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Ausgabe:

Dezember/2022

Spalte:

1166–1169

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jäger, Sarah

Titel/Untertitel:

Jenseits des Patriarchats. Ansätze feministischer Theologie. = FEST kompakt, 2.

Verlag:

Heidelberg: heiBOOKS (Universitätsbibliothek Heidelberg) 2021. 96 S. Kart. EUR 18,90. ISBN 9783948083243.

Rezensent:

Jantine Nierop

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Feddersen, Jan, u. Philipp Gessler: Kampf der Identitäten. Für eine Rückbesinnung auf linke Ideale. 2. Aufl. Berlin: Ch. Links Verlag 2021. 256 S. Kart. EUR 18,00. ISBN 9783962891244.
Schwarzer, Alice, u. Chantal Louis [Hgg.]: Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2022. 224 S. Kart. EUR 15,00. ISBN 9783462002676.


Von den Journalisten Jan Feddersen (taz) und Philipp Gessler (ehemals taz und Deutschlandfunk Kultur, jetzt zeitzeichen) erschien im letzten Jahr die Streitschrift »Kampf der Identitäten. Für eine Rückbesinnung auf linke Ideale«. Zuerst machen die Autoren klar, dass Identitätspolitik sowohl für einen politischen Ansatz steht als auch für ein Theoriegebäude. Beide beabsichtigen, diskriminierte Gruppen der Gesellschaft in den Blick zu nehmen, um deren Situation zu verbessern bzw. ihre Anerkennung und Sichtbarkeit zu erhöhen. Diese Gruppen definieren sich »vor allem durch ihre ethnische, sexuelle oder kulturelle Prägung oder durch äußere Merkmale wie etwa die Hautfarbe oder ›Behinderungen‹, die sie von der Mehrheitsgesellschaft oder den mächtigen Gruppen in der Gesellschaft unterscheiden. […] Die (besondere) Prägung dieser Gruppen wird dabei oft als so bestimmend gesehen (oft sowohl innerhalb wie außerhalb der Gruppe), dass sie als essentieller Teil auch ihrer einzelnen Angehörigen betrachtet wird, also als ein Merkmal, ohne das die jeweilige Person kaum verstanden werden kann.« (30) – Mit anderen Worten: Dieses eine Merkmal gilt als identitätsbestimmend, als die Identität.

Nach der theoretischen Einführung beleuchten die Autoren verschiedene Orte, wo man identitätspolitische Ansätze gegenwärtig verstärkt wahrnehmen kann: an den Hochschulen, in der Kulturszene und in den Medien. Hier wird sinnvollerweise zwischen den USA und Deutschland unterschieden. Auch wenn die Entwicklungen hierzulande im Vergleich zu der in mancher Hinsicht vollends eskalierten Situation in den USA noch harmlos anmuten, ist doch keineswegs Entwarnung angesagt. Anhand von vielen Beispielen wird klar, welche skurrile und auch gefährliche Blüten diese Bewegung bisweilen treibt – und wie durch sie längerfristige gesellschaftliche Spaltungen eher verschärft werden als abnehmen. Wenn Menschen im Zuge einer »strategischen Essentialisierung« nicht mehr als Individuum wahrgenommen werden, sondern nur noch als Teil einer Gruppe mit ihrer jeweiligen »Betroffenheit«, geht auf Dauer eine gemeinsame Perspektive verlo- ren – und dies gefährdet letztendlich die Demokratie. Ebenso tun dies »Cancel Culture« und Sprechverbote, wie Feddersen und Gessler überzeugend darlegen. Man sollte diese Phänomene deshalb nicht banalisieren oder wie eine Art Kollateralschaden einer notwendigen kulturellen Revolution hinnehmen.

