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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1181–1183

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wiesehöfer, Josef

Titel/Untertitel:

Iran – Zentralasien – Mittelmeer. Gesammelte Schriften Teil I: Studien zur Geschichte der Achaimeniden. Hgg. v. R. Rollinger u. K. Ruffing.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2022. VIII, 246 S. m. 5 Abb. u. 8 Tab. = Altertumswissenschaftliche Beiträge, 159. Kart. EUR 68,00. ISBN 9783447118255.

Rezensent:

Christian Frevel

Das vorzustellende Buch ist der erste von vier geplanten Bänden, die ausgewählte Schriften des renommierten Kieler Althistorikers Josef Wiesehöfer wieder abdrucken. Die drei folgenden Bände sollen dem Hellenismus, den Arsakiden und Sasaniden sowie der Wissenschaftsgeschichte gewidmet sein. Die vierzehn in dem Band versammelten Beiträge zeichnen sich durch eine mit stupender Gelehrsamkeit kombinierte Leichtigkeit aus. Sie lassen sich wunderbar lesen und ergeben zusammen nicht nur einen Eindruck von der Vielfalt des Schaffens von W., sondern es entsteht aus dem Mosaik der Beiträge zugleich geradezu eine Einführung in die Darstellung der persischen Herrschaft: ihre Personen, Zentren, Organisationsformen, Herrschaftsmittel und vor allem ihre Selbstzeugnisse und antiken Fremdzeugnisse. Ein gutes Beispiel dafür sind die beiden Beiträge »Günstlinge und Privilegien am Achaimenidenhof« und »Die ›Freunde‹ und ›Wohltäter‹ des Großkönigs«. Die an Loyalität und Kooperation orientierte Herrschaftsorganisation am Hof wird bis ins Detail beschrieben, kontextualisiert und bewertet. Die Gabenökonomie der polydoria, der Verlust der Gunst oder die inszenierte höfische Rivalität kommen dabei zur Sprache (ein »Leckerbissen« für Fachgelehrte sind die in der Auswertung vor allem von Herodot, Ktesias, Xenophon und Strabo kategorisierten namentlichen Listen der beschenkten Personen, 103–110).

Fast alle Beiträge beginnen mit einem Zitat einer altpersischen Inschrift oder eines antiken Schriftstellers. Darüber hinaus streut W. immer wieder längere Zitate von Inschriften der Achämeniden oder Passagen der griechischen Historiker ein, sodass ein Eindruck davon entsteht, wie sich das historische Wissen über die Achämeniden zusammensetzt. Dabei spielt durchgehend eine von Sympathie und Kritik getragene Bewertung und Einordnung der Quellen eine wichtige Rolle, vor allem bei Herodot (etwa in dem Beitrag »Herodot und Zypern«) oder den nur über Dritte überlieferten Schriftstellern wie Ktesias von Knidos. So gibt der Titel »Ctesias, the Achaemenid Court, and the History of the Greek Novel« das wieder, was die Stoßrichtung der Beschäftigung mit der Persiká des Ktesias aus dem 5./4. Jh. v. Chr. ist. Die unsystematische und historisch kaum getreue Darstellung der höfischen Strukturen am Beispiel Artaxerxes II. (405/04–359 v. Chr.) wird besprochen: »I would say that Artaxerses’ Ctesianic court is not marked by internal order, steady rules and dependable communication structures, but the uncertainty of positions (including that of the king) and of hierarchies as well as – I quote Montesquieu’s description of the French Early-Modern court – ›fear of truth, flattery, betrayal, falseness …‹ of the people at court determine the scene.« (35) Der zweite Teil des Aufsatzes thematisiert von da aus die schriftstellerische Bedeutung der fiktionalen und novellistischen Geschichtsschreibung des Ktesias jenseits historischer Informationen. Dabei fragt W. nach den Absichten und Wirkungen der Darstellung. Der Schlusssatz unterstreicht, wie zentral die Persiká für die Nachgeschichte gewesen ist: »Thus Ctesias has helped to lay the founda- tion of the caricature of an ›oriental despotism‹, to colour that image and to implant it into the heads of Greeks and Romans and their post-ancient admirers.« (41)

