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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1097–1099

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Knobloch, Stefan

Titel/Untertitel:

Uneindeutig glauben. Von der Vielfalt der christlichen Botschaft.

Verlag:

Ostfildern: Grünewald Verlag (Verlagsgruppe Patmos) 2022. 144 S. Geb. EUR 17,00. ISBN 9783786732969.

Rezensent:

Gerhard Wegner

Angesichts seiner Krise wächst die Zahl von Darstellungen des christlichen Glaubens für moderne Zeitgenossen rasant. Stefan Knobloch tut dies als emeritierter Professor für Pastoraltheologie an der Uni Mainz mit einer vom 2. Vaticanum und dem aktuellen Papst erneuerten dezidiert römisch-katholischen Grundhaltung. Seine Kernthese lautet, dass nicht die Menschen mit dem Glauben, sondern der kirchliche Glaube mit dem »Leben der Menschen in Individualität und Freiheit« (71) gebrochen hätte. Er werde als von außen auferlegte Fremdbestimmung empfunden. Es ginge mithin um Entkirchlichung – aber in keiner Weise um eine Glaubenskrise. Menschen lebten alleingelassen in einer »unthematischen Rechtgläubigkeit« (9.125). Wir hätten es insgesamt mit einem positiv gerichteten Transformationsprozess des Glaubens in Richtung individueller Erfahrungen zu tun, wie es ihn in der Geschichte immer wieder gab.

Dogmen – eigentlich »Schatzkisten des Glaubens« – erscheinen als Deputate von Wahrheiten in der Verwaltung des Lehramtes, denen man nur zustimmen oder sie ablehnen könne. Gerade diese binäre Logik widerspreche aber einem modernen – und eigentlich biblischen – suchenden, pluralistischen Glauben, der mit den Erfahrungen der Menschen Symbiosen einginge. Allerdings: »mit den Erfahrungen der Menschen mit den ›Zeichen der Zeit‹ und damit der Begegnung mit Gott« (112). Solcher Glaube sei »uneindeutig« – und offensichtlich gerade so attraktiv. Dabei wird die Abgrenzung zur Eindeutigkeit einer erfahrungsunabhängigen kirchlichen Verkündigung deutlich. Es geht darum, dass die Kirche Ambiguitätstoleranz lernt, d. h. Diversitäten im Bereich des Glaubens aushalten kann (72). Unterscheidungen in A und B würden nicht weiterhelfen. Was allerdings Uneindeutigkeit genau meint bleibt rätselhaft. Zumal die klassischen dogmatischen Topoi über Gott und Christus – nicht zuletzt immer wieder mit Karl Rahner – eindeutig bestätigt werden. Das diesbezügliche vielfältige Zeugnis der Bibel ermöglicht unterschiedliche Glaubensgestalten, die aber gerade deswegen doch auch recht eindeutig ausfallen können.

Wie argumentiert K.? Der schmale Band ist in sieben Kapiteln und einem knappen »Theo-poetischen Ausklang« gegliedert. Einem Problemaufriss (1) folgt eine Einleitung in den Sinn des christlichen Glaubens (2) gefolgt von Biblischen Aspekten (3), Glaube und Offenbarung (4), Glaube und Dogma (5), Glaube und Lehramt (6) und schließlich finale Überlegungen zum »Glaube auf Transformationskurs« (7). Zentral sind Entscheidungen im 2. Kapitel in der Bestimmung von Religion in Richtung von Jim Crane und William James. Religion hätte mit der Überzeugung von der Existenz einer unsichtbaren Ordnung zu tun, der es sich harmonisch anzupassen gelte. Daraus erwachse eine transzendental codierte Wertschätzung der Welt, die sich in spezifischen Identifikationen von Heiligem und Profanen artikuliere. Glauben sei weniger doktrinales Glaubenswissen sondern »Vertrauen ins Leben, das seinen Grund in Gott hat« (52).

Der Kern des Ganzen bleibt Gottes Offenbarung (4) als eines dynamischen Geschehens zwischen Gott und Mensch, das allerdings keine umfassende Schau Gottes oder einen Vorgriff auf die Totalität des Seienden impliziere. Vor allem seien diesbezügliche Erfahrungen der Gemeinschaft der Gläubigen als Selbstaussage Gottes stets vor dem Amt der Kirche zu verorten (86). Die »DNA des Lehramtes« lege folglich im »prophetischen Zeugnis des Gottesvolkes […] aus der Kraft des Auferstandenen und des Beistands des Heiligen Geistes« (91). Ausführlich wird in dieser Richtung im 6. Kapitel mit dem 1. Vaticanum abgerechnet – was allerdings etwas aus der Zeit gefallen wirkt. Das 7. Kapitel ruft dann zusammenfassend dazu auf, den eigenen Glauben zu formulieren im Sinne der soziologischen Formel von Grace Davie believing without belonging (125).

Im Rückblick legt man ein sympathisches Buch zur Seite, das die katholische Glaubenswelt modernen Menschen öffnen will. Es teilt aber eine Reihe von Problemen mit ähnlicher Literatur auch aus dem evangelischen Bereich. Welche Vielfalt wird hier intendiert? Offenkundig ist auch nach K. nicht alles möglich. Wo liegen aber die Grenzen? Ahnenkulte, Seelenwanderung, Wiedergeburt, Ego-Kultivierung? Die Botschaft des Buches bleibt »uneindeutig«. Und vor allem: Woher weiß K., dass der Glaube der Menschen überhaupt noch am Christlichen interessiert ist? Studien zu den tatsächlichen aktuellen Überzeugungen und Werthaltungen der Menschen scheinen ihn nicht zu interessieren – jedenfalls greift er sie nirgends auf. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Menschen erfolgt also nicht. Weitgehend werden Unterstellungen präsentiert. So ist letztlich der Eindruck einer subkutanen, aber umfassenden katholischen Vereinnahmung nicht zu vermeiden.