Im Verlauf des Buches springt vor allem der sehr kritische Abschnitt über die Abgründe der Trans*-Bewegung ins Auge. Die Autoren stellen ausführlich deren ideologische Vorgeschichte in der Queertheorie der amerikanischen Philosophin Judith Butler dar. Demnach sind die biologischen Geschlechter Mann und Frau nur noch soziale Konstrukte und keine naturgegebenen Tatsachen mehr. Die Biologie wird nicht länger als beschreibende neutrale Naturwissenschaft gesehen, sondern als normierende und unterdrückende Macht. Anstelle des biologischen Geschlechts tritt in der Queer-Bewegung eine gefühlte »Geschlechtsidentität«, die als angeboren gilt. Die Begriffe Mann und Frau sind Identitätsvokabeln geworden, und zwar zur selbstbestimmten Identifikation: Menschen erklären sich selbst per einfacher Willensäußerung zu Mann oder Frau. Dagegen halten die Autoren fest: »Durch keinen Willensakt der Welt sind die biologischen Fakten (mit ihren psychischen Folgen und gesellschaftlichen Voraussetzungen) aus der je eigenen Wirklichkeit zu tilgen.« (150) Sie beschreiben eingehend den Widerstand vieler Feministinnen gegen das Verschwinden des Wortes Frau im herkömmlichen Sinne – allen voran die Kritik der britischen Schriftstellerin J. K. Rowling im Sommer 2020 an der Ersetzung dieses Wortes durch den Ausdruck »Menschen, die menstruieren«. Vergewaltigungswünsche und Morddrohungen waren die bittere Folge ihres Einspruchs. Am Ende resümieren die Autoren: »Trans*-Aktivismus, die grellste Blüte der Identitätspolitik, ist nicht harmlos, er ist mehr als die laute Artikulation einer diskriminierten Minderheit vor allem in den Sozialen Medien. Er birgt vielmehr die Gefahr in sich, jeden Fortschritt für Schwule, Lesben, Trans*- und Intermenschen zurückzudrehen. Und nicht zuletzt durch die tendenzielle Abschaffung der biologischen Kategorie ›Frau‹ […] wird er am Ende auch der Frauenbewegung schaden.« (161)

Mit achtzehn pointierten Thesen schließen Feddersen und Gessler ihr durchweg gut informiertes und sehr lesenswertes Buch ab. Sie zielen alle in eine Richtung: Das an und für sich berechtigte Anliegen einer Identitätspolitik, die gegen Rassismus und andere Traditionen der Benachteiligung kämpft, soll aufgenommen werden, aber als gemeinsames Projekt einer ganzen Gesellschaft: »Das Bessere ist machbar, mit allen, durch alle.« (220)

Eine weitere hier zu besprechende Streitschrift, die sich ebenfalls, aber ausschließlich, mit dem Thema Transsexualität und Feminismus befasst, ist der Sammelband »Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?«, den die beiden Emma-Journalistinnen Alice Schwarzer und Chantal Louis dieses Jahr herausgegeben haben. Gleich am Anfang erklärt Schwarzer den Unterschied zwischen Transsexualität, verstanden als Geschlechtsdysphorie – einem schweren seelischen Konflikt, der oft mit einer heftigen Ablehnung des eigenen Geschlechtskörpers einhergeht – und dem gegenwärtig vermehrt zu beobachtenden Phänomen, dass (junge) Menschen sich im Rahmen der Queer-Theorie aufgrund einer gefühlten inneren »Geschlechtsidentität« zu Mann oder Frau oder non-binär erklären und sich dann den dazu »passenden« Körper wünschen. Was Schwarzer beunruhigt, ist die Tatsache, dass eine solche gefühlte differente Geschlechtszugehörigkeit oftmals nichts anderes zu sein scheint als eine sogenannte »Gendernonkonformität«: die Nicht-Übereinstimmung mit traditionell-männlichen oder -weiblichen Geschlechterrollen und den damit einhergehenden Geschlechterklischees. Besonders beunruhigend sei dabei die regelrechte Explosion der Trans-Zahlen. Unumwunden schreibt Schwarzer: »Trans ist Trend. Immer mehr Mädchen und junge Frauen geraten in den Gendertrouble. Sie halten ihr so berechtigtes Unbehagen an der zunehmend widersprüchlich werdenden Frauenrolle für ›transsexuell‹.« (11) In der Tat stimmt die Zahl, die Mitherausgeberin Louis in ihrem Beitrag nennt, nachdenklich: »In Großbritannien meldet die Londoner Tavistock-Klinik mit ihrer Gender-Ambulanz einen Anstieg ihrer minderjährigen PatientInnen von 50 im Jahr 2009 auf über 2000 in 2017.« (23) Nota bene: Mittlerweile wurde die Tavistock-Klinik geschlossen, weil britische Behörden die Sicherheit der dort behandelten Kinder und Jugendlichen nicht länger gewährleistet sahen. – Auch in Schweden hat sich die Zahl der Fälle vervierzigfacht. Für Deutschland liegen leider keine Gesamtzahlen vor. Laut Recherchen der Zeitschrift Spiegel berichten deutsche Gender-Ambulanzen allerdings, dass inzwischen acht- bis zehnmal so viele Mädchen mit ihrem Geschlecht hadern wie Jungen. Diese Entwicklung gibt es in allen westlichen Ländern.