Auch für Lesende ohne große Vorkenntnisse lassen sich die Beiträge gut lesen und ergeben auch jeweils für sich genommen Sinn. So z. B. der interessante Beitrag »Bergvölker im antiken Nahen Osten: Fremdwahrnehmung und Eigeninteresse«, der die verfügbaren historischen Informationen des Mederreiches, der Karduchen, der Uxier und der Kyrtier im Austauschraum des Zagrosgebirges zusammenstellt und deren sekundäre Staatenbildung vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Vereinnahmung für eine kurdische Vorgeschichte bewertet. In allen Fällen ergeben sich politische Besonderheiten im Zusammenspiel dieser Ethnien mit den jeweiligen Großmächten, aber in keinem Fall eine belastbare Verbindung zu den Kurden.

Vielfach sind es die gedrängten Überblicke, die gekonnt die rekonstruierte Geschichte verdichten und zugleich eine Weite haben, die das Riesenreich der Perser umspannt. Beispiele dafür sind die Kurzcharakterisierung der Herrschaft des Darius im Aufsatz über die Ermordung des Xerxes oder in dem Aufsatz »Greeks and Persians« der Abschnitt »559–479 A Short History of Events«.

Alle Aufsätze sind mit einem knappen Addendum versehen, in dem einige neuere Literatur nachgetragen wird. Abgeschlossen wird der Band durch ein ausführliches sehr nützliches Register.

Exemplarisch seien abschließend einige Aufsätze detaillierter vorgestellt, die für Bibelwissenschaftler von größerer Bedeutung sind, zumal einige davon eine bedeutende Wirkungsgeschichte gehabt haben. Die Auswahl fällt nicht leicht, da in nahezu jedem Beitrag Aspekte zur Sprache kommen, die für das tiefere Verständnis der biblischen Literatur und der im Hintergrund stehenden Geschichte von Bedeutung sind. Zunächst sei auf einen Beitrag hingewiesen, in dem vom Paradies mehrfach die Rede ist. Es ist vor allem die Beiläufigkeit, in der W. sein so detailliertes Wissen präsentiert. »›Das Wasser des Königs‹: Wohltat, paradiesischer Lebensspender und herrscherlicher Genuss« führt in gelehrter Leichtigkeit in die symbolische und reale Bedeutung der Ressource Wasser ein, skizziert Techniken der Bewässerung und gibt ganz nebenbei Hinweise zur Gabenökonomie, die den Status des Höhergestellten bestätigt, aber auch zu den geglückten Audienzen des Großkönigs, die nicht nur in Apadana stattfanden. Schließlich werden die Gartenanlagen als »agrikulturelle Meliorationsanlagen« vorgeführt und die persischen Anlagen beschrieben, die im »Paradies« ihren Widerhall gefunden haben.

Ganz sicher aber gehört zu den für Bibelwissenschaftler zentralen Themen die These von der sog. persischen Reichsautorisation der Tora, mit der sich W. in zwei Beiträgen ausführlicher beschäftigt. Wegweisend war die kritische Diskussion der These von Klaus Koch und Peter Frei in dem Aufsatz »›Reichsgesetz‹ oder ›Einzelfallgerechtigkeit‹? Bemerkungen zu P. Freis These von der achaimenidischen ›Reichsautorisation‹«, in dem die Beispiele der Rechtssetzungen diskutiert und aus iranistischer Perspektive eingeordnet werden. Das Fazit zu der Diskussion lässt sich dem für Alttestamentler sehr lesenswerten Beitrag »Law and Religion in Achaemenid Iran« entnehmen:

