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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1191–1193

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breu, Clarissa

Titel/Untertitel:

Autorschaft in der Johannesoffenbarung. Eine postmoderne Lektüre.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. XIV, 476 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 541. Lw. EUR 104,00. ISBN 9783161596339.

Rezensent:

Martin Karrer

Der Autor der Apk verrät in 1,9 seinen Namen, Johannes. Aber er tut dies eingebettet in einen literarischen Text. Alle Aspekte seiner Mitteilung sind im Wissen um den Abstand zu dem – vom Text aus gesehen – abwesenden Autor zu prüfen und in dieser Prüfung zwischen dem Text und den Lesern auszuhandeln. Der Autor ist überall im Text präsent oder besser mit dem Text verwoben. Daher ist die Anwesenheit des abwesenden Autors im Gesamttext zu beachten und gewinnt hohe Komplexität.

Dieser leicht nachvollziehbare Gedanke bildet die Grundlage für die vorliegende, sehr anregende Wiener Dissertation (Ev. Theol.) von Clarissa Breu. Sie holt die nun schon seit einem halben Jahrhundert verlaufende, durch Roland Barthes´ Essay »La mort de l’auteur« 1968 eröffnete Theorie-Diskussion über das Verständnis von Autorschaft in die neutestamentliche Exegese ein (Darstellung von Theorie und Forschung in Kapitel I und II, 7–111). Die Differenz der »postmodernen« Debatte nicht nur zur alten (und heute weithin der Vergangenheit überantworteten) Lektüre der Apk als Zeugnis eines höchst angesehenen und sicher identifizierten Autors Johannes ist dabei zu beachten. Auch Kritik an der rezeptionsästhetischen Wende, die in der neutestamentlichen Forschung gerne (unter anderem vom Rezensenten) aufgegriffen wurde, ist unabdingbar (50–60). Denn die Rezeptionsästhetik erlaubt noch den Gedanken, hinter den Impulsen des Textes an die Leser stünde eine Autorintention.

Die Skepsis der »postmodernen« Theoretiker und Theoretikerinnen und ihre Destruktion stellt das infrage (B. konzentriert sich auf Foucault und Derrida und vergleicht außerdem Agamben; 11–32). Die Struktur von Texten, die uns vorliegt, ist – um die Pointe möglichst scharf auszudrücken – ein Gewebe von Zeichen (signifiant), dem erst in der Lektüre ein Bezeichnetes (siginifié) zugeordnet wird; insofern geht der Autor dem Text nicht voraus, sondern wird der Autor erst in der Textlektüre konstituiert.

Die Radikalität dieser Theorie wird seit einigen Jahren literaturwissenschaftlich hinterfragt. Der Autor kehrt zurück, wenn man so will. Aber in dieser Rückkehr ist das neue kritische Bewusstsein und die mit ihm verbundene Distanz nicht mehr zu überspringen. B. fordert den unabdingbar komplexen Level der Diskussion ein (hinausgehend über Karen L. King, »What is an Author? Ancient Author-Function in [...] the Apocalypse of John«, FS J. S. Kloppenborg, 2016, 15–42). Das verzögert die Rückkehr des Autors in die Analyse und Auslegung der Apk mit Gewinn.

Verdeutlichen wir das Gemeinte im Blick auf »Johannes«, die Gestalt im Textgewebe, die mit dem »Autor« im Sinne des realen Produzenten des Textes in Beziehung zu setzen ist (vgl. die Definition von Autor, S. 2 mit Anm. 8 und bes. Kap. IV, 152-241): Die Analyse darf nicht vor dem Text beginnen, sondern liest das Textgewebe im Kontext der antiken und modernen Diskurse. Der antike Diskurs über den »Autor«, der als Stimme einer göttlichen Sphäre (der Musen o. Ä.) fungiere (den »poeta vates«), und über den »Autor«, der Vorbilder und vorhandenes Wissen aufgreife (den »poeta doctus«), gewinnt deshalb im Zusammenspiel mit der postmodernen Dis-tanz Gewicht (vgl. bes. 33–38). Im Gewebe der Apk begegnet beides, die für den poeta doctus wesentliche Rezeption von Vor-Texten (s. die vielen Schriftanspielungen, die der Leser bzw. die Leserin zu konstituieren vermag), und der Verweis über den innerweltlichen Autor hinaus auf göttliches Wirken (entsprechend dem poeta vates). An die Stelle des eindeutigen externen Autors tritt ein referenzielles Gefüge; das »Label« Johannes tritt in ein Verweissystem von Stimmen (Gott, Christus, Engel) ein; die Verschiebung der Perspektive erlaubt, die abwesende Anwesenheit des irdischen Autors ernst zu nehmen und in der Lektüre auf die »anwesende Abwesenheit Gottes« zu stoßen. Herkömmlich könnte man sagen: Der reale Autor verliert, die theologische Dimension der Apk gewinnt.

