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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1089–1092

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Pally, Marcia

Titel/Untertitel:

From This Broken Hill I Sing to You. God, Sex, and Politics in the Work of Leonard Cohen.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2021. 200 S. Kart. £ 19,99. ISBN 9780567694768.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Manches Mal liegt in der Übertreibung der Kern des Wahren. Und so verhält es sich wohl auch mit der so streitbaren wie interessanten Ansicht, Leonard Cohen sei der größte Psalmist seit König David (3.59). Max Layton behauptete dies vom kanadischen Sänger, der 2016 82-jährig verstorben ist. Sein weit verzweigtes Werk als Psalter zwischen Klage und Dank, zwischen Leid und Erfüllung zu betrachten, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch von Marcia Pally, die sich dezidiert den theologischen Implikaten von Cohens Liedgut, aber auch seiner Gedichte und frühen Prosa widmet. Pally, Professorin an der New York University sowie Gastprofessorin an der HU Berlin, gelingt es eindrücklich, die Texte selbst zu Wort kommen zu lassen und sie zugleich so auf die Frage nach Gott oder Gott als Frage zu beziehen, dass den lyrics nun gerade keine ihnen fremde Struktur oktroyiert würde. Die stete Bezugnahme Cohens – aufgewachsen in einer streng jüdischen Familie mit litauischen Wurzeln – auf das Alte Testament in der Ambivalenz von Texttreue und gleichsam häretischer Verfremdung wird dadurch überaus greifbar. P. stellt dabei zwei miteinander verknüpfte Momente in den Mittelpunkt, um sie nach einer knappen Einleitung in sieben Kapiteln zu umkreisen: zum einen den Bund – mit der Frage, von wem dieser eigentlich abgeschlossen wurde: von Gott, der Welt, dem – meist weiblichen – Gegenüber?; und zum anderen das Leid und die existentiellen Verfehlungen – mit der alten Frage, wer dafür verantwortlich sei: die menschlichen Subjekte oder der, der sie geschaffen hat?

In der Erotisierung Gottes sowie der Divinisierung von körperlicher, später auch emotionaler Nähe erhalten auch jene beiden thematischen Zentren des Buches neue Facetten (49). Ohne beide Beziehungen zu identifizieren, verbindet Cohen also Menschliches und Göttliches im Netz unserer Existenzen. Dabei sei Cohens Frage nicht die Krise des Glaubens gewesen, wie P. immer wieder einschärft, sondern der Skandal bestehe für ihn darin, dass es Gott so schwierig gemacht habe, an ihn glauben zu können (4). In den eher protestantischen Sprachspielen müsste man wohl sagen, Cohen sei ein Angefochtener gewesen, dessen Lieder einer »vivisection of his soul« gleichen (1). Dabei vereindeutigt P. wohl Cohens Bezug zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, auch Jesu wohl etwas zu sehr; seine religions-aversen Einlassungen (gut dokumentiert durch Interviews vor allem aus den 1980er Jahren), die die Distanz zu einem Gottesglauben bekunden, kommen daher kaum zum Zug.

Das scheint aber gewollt zu sein, um »Cohen’s theodical frustration« umso deutlicher herausarbeiten zu können (17). Nach einem biographischen Überblick (6–13) verbindet gleich das erste Kapitel die Frage nach dem Leid mit jener nach dem Bund und dessen (Un)Erfüllbarkeit. P. lässt hier knapp die üblichen Theodizeen (insbes. von Alvin Plantinga) bis hin zur Kreuzestheologie Jürgen Moltmanns Revue passieren (27 f.) – mündend in folgendes Fazit: »Cohen understood our particular existence as relational and cov-enantal. We are created for and need reciprocal bond with God and others. Thus, Cohen’s theodical problem is thus: is not God responsible for our propensity to breach covenant.« (32)

Die folgenden vier Kapitel vertiefen jenes Dual von Theodizee und Bund mit unterschiedlichen Akzenten. Zunächst geht es um unsere relationale Existenz, die sich im Bund mit Gott ausdrückt. Die Frage aber bleibt offen, ob jener Bund ein eigener neben anderen sei oder ob dieser Bund in allen sonstigen weltlichen Verbindungen, auch den allein körperlichen, sexuellen subkutan vorkomme. Entsprechend wären die Verfehlungen und das Brechen des Bundes zu bewerten, die nun in den Abbrüchen zwischenmenschlicher Beziehungen zu verorten sind. Obgleich P. das Bundesthema mit entsprechenden Auslegungen von A. Heschel, E. Levinas, M. Buber und E. Borowitz kontextualisiert (45–48), werden auch ganz andere Einflüsse – etwa des Buddhismus oder Cohens Sympathien für den »character of Jesus« (55) – einbezogen, sodass der Sänger als »mystic for the postsecular age« erscheinen mag (51; mit Aubrey Glazer und vor allem in Bezug auf das Book of Longing von 2006).