»In contrast to Frei and the adherents of the imperial authorization theory in Biblical Studies, this author is convinced that in the Achaemenid Empire the norms set on a local level were only adopted and ratified on a central level when they are relevant to ruling politics and universally applicable to the entire empire. In those texts that are not from the Hebrew Bible and in Artaxerxes’ rescript in the Book of Ezra, which Frei cited to support his thesis, he finds no evidence that anything like a ›Persian imperial law‹ existed in which local norms were adopted as imperial norms. The author has difficulty with such an idea […] .« (193)

Gerade weil sich das Perserreich dann doch nicht grundsätzlich von anderen Imperien unterschied, bleibt W. hier zu Recht skeptisch. Mindestens ebenso ertragreich für den Einfluss auf die Tora wie lokale Rechtsetzungen sind die achämenidische Königsideologie, die Rolle Ahura Mazdās und der damit verbundene zentrale Rechts- und Ordnungsbegriff dāta. Die relativ geringe Bedeutung Yehuds in dem Riesenreich der Perser wird auch in dem Beitrag »Achaemenid Rule and its Impact on Yehud« deutlich. W. bietet eine allgemeine Einführung in die Herrschaftsentwicklung der Achämeniden, ihre Strukturen und Legitimationsstrategien. Er erläutert zentrale Konzepte (wie etwa dāta, drauga, ra oder farnah), die Auffassung von Recht und Gerechtigkeit, das kosmische Rahmenwerk oder die zentrale Rolle Ahura Mazdās für die Legitimation der Herrschaft. Aus all dem ergibt sich eher ein nur impliziter Einfluss auf die Provinz Yehud, deren wichtigste historische Fragen auf zwei Seiten am Ende des Aufsatzes angerissen werden. Gerade weil für das Verständnis der achämenidischen Herrschaft Yehud eher keine Schlüsselposition zukommt, kann die nüchterne Einschätzung des international herausragenden Experten nur zur Lektüre empfohlen werden. So ist z. B. »Die Ermordung des Xerxes: Abrechnung mit einem Despoten oder eigentlicher Beginn einer Herrschaft?« weit mehr als ein spannendes Whodunit unter den drei Söhnen des Xerxes, denn der Beitrag entfaltet gekonnt den zweiten Teil des Titels durch die veränderte Organisation der Herrschaft des Artaxerxes und die Korrektur der eingeübten Abwertung der Xerxes-Herrschaft. »Erst wenn man in Dareios einen Usurpator erkennt, wird der Blick frei für einen Xerxes, der – dank väterlichen und mütterlichen Erbes – zum eigentlichen Dynastiegründer wird und dem es gelingt, die vom Vater vererbte Herrschaft und das vom Vater übernommene Reich zu sichern; er wird auch frei für einen Artaxerxes, der als eigentlicher Schöpfer genuin achaimenidischer Herrschaftspraxis dem Reich Stabilität und der Dynastie Kontinuität verschafft.« (73)

Die vielfältigen Einblicke in die persische Geschichte werden abgeschlossen durch einen Beitrag, der sich mit der Vorgeschichte der mittelalterlichen Translatio imperii beschäftigt und seinen Ausgangspunkt in Beobachtungen zu Dan 2 nimmt. Herodot hat die Spur gelegt und die Meder mit in die Sukzessionslinie integriert. Die Einordnung der frühen medischen Herrschaft, die W. wie die Zentralität der Herrschaft der Achämeniden ein Forscherleben lang beschäftigt hat, blitzt am Ende des ausgesprochen gelungenen Buches in dem »The Medes and the Idea of the Succession of Empires in Antiquity« getitelten Beitrag noch einmal auf und relativiert ein wenig die in der Daniel-Rezeption begründete dominante Perspektive:

»Neither in the Greco-Roman nor in the early Jewish tradition did the Medes lose this prominent position and function, although both civilizations had never experienced Median rule. It was only in later Jewish and in Christian literature […] that the second kingdom of the Book of Daniel became identified as Medo-Persian, thus depriving the Medes of their independent role in world history.« (135)