In den anschließenden Beiträgen wird das Phänomen Transsexualität aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Zu Wort kommen Psychiater, Therapeuten, Pädagogen und Betroffene (bzw. deren Eltern). Besonders interessant ist das Interview mit Dr. Alexander Korte, Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums München. Aus seiner Sicht ist »Geschlechtsidentität« ein sehr problematischer Begriff, wenn sie als angeboren konzeptualisiert wird. »Das ist befremdlich für jeden, der sich mit Identitäts- und Selbstentwicklung beschäftigt. Persönlichkeit und Identität werden eigentlich immer als das Ergebnis unseres Aufwachsens betrachtet, das heißt unserer individuellen Bindungs-, Beziehungs-, und Körpergeschichte. Und eben nicht als etwas, was uns statisch in die Wiege gelegt wurde.« (110) Korte zufolge unterliegt eine weibliche Person, die behauptet, eigentlich ein Junge zu sein, faktisch einer Fiktion. Gefährlich wird diese Fiktion dann, wenn sie mit dem Wunsch nach körperverändernden Maßnahmen einhergeht. Immer häufiger werden jungen Kindern sogenannte »Pubertätsblocker« gegeben. Dazu sagt Korte: »Es gibt immer mehr Studienergebnisse, die den Einsatz von Pubertätsblockern bei geschlechtsdysphorischen Kindern bedenklich erscheinen lassen. Wir wissen noch viel zu wenig, was wir da anrichten.« (113) Ganz konkret gibt es ernst zu nehmende Hinweise auf eine leichte IQ-Minderung sowie Veränderungen bei der Knochendichte. Korte betrachtet Geschlechtsdysphorie als eine »moderne« Störung, vergleichbar mit Anorexie (Magersucht). Beide sind letztendlich Versuche, einen tiefgreifenden Körperkonflikt zu bewältigen. Da die körperliche und psychosexuelle Entwicklung bei pubertären Mädchen anders verläuft als bei Jungen, sind Erstere in der Hinsicht mehr gefährdet als Letztere. Zum Schluss plädiert Korte für eine neue Art von Vielfalt: Jeder Mensch soll sein Leben so gestalten, wie er möchte, ohne deswegen seinen Körper zu verstümmeln. Hier muss man wissen, dass auf Pubertätsblocker sehr oft gegengeschlechtliche Hormone sowie chirurgische Operationen an den Geschlechtsorganen folgen, wie beispielsweise die Mastektomie, die Entfernung der Brüste.

