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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1185–1187

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Oegema, Gerbern S. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Oxford Handbook of the Apocrypha.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 08/2021. 568 S. = Oxford Handbooks. Geb. £ 97,00. ISBN 9780190689643.

Rezensent:

Stefan Krauter

Ein Handbuch der Apokryphen herauszugeben ist eine Herausforderung: Je näher man seinem Gegenstand kommt, umso undeutlicher wird er. Mag in bestimmten Teilen der evangelischen kirchlichen Tradition zunächst eindeutig scheinen, was »die Apokryphen« sind, so werden, wenn man andere christliche Tradi-tionen einbezieht, Auswahl, Textform, Bezeichnung und Geltung der Schriften immer diverser. Geht man von der christlichen Rezeption zurück zur Entstehung der Texte im antiken Judentum, wird vollends unklar, worin ihre Charakteristika bestehen sollen. Weder aufgrund ihrer Abfassungssprache noch ihres Herkunftsmilieus, ihrer Gattung, ihrer Entstehungszeit oder ihrer Rezeption lassen sie sich von anderen Texten sinnvoll abgrenzen.

Das Oxford Handbook begegnet diesen konzeptionellen Schwierigkeiten einerseits recht pragmatisch, andererseits geht es explizit auf sie ein. Letzteres gilt vor allem für die einleitenden Beiträge in Teil I »The Apocrypha in Judaism and Christianity«. Der Herausgeber Gerbern Oegema (»The Apocrypha in the Context of Early Judaism«), Kristin de Troyer (»The Apocrypha, the Septuagint and Other Greek Witnesses«), Lee Martin McDonald (»A Canonical History of the Old Testament Apocrypha«), Tobias Nicklas (»The Apocrypha in the History of Early Christianity«) und Matthew J. Korpman (»The Protestant Reception of the Apocrypha«) zeigen jeweils unter verschiedenen Aspekten wie etwa handschriftlicher Überlieferung, Abfassungssprache und Versionen, Zitaten und Bewertungen in theologischen Schriften, wie fluide der Gegenstand des Handbuchs ist. Insbesondere die Beiträge von McDonald, Nicklas und Korpman sind sehr gelungen. Sie zeichnen die Komplexität verschiedener Rezeptionsstränge nach, etwa die weder synchron noch diachron einheitliche Wertung der Schriften im reformatorisch geprägten Christentum, verlieren sich darin aber nicht, sondern zeigen doch hilfreich und klärend grundlegende Strukturen auf.

Der Mittelteil des Buches ist demgegenüber eher pragmatisch (oder auch konventionell). Nach »Gattungen« gruppiert werden jeweils nach einer übergreifenden Einleitung die einzelnen Schriften, darunter nun auch solche, die in üblichen Ausgaben der Septuaginta oder in den Bibelübersetzungen verschiedener Konfessionen nicht abgedruckt werden, vorgestellt: »Historical and Legendary« (1. Esdras/3. Esra, Baruch, Judith, 1.–4. Makkabäer), »Apocalyptic« (2. Esdras/4.-6. Esra), »Didactic« (Sirach, Tobit, Weisheit Salomons), »Additions to Biblical Books« (Zusätze zu Daniel, Zusätze zu Esther, Brief Jeremias, Gebet Manasses, Psalmen 151-155). Es ist nicht möglich, diese Beiträge im Einzelnen zu besprechen. Viele davon sind vorzüglich (exemplarisch sei Beate Egos Beitrag zu Tobit genannt) und bieten, wie man es in einem Handbuch erwartet, einen Überblick über Entstehung, Überlieferung, Inhalt und zentrale Themen der besprochenen Schrift. Andere sind zwar von kenntnisreichen Experten verfasst, aber in ihrem Aufbau und ihrer Akzentsetzung für ein einführendes Handbuch wenig geeignet (z. B. der Beitrag von Doron Mendels über 1. Makkabäer). Andere sind in sich sehr unterschiedlich, z. B. 2. Esdras von Shayna Sheinfeld, der zwar zu 4. Esra up to date ist, zu 5. Esra hingegen auf einem einzigen, veralteten und vielfach widerlegten Aufsatz beruht und die inzwischen erschienenen grundlegenden Beiträge von Theodore Bergren ignoriert.

Auffällig ist auch, dass die Beiträge sehr unterschiedlich sorgfältig lektoriert sind. Die Zahl wirklich schlimmer, sinnentstellender Fehler oder auch die umgebrochene und völlig unverständliche Graphik (119 f.) sind ärgerlich. Für manches, wie z. B. die für Uneingeweihte sehr verwirrende Nummerierung der Esdras- bzw. Esrabücher wäre eine Erklärung und auf ihr beruhende im ganzen Band einheitliche Benennungspraxis gut gewesen.

Ein dritter Teil bietet thematische Querschnitte. Die Beiträge gehen mit den konzeptionellen Schwierigkeiten unterschiedlich um. Carla Sulzbach löst, aus jüdischer Perspektive konsequent, die Kategorie »Apokryphen« auf und untersucht die Texte als »outside books« (453), d. h. von den Rabbinen nicht als autoritativ anerkannte Schriften. Dabei konzentriert sie sich darauf, wie Entwicklungen in der Halacha zwischen den Texten des Tenach und der Mischna in diesen Schriften sichtbar werden. Sara Parks (»Women and Gen-der in the Apocrypha«) geht vor allem forschungsgeschichtlich vor und zeigt am Beispiel von vier Frauengestalten (Judith, Esther, Susanna, die Mutter der makkabäischen Märtyrer), wie sich Trends der Frauen- bzw. Genderforschung an (proto-)kanonischen Texten meist etwas zeitverzögert auch in der Forschung zu Apokryphen niedergeschlagen haben. Gerbern Oegema bestimmt zu seinem Thema »Theology and Ethics in Early Judaism« zunächst »theological axes« (501) und geht ihnen dann nicht nur in den Apokryphen, sondern durch die ganze Literatur des antiken Judentums und entstehenden Christentums nach. William Loader untersucht »Sex-uality in the Apocrypha« hinsichtlich der einzelnen Schriften, ohne übergreifende Zusammenhänge herzustellen. Differenziert und anregend, aber angesichts der Menge und Bedeutung der Themen (wie z. B. Auferstehungsvorstellungen, Messiaserwartung) doch recht kurz ist der Beitrag »Biblical Theology and the Apocrypha« von David A. deSilva.

Insgesamt wird man sicherlich urteilen können, dass das Oxford Handbook of the Apocrypha die Herausforderungen eines Handbuchs über »die Apokryphen« angeht und auch oft meistert. In manchem hätte man sich allerdings doch mehr Struktur und Sorgfalt gewünscht.