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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1072–1076

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Pfleiderer, Georg, u. Harald Matern [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Die Religion der Bürger. Der Religionsbegriff in der protestantischen Theologie vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XIV, 1032 S. Kart. EUR 129,00. ISBN 9783161597503.

Rezensent:

Markus Wriedt

Angeregt durch Ernst Feil (1932–2013) und in Fortsetzung seiner vierbändigen Dokumentation zur Geschichte des Religionsbegriffs von den Anfängen bis in die Moderne versammeln die Herausgeber 44 Beiträge zum Umgang mit dem Religionsbegriff im »langen 19. Jahrhundert«. Dabei beschränkt sich das Werk auf den deutschsprachigen Raum und nimmt ausländische Entwicklungen in Europa und im angelsächsischen Raum nicht zur Kenntnis. Dennoch ist die Sammlung mehr als eine lockere Zusammenstellung von Positionen. Die fast schon monographisch anmutende Einleitung in Verbindung mit einem Ausblick und einem Epilog von Harald Matern nimmt die historiographische Aufgabe einer konzisen Zusammenführung und theoretischen Durchdringung in systematischer Perspektive ernst und entfaltet einen Versuch, die einzelnen Positionen sowohl untereinander in Beziehung zu setzen als auch Verbindungen in die Vergangenheit und Zukunft in knappen Strichen anzudeuten.

Insgesamt überwiegen die methodischen Ansätze der werkimmanenten Darstellung und die Kritik alternativer Positionen. Der historische Kontext wird zwar nicht ausgeblendet, er dient sogar als grobes Referenzsystem der chronologischen Darstellung. Allerdings wird eine eigenständige theologiegeschichtlicher Darstellung der systematischen Positionen im Umfeld nicht allein der theologisch-kirchlichen, sondern der allgemein-historischen, kulturellen, gesellschaftlichen, sozial-politischen oder auch der wirtschaftlichen Bedingungen zur Entwicklung der theologischen Ansätze nicht geboten. Damit wird eine methodisch-hermeneutische Engführung zementiert, welche durch einige Hinweise auf historische Entwicklungen im weiteren Sinne nicht ausreichend reflektiert wird. Die gängigen Schlag- und Stichworte zur Geschichte des 19. Jh.s finden sich, und auch der weitere Rahmen der Säkularisierungsthese wird angesprochen. Was fehlt, ist die tatsächliche Auseinandersetzung mit sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorie- und Methodenansätzen. Die Darstellung ist von Theologen für Theologen geschrieben und verbleibt in dem von der konfessionellen Theologie sei 1830 geschaffenen Diskursraum.

Die Einleitung von Harald Matern erläutert unter dem summarischen Titel »›Religion‹. Zur Innovationsgeschichte deutschsprachiger protestantischer Theologien im 19. Jahrhundert« auf 191 Seiten – in einer Mischung von Entstehungsgeschichte des langjährigen Projekts und systematischer Entfaltung der Gliederung der nachfolgenden Aufsatzsammlung – die Anlage und den Zuschnitt des Sammelbandes. Er verdankt sich der wissenschaftsgeschichtlichen Anregung von Ernst Feil und nimmt die Zeit nach 1830 in den Blick. Der Band will »so etwas wie eine auf den Religionsbegriff fokussierte Theologiegeschichte in nuce bieten« (7) und behauptet, dass »Religion« zum Grundbegriff europäischer Kultur und protestantischer Theologie im 19. Jh. wurde.

Dass ein protestantisch-theologisches Interesse am Religionsbegriff historisch nachzuweisen ist, wird man kaum bestreiten können. Der religionstheoretische Diskurs findet allerdings in der exklusiven Debattenkultur der theologischen Wissenschaft statt, die in wachsende Distanz zu kirchlich-frömmigkeitlicher Praxis steht. Matern exemplifiziert das an den programmati- schen Entwürfen von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Ernst Troeltsch, Karl Barth und Rudolf Bultmann. Historische und geltungstheoretische Fragestellungen sind unlösbar miteinander verquickt (29). Die darum geführten Debatten sind Teil intellektueller Deutungsdiskurse (31). Ihre Träger werden dem sozialhis-torisch begrifflich unspezifisch verwendeten Anteil der deutschen Bevölkerung zugewiesen (31 mit Anm. 81). Diese Dimension des Projekttitels, vor allem aber die Verankerung der Debatten in den gebildeten, meist städtischen Milieus der Mittelschicht wird nur angedeutet und für die fortschreitende Interpretation nicht weiter herangezogen.

Ein knapper Forschungsüberblick (32–51) referiert einige bekannte Darstellungen der Theologiegeschichte des 19. Jh.s von Karl Barth, Wolfhart Pannenberg, Jan Rohls, Claude Welch, Eckhart Lessing, Falk Wagner, Friedrich Wilhelm Graf und Ernst Feil. Die Skizzen lassen erkennen, in welcher Weise der Band innovativ ist und gewissermaßen mit einem Alleinstellungsmerkmal die Forschung bereichert. Zugleich stellen die Arbeiten eine nach systematischen Kriterien erstellte Übersicht vor, in der andere Bearbeitungen des Themas, wie etwa die teilweise interdisziplinär angelegten Studien von Johannes Wischmeyer, fehlen. Zudem wären besonders Entwürfe aus der englischsprachigen Forschung, z. B. die von Johannes Zachhuber oder Zachary Purvis, zu erwähnen gewesen.