Sodann wird das Prekäre des Bundes nun im Blick auf Cohens eigene Person zum Thema. Entsprechend stellt sich die Frage, was uns hindere, den Bund zu halten: alles Menschliche, wie Cohen in Ten New Songs von 2001 meint (61 f.). Auch hier legt P. die überall spürbaren Ambivalenzen frei; denn einerseits wurde immer wieder die Kritik an Cohen laut, seine Texte kreisten letztlich nur um ihn selbst: Erinnere er sich an eine Liebe, gehe es nicht um jene Frau, sondern nur um seine Beziehung zu ihr; und zugleich zeigt sich in dieser Egozentrik das Leiden an sich, das – wie im berühmten Hallelujah von 1984 – von Fatalismus und Ironie begleitet wird (76.107). Das Ineinander von eigener Verfehlung – parallelisiert zum Schicksal der verführten David und Samson (76) – und Gottes Versagen taucht wieder auf, was die Frage nochmals dringlich werden lässt: Inwiefern ist Gott selbst nicht »metaphysisch verantwortlich« für die Unmöglichkeit des Bundes? (31.71 ff.) Dieses Verhältnis kehrt sich in Cohens Psalmen beinahe um: Der Schuldige bräuchte dann Gott als Instanz gerade dafür, schuldig sein zu können – oder zumindest dafür, die Gravität der Schuld zu artikulieren. Dies gilt für das eigene Vergehen, aber auch für das der anderen, sodass Cohen selbst als Figur neue Merkmale annimmt, nämlich, so P., die des Priesters und Propheten (70).

Im fünften Kapitel thematisiert die Autorin vor allem Cohens Bezugnahme auf Jesus, den dieser vor allem als Extension der jüdischen Überlieferung versteht. Dies hat durchaus Anleihen an gegenwärtige Tendenzen neutestamentlicher Forschung, nicht nur Jesus, sondern auch Paulus aus dem jüdischen Kontext her zu verstehen (von Jacob Taubes über Ed Sanders bis zur »new perspective on Paul«; 94). Dabei sind Jesus wie schon Mose für Cohen Figuren, die den Bund haben halten können (96). Umso prekärer ist die Amalgamierung von Jesu Treue zu Gott und dessen gleichzeitiger Erotisierung, die Cohen in der göttlichen Inkarnation verankert (82). Einerseits geht dies nun doch über die jüdische Tradition hinaus, andererseits wird die bereits skizzierte Ambivalenz verstärkt, nach der bewusst im Unklaren belassen wird, wer eigentlich in den Gedichten und Texten über Liebe angesprochen ist: Gott, Jesus, die Partnerin? Oder wie es wenig später heißt: »God/shekhina/woman/mother« (123). Auch hier zieht »a storm of pronoun instabilities« auf samt all der »intervowen and conflated images« (82.85; wie etwa im bekannten Song Suzannah als devotional poetry; 86 f.).

Genau diese Linie der gesteigerten Zweideutigkeit zieht das sechste Kapitel weiter aus. Dort wird mit der Feminisierung Gottes das Changieren zwischen der Adresse an Gott und der Werbung um die Frau immer expliziter. Die Unmöglichkeit, mit einer Frau zusammen und ihr treu zu sein – oder wenn, dann drohe die emasculation, gar der Death of a Ladies’ Man (so das Album von 1977) –, wird nun parallelisiert mit der Unmöglichkeit, Gott zu verstehen oder gar so zu sein wie er (104). Auch hier (bes. wiederum im »sexual-prayerful doubling« im Lied Hallelujah, 120) wird die Dringlichkeit, den Bund zu erfüllen, mit der Unklarheit konfrontiert, wer ihn gebrochen habe: »She breaches berith« (125) – nur, wer ist gemeint?

Andere Töne schlägt das abschließende Kapitel an, nämlich politische. P. erinnert anhand unterschiedlicher Beispiele an Cohens Engagement für Israel, seine Auseinandersetzung mit dem Holocaust (etwa in dem Buch Flowers for Hitler von 1964; dazu u. a. 141), aber auch seine künstlerische Verarbeitung der Sinnlosigkeit des Krieges, der – darin Hannah Arendts Sicht sehr ähnlich – die Verlängerung der Grausamkeit im Alltag bilde (man denke an Cohens wohl bekanntestes Stück Everybody Knows von 1988; 133 f. 143 f.): »Everybody knows the war is over / Everybody knows the good guys lost«.

Mit P.s Studie liegt eine Interpretation des Gesamtwerks vor, das dieses – im Kontrast zu anderen Lesarten – dezidiert theologisch liest, ohne es zu theologisieren. Dadurch kommt »Cohen‘s Unwilling Theodicy« (74) so zur Geltung, dass auf das Reziproke des Bundes bestanden wird – mit der Möglichkeit, Gott habe ihn gebrochen, weil er uns es auferlegt hat, ihn zu halten im Wissen um diese Unmöglichkeit: »the good guys lost« – Cohen? Gott? Wir? Man weiß es einfach nicht, was schon die Antwort sein könnte. Und so bleibt wohl, mit Nirvana und Kurt Cobain zu singen: »Give me a Leonard Cohen afterworld / So I can sigh eternally«.