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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1189–1191

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wohlthat, Kathrin

Titel/Untertitel:

Die ewige Gültigkeit des Gesetzes. Q 16,17 vor dem Hintergrund des Frühjudentums und des Matthäusevangeliums.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2020. 244 S. = Beiträge zum Verstehen der Bibel, 46. Geb. EUR 39,90. ISBN 9783643146496.

Rezensent:

Matthias Konradt

Das Logion Q 16,17 ist nicht nur von zentraler Bedeutung für die Erfassung des Gesetzesverständnisses der Logienquelle, sondern mit ihm verbinden sich zugleich auch so viele herausfordernde Fragen, dass die Untersuchung des Logions hinreichend Stoff für eine monographische Abhandlung bietet. Kathrin Wohlthat strukturiert ihre Erörterung dieses Verses in ihrer Studie, die auf ihrer von Markus Tiwald betreuten, 2019 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen angenommenen Dissertation beruht, in drei Hauptteile.

Der erste Hauptteil (3–82) dient in mehreren Schritten der Einführung in das Thema und in die Fragestellung. W. verweist auf die Pluriformität des Frühjudentums, zeigt auf, dass Tora nicht einfach mit dem Pentateuch identisch ist, sondern »jeweils eine an die Zeit angepasste Sammlung von Gesetzen aus verschiedenen Dokumenten« sei (15), und gibt einen konzisen Forschungsüberblick zum Thema Gesetzesverständnis der Logienquelle, in dem als – nur durch vereinzelte Nebenstimmen eingetrübten – magnus consensus markiert wird, dass die Geltung der ganzen (!) Tora und ihre zentrale Relevanz für die Trägergruppe nicht in Frage stand. Sie bietet sodann eine überblicksartige Einführung in die Logienquelle, die neben Gliederung und Entstehungsmodellen auch die Fragen nach Ort und Zeit der Entstehung (wohl im südlichen Syrien Mitte der 60er Jahre), dem Sitz im Leben und dem Trägerkreis (eine noch ganz im Judentum verankerte, allein der Israelmission verpflichtete Gruppe charismatischer Wanderprediger, die das Material inhaltlich gestalteten, das schlussendlich von Dorfschreibern verschriftlicht wurde) verhandelt, um schließlich Grundzüge der zutiefst jüdisch grundierten Theologie von Q zu skizzieren. Der erste Hauptteil wird abgeschlossen durch die Erörterung von Fragen der Rekonstruktion von Q 16,17. In kompositorischer Hinsicht schließt sich W. der Position an, dass die drei Logien Q 16,16.17.18 keine ursprüngliche Einheit in Q bildeten, sondern eine Zusammenfügung von Lukas darstellen. Des Näheren nimmt sie die These von Tiwald auf, dass Q 16,16 in Q in den Kontext des Täuferpassus in Q 7 gehöre, wahrscheinlich nach Q 7,28, während Q 16,17 (und eventuell auch Q 16,18) seinen Platz im Zusammenhang der Pharisäerpolemik in Q 11 gehabt habe. Auch im Blick auf die Rekonstruktion des Wortlauts legt W. keine eigene, neue These vor, sondern sie würdigt die vom International Q Project (IQP) und der Critical Edition of Q (hg. v. J. M. Robinson/P. Hoffmann/J. S. Kloppenborg, 2000) geleistete Arbeit, so dass sie wie die CEQ von folgendem Q-Wortlaut ausgeht: εὐκοπώτερον δέ ἐστιν τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν παρελθεῖν ἢ ἰῶτα ἓν ἢ μίαν κεραίαν τοῦ νόμου πεσεῖν (82).

