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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1084–1086

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kann, Christoph

Titel/Untertitel:

Die Sprache der Philosophie.

Verlag:

Baden-Baden: Karl Alber Verlag (Nomos) 2021. 600 S. Geb. EUR 49,00. ISBN 9783495489994.

Rezensent:

Dirk Evers

Das mit 600 Seiten umfangreiche Werk des Düsseldorfer Philosophen Christoph Kann ist aus dessen Lehrveranstaltungen hervorgegangen. Dabei hat sich die Aufgabe einer Einführung in philosophisches Fachvokabular zu einer Reflexion auf die Sprache der Philosophie überhaupt erweitert. Für den Vf. steht der Zusammenhang von Sachproblemen und Terminologie im Vordergrund: Erzeugt die Philosophie mit Hilfe von Sprache ihre eigenen Gegenstände? Oder machen umgekehrt die Sachprobleme der Philosophie eine Fachsprache erforderlich? Und wie hängt diese mit der Alltagssprache zusammen? Wie und in welchem Sinne ist Sprache nicht nur Medium, sondern selbst Gegenstand der Philosophie? Welcher Weltbezug, welches Weltbild ist jeweils vorausgesetzt oder wird durch die Begrifflichkeit allererst ermöglicht? Wel-chen semantischen Verschiebungen haben in den entsprechenden philosophischen Termini ihre Spuren hinterlassen? An solchen und damit verbundenen Fragestellungen arbeitet sich dieser eindrucksvolle und aspektreiche Band ab. Er ist deshalb nicht zu verwechseln mit einschlägigen Wörterbüchern oder begriffsgeschichtlichen Werken, wie etwa dem Historischen Wörterbuch der Philosophie oder dem Archiv für Begriffsgeschichte. Er erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, will aber doch zentrale Prinzipien und Beispiele philosophischer Begriffsbildung vorführen und reflektieren. Das schließt nicht aus, sondern gerade ein, dass Begriffe und Wortfelder auch mehrfach vorkommen und in verschiedenen Kontexten behandelt werden.

Systematische und historische Perspektiven sind also verschränkt. Im Einzelnen gliedert sich der Band in drei große Teile: Zugänge zur …, Innenansichten der … und Perspektiven auf die philosophische Fachsprache. Im ersten Hauptteil werden Wege zur philosophischen Fachsprache erörtert, die rekonstruieren wollen, wie sich philosophische Terminologien aus der Normalsprache heraus konstituieren. Es geht dabei um Genese, grundlegende Struktur und Konstituenten philosophischer Begrifflichkeit. Unter anderem werden Fragen rund um Definitionen, Übersetzungen, etymologische Worterklärungen, Metaphorik und Typisierungen durch »Ismen« erörtert. Dabei steht mit Bezug auf die Ebene der Begriffe der Zusammenhang von Genese und Struktur im Fokus, die Ebenen des Satzes und des Textes erscheinen allenfalls am Rande. Besonders interessant ist die Darstellung der verwickelten und zugleich instruktiven Geschichte der aristotelischen Definitionslehre mit ihrer Unterscheidung von genus proximum und differentia specifica und ihrer Kritiker. Sie führt zu dem Fazit, dass sich die Definition einer Definition entzieht, sich aber verschiedene Definitionstypen und entsprechende Kritiken unterscheiden lassen, so dass das Interesse deutlich wird, das jeweils mit der Aufforderung zur Definition gerade im Spannungsfeld von Normal- und Fachsprache verbunden wird. Dieser erste Teil schließt mit einem Abschnitt über Typisierungs- und Klassifikationstermini, in dem der Vf. vorführt, wie variable, oft fluktuierende Dichotomien (nur zwei Beispiele: Rationalismus vs. Empirismus, Monismus vs. Dualismus) »eher als elastische Richtungszuordnungen denn als randscharfe Positionsanzeigen tauglich« (185) sind.

