum Leuchten kommt, ist aus vielen Gründen ausgesprochen relevant. Die Bezugnahme auf Dionysius von Halikarnassus, den J. als »interpretative key to read- ing James« (31) wertschätzt, ist inspiriert durch Untersuchungen von Nicolas Wiater und Casper C. de Jonge. Ein Schwergewicht liegt dabei auf der Diskussion um literarische Nachahmung. Dionysius sieht als seine Adressaten eine Gemeinschaft, die eine Sammlung autoritativer Texte teilt und anhand dessen, basierend auf Bildung und sozialem Status, definiert, wer dazugehört und wer eben nicht.

Sehr sorgfältig und stets methodisch sauber begründend entfaltet J. die Beziehung zwischen Autor und Rezipienten im Blick auf den Jakobusbrief. Dabei kommt der Einordnung von Jakobus als Lehrer (vgl. 3,1 f.) und Exeget (hierfür untersucht J. sehr detailliert Jak 1,1; 2,8–13.21–25; 4,5 f.11 f.; 5,10 f.17 f.) eine besondere Relevanz zu. Im Gegensatz dazu hätten aus der Sicht des Rezensenten die Ausführungen zum Thema Reichtum (Kapitel 6) etwas ausführlicher ausfallen können. Der Autor des Jakobusbriefes erkennt unter den Mitgliedern der Gemeinde(n) reiche Menschen, die den Armen Gewalt antun. Dem entgegen stellt er »a vision of faith-based wisdom that is inseparable from a life of service towards those in need« (258). Damit bedient er sich an Traditionen, die sich auch in Prov 13,23; 22,16; Sir 13,1–4.12f.17–19 und 1Hen 92–105 finden.

Alles in allem liegt mit der Studie von J. ein wichtiger Beitrag vor, der für das Weiterdenken im Blick auf die sprachliche Gestaltung des Jakobusbriefes sowie für die darin bearbeitete Thematik von Reichtum und Armut zahlreiche Impulse enthält.