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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1086–1087

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kartawidjaja, Yakub E.

Titel/Untertitel:

Music in Martin Luther’s Theology.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021. 216 S. = Refo500 Academic Studies, 78. Kart. EUR 80,00. ISBN 9783525565537.

Rezensent:

Konrad Klek

Zu Luthers Wertschätzung der Musik ist schon viel geschrieben worden. Das weiß auch der (indonesische) Autor Yakub E. Kartawidjaja dieser an der Theologischen Universität Apeldoorn eingereichten Dissertation. Er kann aber inhaltlich wie methodisch plausibel begründen, was seine Untersuchung als eigenen Beitrag zum Thema qualifiziert, nämlich die Fokussierung auf die neu erarbeitete Pointe von Luthers Musikauffassung: »fugat diabolum«. K. profiliert als musiktheologischen Dreischritt Luthers: De donum hominum est / facit letos animos / fugat diabolum und klärt dessen Stellung im Rahmen von Luthers Theologie auf, namentlich hinsichtlich seiner »Theologie des Teufels«.

Luthers seelsorgerlicher Rat an einen Organisten, mit Musikmachen die diabolischen Depressionen zu vertreiben, ist ja gemeinhin bekannt. Solche auch von Luther selbst gepflegte, gleichsam exorzistische Praxis in ihrer theologischen Verankerung evident zu machen, ist gewiss das Verdienst dieser Arbeit. Deutlich wird hier, warum Musik für Luther das Mittel schlechthin ist gegen alle satanische Anfechtung.

Das erste inhaltliche Kapitel »Luther as Musican« widmet sich denn auch unabhängig von Luthertexten erstmal Luthers eigener musikalischer Praxis von Schülerzeiten an, was als persönliche Prägung nicht zu unterschätzen ist. Die Ausführungen zu Luthers musikalischer »production« dann als Reformator, wozu etwa neben der Deutschen Messe auch alle Lutherlieder gerechnet werden, rekapitulieren den allgemein greifbaren Wissensstand. Schade, dass der (ursprüngliche) Musiker K. da keine eigene musikalische Expertise einbringt. Die in der Wissenschaft mangels philologischer Belege verbreitete Zurückhaltung, Luther auch als Verfasser der Melodien zu seinen Liedern in Anspruch zu nehmen, verhindert hier leider spannende Entdeckungen.

Theologisch wird es dann im Kapitel »Luther on Music as a Gift of God«, wo nach allgemeinen gabe-theologischen Essentials quer durch die WA Luthers explizite Musiktheologie im Encomium musices (1538) detailliert nachgezeichnet wird. Den Schlüssel sieht K. in der christologischen Fokussierung von Gabetheologie wie Musikpraxis: Christus – Gabe Gottes an die Menschen zur Erlösung von Sünde, Tod und Teufel; Musik – Gabe Gottes an die Menschen zur Propagierung dieses Christuszeugnisses in aller Welt und zum Lobpreis der Ehre Gottes.

In der Mitte steht das entscheidende Kapitel »Luther on Music and the Devil«, wo der Zentralbegriff »Anfechtung« (von K. nicht ins englische übertragen!) in seinem satanologischen Kontext profiliert wird. Für die musikalische Gegenstrategie referiert K. präzise u. a. Luthers Brief an den bayerischen Hofkapellmeister Ludwig Senfl von der Veste Coburg (1530), auch die allerhand ergiebigen Textsplitter in den Tischreden, um schließlich unter der Überschrift »Exorcism Through Musik« das Lied Ein feste Burg ist unser Gott Strophe für Strophe in diesem Kontext theologisch zu deuten. Auf die spätere Rezeption dieses Liedes als nationalprotestantische (Kampf-)Hymne geht K. nicht ein. In seiner individualistischen Fokussierung auf »Anfechtung« sieht er prinzipiell auch nicht Luthers machtstrategisches Denken im Kontext seiner Herrschaftstheologie. »Das Reich muss uns doch bleiben« (Schlusszeile des Liedes) ist mehr als Trostzuspruch für angefochtene Gläubige. Auch in Auslegungsdetails (z. B. beim ominösen »Ein Wörtlein kann ihn fällen«) zeigt sich hier das Manko, dass K. in Sachen Lutherlieder die sehr ergiebige deutschsprachige hymnologische Literatur nicht rezipiert, wie überhaupt das Literaturverzeichnis ziemlich übersichtlich ist und fast nur englische Titel enthält.

»Luther on Music and the Joyful Soul« ist das dritte Theologie-Kapitel überschrieben. Wieder geht es quer durch die WA, um die Affektdimension des Glaubens zu profilieren. Als musiktheologische Schlüsseltexte hierzu dienen Luthers Auslegung der letzten Worte Davids von 1543, die berühmte Vorrede zum Babstschen Gesangbuch von 1545 und die frühe Auslegung der Überschrift von Psalm 4,1. Für den Transfer in die Musikpraxis kommt hier das Lied Nun freut euch, lieben Christen gmein zu stehen, wieder detailliert besprochen, aber leider ohne Analyse der sicher von Luther selbst dazu gesetzten Melodie, welche für die affektive Wirkung ja nicht unerheblich ist. Auch hier fehlt einfach viel und methodisch grundsätzliches, wenn etwa G. Hahns grundlegende Arbeit über die Lutherlieder von 1981 (Evangelium als literarische Anweisung) nicht im Blick ist.

Während zu Beginn diachron musiktheologische Entwürfe vor Luther vorgestellt wurden, folgt am Ende die synchrone Perspektive auf Luthers Zeitgenossen. Der Gegensatz zu Calvin und Zwingli hinsichtlich der Musikpraxis ist ja evident. Und hier wird nun speziell deutlich, inwieweit das eben durch dezidierte musiktheologische Einsichten Luthers begründet ist.

Dass K. die zeitgleich in Leipzig entstandene Arbeit von Heiko Herrmann, Der Teufel im Gesangbuch (2020) mit ausführlichem Luther-Kapitel nicht rezipieren konnte, ist bedauerlich. Herrmann unterstreicht deutlicher den Satan als zu bekämpfende Gegen-Macht und analysiert die Rede vom Teufel im gesamten Liedschaffen Luthers. Bei ihm ist allerdings die spezifische Funktion der Musik nicht im Blick. So kann man beide Buchtitel auch als komplementär würdigen und rezipieren. Dass das Thema »Teufel und Musik« zur selben Zeit unabhängig voneinander behandelt wird, verweist ja vielleicht auf den Ernst der Lage auch heute, von Luther seinerzeit scharf benannt auf dem Titelblatt(!) des Babstschen Gesangbuchs: »Wo Gott hin bauet sein Kirch und sein Wort, da will der Teufel sein mit Trug und Mord.« – Diese Sentenz in höchst exponierter Druckposition lässt K. aus unerfindlichen Gründen allerdings außer Betracht.