Aufschlussreich ist auch der gemeinsame Beitrag der Pädagogik-Professoren Marion Felder (Universität Koblenz) und Bernd Ahrbeck (IPU Berlin) über den problematischen Einfluss von Transaktivisten auf Schule und Unterricht. Im Fokus ihrer Analyse steht die Broschüre »Trans* und Schule. Infobroschüre für die Begleitung von trans* Jugendlichen im Kontext Schule in NRW« aus dem Jahr 2020. Die Broschüre vertritt ein sogenanntes »trans-affirmatives Modell«. Die eigene Geschlechtsidentität wird demnach nur im Inneren erfahren. Wenn sie nicht übereinstimmt mit dem bei der Geburt »zugewiesenen« Geschlecht, sollen Jugendliche ihrem Gefühl, dem »authentischen Selbst«, folgen. Medizinische und therapeutische Erkenntnisse, die sich tiefergehend mit Transitionswünschen bei Kindern und Jugendlichen beschäftigen, sucht man in der Broschüre vergebens. Hochproblematisch ist auch die Verwendung des Begriffs »Coming-out«, der eine Analogie zur Homosexualität suggeriert, die wissenschaftlich nicht haltbar ist, da sich die sexuelle Orientierung auf andere Menschen bezieht und, abgesehen davon, nicht zu irreversiblen Eingriffen in gesunde Körper führt.

Besonders gravierend erscheinen diese Eingriffe im Wissen darum, dass schwedischen Untersuchungen zufolge der Transitionswunsch bei Mädchen im Alter von 13 bis 17 Jahren sehr oft mit Komorbiditäten wie Angststörungen, Depressionen, ADHS oder Autismus einhergeht. Da klingt die Frage der Herausgeberin Louis in ihrem mit »Alarmruf« überschriebenen Beitrag nur logisch: »Wird die Transition, also die Möglichkeit, ›jemand anderes‹ zu werden, als potentielle Lösung für Probleme gesehen, die eigentlich woanders liegen?« (25) Diese Fragestellung bildet faktisch die Kernfrage ihres wichtigen Buches, das sowohl aufklären als auch aufrütteln möchte. Dass in ihm wissenschaftliche Experten und Betroffene gleichermaßen zu Wort kommen, ist das große Verdienst von Schwarzer und Louis.

Die brisanten Debatten um Identität und Geschlecht haben auch die feministische Theologie erreicht. In ihrem Buch »Jenseits des Patriarchats. Ansätze feministischer Theologien«, das letztes Jahr in der Reihe »FEST kompakt. Analysen – Stellungnahmen – Perspektiven« erschienen ist, beschreibt Junior-Prof. Dr. Sarah Jäger (Universität Jena) die Queertheorie von Judith Butler als Grundlage eines dekonstruktivistischen Feminismus, den sie vom Gleichheits- und Differenzfeminismus abgrenzt. Denn nach Butler »gäbe [es] also keinen geschlechtlichen Körper per se, vielmehr konstruierten wir ihn immer wieder aufgrund unserer sprachlichen Äußerungen« (19). Jäger konstatiert allerdings, dass dieser Ansatz bisher nur zögernd in der theologischen Forschung aufgenommen wurde. Auch ihr eigenes Plädoyer für eine kontextuelle, geschlechterbewusste Theologie der Gegenwart tut dies nicht und fußt auf der Materialität der Geschlechter. Nachdem sie in drei zeitlich geordneten Abschnitten jeweils drei markante Theologinnen behandelt hat (unter anderen Mary Daly, Dorothee Sölle und Ina Praetorius), skizziert sie die Perspektiven einer solchen Theologie am Ende ihres Buches in zehn Thesen und eine Vision. Jäger zufolge ist eine feministische Theologie der Gegenwart »aktivistisch und handlungs- bzw. praxisorientiert, insofern sie auf eine aktive Gestaltung von Welt und soziopolitischer Realität abzielt« (81). Geschlechterstereotypen sollen stets hinterfragt werden. Dagegen müssen reale Erfahrungen von Geschlecht mit ins theologische Nachdenken einbezogen werden. Die Konturen dieser gleichzeitig kritischen und politischen feministischen Theologie stimmen hoffnungsvoll. Meines Erachtens sollte sie deutlich und unmissverständlich Stellung beziehen in der gegenwärtigen Identitätsdebatte und Geschlechterfrage. An der Notwendigkeit einer solchen Stellungnahme lassen die Bücher von Feddersen und Gessler sowie von Schwarzer und Louis wenig Zweifel.