Im zweiten Hauptteil (83–161) widmet sich W. der Frage der in Q 16,17 vorausgesetzten Dauer der Gültigkeit des Gesetzes. Sie beginnt mit einer Exegese von Q 16,17 in zwei Schritten (II.1, 85–126). Erstens bettet W. die durch die Rede von Iota (= kleinster Buchstabe) und Häkchen (= kleinstes Zierelement, 86–95) ebenso einprägsam wie emphatisch betonte Vorstellung, dass es unmöglich ist, dass auch nur ein winziges Element des Gesetzestextes vergeht, mit Verweis auf Josephus, Ant 1,17; EpArist 310 f.; Philo, Mos 2,14 f. 34 in frühjüdische Aussagen über die Unveränderlichkeit des Gesetzes ein (95–98). Zweitens weist sie durch eine Sichtung der Aussagen über das Vergehen von Himmel und Erde in biblischen und frühjüdischen außerbiblischen Texten nach, dass es sich dabei um eine geläufige Vorstellung handelt (98–125). Auf dieser Basis wendet sie sich dann der Frage zu, inwiefern Bestehen und Gültigkeit des Gesetzes am Bestand von Himmel und Erde hängen (II.2, 127–146). Die Option, dass das Gesetz zusammen mit der Welt vergeht, wird allein anhand von Forschungspositionen verhandelt (II.2.1, 127–131), während sie zur Option, dass das Gesetz ewig besteht, zur Sichtung von Quellen (z. B. 4Esr 9,37; 2Bar 59,2; 77,15; Tob 1,6; SapSal 18,4; Bar 4,1) zurückkehrt (II.2.2, 131–143). Eine wesentliche Manifestation findet die ewige Geltung des Gesetzes in seiner Bedeutung als Maßstab im Endgericht, die W. ebenfalls an einigen frühjüdischen Texten illustriert (II.2.3, 143–146). Der ewigen, vom Vergehen der Welt nicht affizierten Geltung des Gesetzes wird schließlich der Gedanke der Präexistenz des Gesetzes vor der Erschaffung der Welt zur Seite gestellt (II.3, 147–160). W. geht hier zum einen – mit Sir 24 als Ausgangspunkt – auf die Auffassung des Gesetzes als Naturgesetz und Schöpfungsordnung ein, wie sie allem voran bei Philo begegnet, zum anderen auf die in Qumrantexten anzutreffende Unterscheidung zwischen offenbarer und verborgener Tora. Das Ziel der Erörterung ist der Aufweis, »dass die Tora bereits vor der Schöpfung in Gott existierte und dass deren Existenz und Gültigkeit allein an Gott und nicht etwa an irdische Gegebenheiten gebunden ist« (159). Bedauerlich ist, dass die frühjüdischen Texte in diesem zweiten Hauptteil stets nur recht knapp abgehandelt und auf die von W. verhandelte Leitfrage hin ausgewertet werden, ohne sie in ihren eigenen Kontexten eingehender zu profilieren, also z. B. ohne Philos Aussagen über die Harmonie zwischen der Tora und dem Naturgesetz im Gesamtzusammenhang von Philos Expositio legis zu interpretieren und philosophiegeschichtlich zu kontextualisieren. Die Quellentexte werden ausführlich im Zusammenhang zitiert, aber dann eher noch einmal paraphrasiert als eingehend analysiert.

Nach dem stark traditionsgeschichtlich bestimmten zweiten Hauptteil widmet sich W. im dritten Hauptteil (163–219) der Aufgabe, Q 16,17 mit anderen – expliziten wie impliziten – Aussagen zum Gesetz in Q (z. B. Q 4,1–13; 7,2–9; 11,39–52; 16,18) zu verbinden und auf diese Weise das in Q zutage tretende Gesetzesverständnis im Ganzen zu erhellen (III.1, 167–185). W. betont, dass in Q keine Rangordnung unter den Geboten erkennbar sei; es würden nicht ethische Gebote höher und Reinheitsgebote geringer geachtet, sondern beide Bereiche würden »als gleichwertig nebeneinandergestellt« (179). Anders sei dies erst bei Matthäus, den W. im Gefolge ihres Doktorvaters Tiwald als »Nachlassverwalter« von Q versteht und dessen Gesetzesverständnis sie sich in Kapitel III.2 (187–214) zuwendet. Die zentrale Neuerung von Matthäus sieht W. eben darin, dass Matthäus zwar ebenfalls die volle Gültigkeit der Tora vertrete, diese aber mit einer Gewichtung zwischen den ethischen und rituellen Geboten verbinde. W. betont zugleich, dass damit die kleineren Gebote keinesfalls abrogiert würden (192). Auch zu Matthäus richtet W. ihr Augenmerk darauf, die mt Position frühjüdisch einzubetten. Das Fazit (III.3, 215–219) fasst die Ergebnisse bündig zusammen.

Im Ganzen betrachtet, liegt der innovative Wert der Studie weniger in neuen Erkenntnissen zu einzelnen Texten oder Text-aspekten – W. schließt sich hier vielmehr im Regelfall etablierten Positionen an –, sondern eher in dem Gesamtmosaik, das sie entstehen lässt. So gebührt W. das Verdienst, das Logion Q 16,17 in seinen unterschiedlichen Facetten umfassend erörtert, traditionsgeschichtlich eingebettet und auf diese Weise aufgewiesen zu haben, dass die Logienquelle ein wichtiges Bindeglied zwischen Frühjudentum und entstehendem Christentum darstellt.