Durch den Diskurs der Lesenden kommen dann auch die älteren Autordiskussionen wieder ins Spiel. Das »Label« Johannes gewinnt in diesen Diskussionen Profil(e), allerdings erst sekundär (Identifikation mit dem Evangelisten etc.; bes. 240 f.). Vorrang verlangen die Diskurse, die durch den Text deutlicher provoziert werden, namentlich die Diskurse über Zeugenschaft und Prophetie (Kap. V, 242–346).

Zu beachten ist wieder die strenge Fragerichtung. In der Perspektive B.s ist nicht die vorgängige Intention des Autors zu erforschen, die das Gewebe von Zeugnisaussagen (ab 1,2) und Hinweisen auf Prophetie erstellte (einschließlich des Gegensatzes zu »Isebel«, die sich »Prophetin« nenne), sondern der Effekt des Textes, alias die Frage: »Was macht es mit Johannes, dass er sich als Zeuge und Prophet darstellt?« (344) Es macht – um kurz zu antworten – aus ihm eine Gestalt, die durch die Lesenden aktualisiert und verändert wird und auf die Weitergabe samt der Veränderung angewiesen ist.

Das schränkt die Kraft des Autors ein; nach B. ist es nicht legitim, Aktualisierungen des Textes durch Verweis auf den Autorwillen zu begrenzen. Zugleich stärkt es die Stimmen im Text; theologisch öffnet es den Text darauf, die Lesenden als Zeugen in den Text einzutragen (so pointiert bis zum Ergebnis 403). Die postmoderne Einschränkung ist theologisch insofern keinesfalls eine Entwertung des Textes, sondern eher dessen Öffnung. In Kauf zu nehmen ist zugleich, dass dann im lesenden Diskurs grundsätzlich auch Isebel, die prophetische Gegenstimme, aufgewertet werden kann (401 u. ö.). Die postmoderne Betrachtung von Autorschaft verlangt von der Lektüre eine Wahrnehmung der Komplexität, nicht eine Einschränkung gemäß einem Autorwillen, wie er herkömmlich rekonstruiert würde.

Das Profil der Arbeit ist mithin stringent und scharf. Gleichwohl wird man fragen müssen: Führt die stringente Profilierung nicht doch zu Überschärfen? Ich verzichte darauf, dies im Diskurs um den Autor darzustellen, und nenne stattdessen das noch nicht besprochene Kapitel der Studie über die Sprache der Apk (Kap. III, 112–151). Stimmig und konsequent dekonstruiert B. die in der Forschung gerne gezogenen Rückschlüsse aus dem auffälligen Griechisch der Schrift auf den textexternen Autor. Sowohl die These, für den Autor sei das Griechische eine nicht voll beherrschte Zweitsprache (Basis für die Thesen seiner Herkunft aus einem semitischsprachigen Umfeld), als auch die These, der Autor trete durch die Abweichungen rhetorisch einer Dominanz der griechischen Herrschaftssprache in seiner Zeit entgegen (die in post-kolonialer bzw. imperiumskritischer Betrachtung hohe Aufmerksamkeit verdient), sind ihrer Analyse zufolge Thesen des nachträglichen Diskurses, nicht Erschließungen des dem Text vorausgehenden Autors. An ausgewählten sprachlichen Härten (Kasuswechsel in 1,4; Tempuswechsel in 7,16 usw.) exemplifiziert sie das (117–138). All das ist gut nachvollziehbar, und dennoch fragt sich, ob die Exegese nicht auch vom Text aus (und nicht erst durch den Diskurs nach dem Text) Prioritäten setzen darf. B. braucht nämlich durchaus ihrerseits eine Vorentscheidung über den Text als Zeichenstruktur. Sie muss verlangen (von ihr als vorgängige These für die Sprach-analyse formuliert): »Die Sprache kann nicht vom Autor kontrolliert werden. Stattdessen formt sie den Autor und setzt der Suche nach seiner Intention Grenzen.« (116) Unbedingt zu konzedieren ist, dass dem Autor seinerseits, wenn er imperiumskritisch gelesen wird, Herrschaftssprache zugewiesen werden muss (er spricht von der Herrschaft Gottes und Christi). Aber erliegt er damit unkontrolliert der Sprache, oder trifft er als Autor eine Wahl? Der Diskurs lässt sich nach Ansicht des Rezensenten sprachlich und damit in der Konsequenz auch grundsätzlich für die Nachfrage nach dem Autor öffnen.

Das Verdienst von B.s Arbeit schränkt das nicht ein. Die konsequente Anwendung der »postmodernen« Theoriebildung ist ein großer Gewinn und relevant auch für andere neutestamentliche Schriften (B. setzt Impulse zum Transfer auf Evangelien, Act, Paulusbriefe, Deuteropaulinen und Hebr in Kap. VI; 347–391). Die künftige Diskussion um Autor und Autorintention kann nicht mehr unbesehen erfolgen, sondern muss das Gespräch mit der Kritik und den Impulsen wagen, die sich aus Breus Studie ergeben.

Die Studie ist durch Stellen- und Sachregister gut erschlossen und daher nicht nur für die Leitthese, sondern auch für Einzelfragen gut benutzbar.