Das bereitet den zweiten Hauptteil vor, in dem es um die inhaltlichen Momente philosophischer Begrifflichkeit und deren binnenphilosophische Reflexion geht. Dargestellt werden Semantiken zentraler philosophischer Fachbegriffe, ihre Entstehungsbedingungen, die Dynamik ihrer Verschieblichkeit, ihre Weltbezüge usw. Dieser Teil ist entsprechend inhaltlich geordnet: Es geht um den Begriff von Philosophie selbst, um die Terminologien von Metaphysik und Ontologie, um Wissensformen, um die asymmetrisch angelegte Dichotomie von Realismus und Idealismus, um normative Terminologien, um Begrifflichkeiten zur Strukturierung der Wirklichkeit und um zwischen Anschauung und Begrifflichkeit vermittelnde Strukturen wie Schemata. Es wird jeweils in zentrale Termini, ihre Geschichte und Fluktuationen, vor allem aber auch in ihre wechselseitigen Verweise und Sachbezüge eingeführt. Damit geht der Vf. ganz bewusst über die Zusammenstellung lexikalischer Lemmata hinaus und kann über alle Epochen der abendländischen Philosophiegeschichte hinweg sprachliche Zusammenhänge und Begrifflichkeiten darstellen, die einen neuen Blick auf philosophische Fragestellungen und ihre Bearbeitung ermöglichen. Auch hier sei ein Abschnitt herausgehoben, und zwar der Schlussabschnitt zu Schema und Schemaspiel. Hier werden Kant, Bartlett und Whitehead vorgestellt, und der Vf. möchte deutlich machen, wie ein gemeinsamer erkenntnistheoretischer Bedeutungskern des Schemabegriffs mit der Aufgabe einer Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff identifiziert werden kann und doch zugleich auch die Divergenzen zwischen den Konzeptionen deutlich hervortreten. Hier kommt im Übrigen, wie auch noch einmal im dritten Teil, die Expertise des Vf.s in Bezug auf Whitehead positiv zum Tragen.

Der dritte Hauptteil wendet sich dann der philosophischen Perspektive auf die Sprache selbst zu. Dieser Teil ist historisch gegliedert und untersucht Philosophen aus unterschiedlichen Epochen, die nicht nur die philosophische Fachsprache selbst geprägt, sondern auch auf diese reflektiert haben. Auch hier geht es wieder nicht um Vollständigkeit, sondern um die Präsentation einer qualifizierten Vielfalt von Positionen. Sieben Abschnitte umfasst dieser Teil. Unter der Überschrift »Von Platon bis Nikolaus Cusanus« fasst der Vf. Grundlegung, Systematisierung und Schärfung philosophischer Terminologie zusammen. Es folgt die frühe Neuzeit von Bacon bis Wolff, bei der man allerdings ein wenig Leibniz und seine Überlegungen zur Kalkülisierung von Sprache vermisst. Diese später von Frege und vom logischen Positivismus aufgenommene Linie, die auf Sprachreinigung durch Formalisierung hinausläuft, erscheint insgesamt ein wenig unterbelichtet. Es folgt ein Abschnitt zu Kant und Hegel und damit Ausführungen zu den interessanten Aspekten von Innovation, Esoterik und Popularisierung als Momenten aufklärerisch-idealistischer Philosophie. Es schließen sich Abschnitte zu Peirce, Whitehead, Heidegger sowie zu Carnap, Wittgenstein und Ryle an, die sich einerseits als anregende Einführung in die jeweiligen Sprachformen dieser Protagonisten lesen lassen, andererseits aber durch die sich durchziehende Einbeziehung von zeitgenössischen Perspektiven auf diese Sprachformen ihrerseits jargonfreie, unprätentiöse Präsentationen des jeweils eigentümlichen Verständnisses philosophischer Fachsprache entstehen lassen. Hier sei der Abschnitt zu Whitehead empfohlen, der den Zugang zu dessen Werk für manche erleichtern dürfte. Als etwas irritierend sei vermerkt, dass die Kopfzeile des Heidegger-abschnitts auch über dem nachfolgenden, Carnap/Wittgenstein/Ryle gewidmeten Abschnitt stehen geblieben ist.

Insgesamt liegt mit diesem Band ein Werk zur philosophischen Sprache vor, das überaus anregend ist, neue Perspektiven auf Inhalte, Dynamiken und Formen der Philosophie eröffnet und sich auch als Nachschlagewerk zur Konsultation anbietet, das entsprechende Lexika und Wörterbücher sinnvoll ergänzt, indem man hier dem Bilden der Begriffe in einem umfassenden Sinne nachgehen kann. Dazu helfen die beigefügten Register zu Personen und Sachen/Begriffen. Es sei allerdings doch auf eine eigentümliche Leerstelle hingewiesen, die dem Theologen natürlich ins Auge fällt. In der Darstellung kommt der Gottesbegriff allenfalls beiläufig und entsprechend im Register gar nicht vor, obwohl doch Adorno vermutet hatte, dass »wohl eine jede [Philosophie] um den ontologischen Gottesbeweis« kreist. Aber das mag ein Desiderat für einen eigenen Band sein.