Daran schließt sich eine vieldimensionale Reflexion des theo-logiegeschichtlichen Zugriffs auf die Geschichte des Begriffs »Religion« an (51–72). Hierin präzisiert Matern die thematischen Einschränkungen und Anschlussfähigkeiten des Entwurfs. Er versteht den sachlichen Zusammenhang als aus der Tatsache gewonnen, dass es sich um akademische Religionsdebatten handelt, welche die Wissenschaftsgeschichte des Begriffs widerspiegeln. Erneut weist er darauf hin, dass »die Religion der Bürger in ihrer spezifischen begrifflichen Stellung zwischen praktiziertem Christentum, institutioneller Kirche, Akademie und bürgerlich-intellektueller Öffentlichkeit im Kontext der Begriffsgeschichte« (53) beschrieben wird. Der exklusive Raum der Debatte wird einsichtig als »Höhenkammliteratur« beschrieben (53 u. ö.). Matern bestätigt damit die bereits vorstehend genannten Bedenken zur Verallgemeinerungsfähigkeit der Befunde und notiert im Weiteren Anschlussmöglichkeiten zu verwandten Disziplinen wie etwa der historischen Begriffsgeschichte, der Mentalitätsgeschichte und der Religions- geographie. Insbesondere verweist er auf die Notwendigkeit einer sozialhistorischen Rekonstruktion der Pfarrer als Gruppe, da gerade die Pfarrer entscheidenden Anteil an der Vermittlung des Religionsbegriffs in eine alltagstaugliche Gemeindewirklichkeit gehabt haben dürften.

In einem viergeteilten Abschnitt erläutert Matern sodann den materialen Gehalt, der in den einzelnen Beiträgen wiedergegeben wird. Er versteht die Religionsdebatten des 19. Jh.s als innovativen Beitrag zu einer Theorie gelebter Religion (72–159). Den Begriff entlehnt er der systematischen und praktisch-theologischen Literatur des 20. Jh.s. Das chronologische Referenzsystem der Wiedergabe zahlreicher Positionen wird ergänzt durch eine systematische Ordnung. Der erste Unterabschnitt (5.1) zeichnet vor dem Hintergrund der umwälzenden Entwicklungen seit den Befreiungskriegen und der Neukonstitution wissenschaftlicher Theologie nach dem Ableben von Hegel, Goethe und Schleiermacher unter den Stichworten »Politisierung, Individualisierung und Moralisierung« die Entwicklung des Religionsbegriffs als Reaktion auf einen »qualitati-ven Strukturwandel der Gesellschaftsordnung insgesamt« (Jürgen Kocka, 76) im Fokus ihres neu verstandenen Wissenschaftsbegriffs. In der Zeit von Revolution und Vormärz konstatiert Friedrich Wilhelm Graf »eine neue Dominanz des Religiösen«, die sich u. a. in einer engen Verflechtung von protestantischer Theologie und Politik manifestiert. Der Religionsbegriff wird individualisiert und moralisiert. Die zunehmende Positionalität der Debattenbeiträge resultiert aus modernitätstheoretisch virulenten Entwicklungen wie Partikularisierung, Differenzierung und Individualisierung sowie der damit verbundenen Pluralisierung.

Im Aufsatzteil wird dieser Abschnitt durch die Beiträge zu Friedrich D. E. Schleiermacher (Jörg Dierken), Wilhelm M. L. De Wette (Markus Iff), Carl Immanuel Nitzsch (Markus Firchow), Friedrich Lücke (Alf Christophersen), Carl Christian Ullmann (Ha-rald Matern), Daniel Schenkel (Dorothea Noordveld-Lorenz) und Carl Schwarz (Malte Dominik Krüger) abgebildet. Sie illustrieren die Bedeutung von »Religion« in der Formierungsphase der modernen Nationalstaaten und die inhärente Problematik dieser engen Verknüpfung.

Parallel dazu beobachtet Matern die theologische Rezeption des Idealismus, insbesondere der Philosophie Georg F. W. Hegels. Die grundsätzliche Fragestellung der Vermittlungstheologie bleibt erhalten, insofern unter »Religion« die »Integration der menschlichen Person wie auch der sozialen Interaktion thematisiert« wird (95). Fokussiert wird nun die Forderung erhoben, dass Theologie als Wissenschaft von »Religion« ihre Deutungskapazitäten auch an der Realgeschichte erweisen muss. Theologie wird zur normativen Theorie »gelebter Religion«. Repräsentanten dieser Richtung sind Carl Daub (Ewald Stübinger), Philipp K. Marheinecke (Cornelia Richter), Christian H. Weisse (Matthias Neugebauer) Ferdinand Ch. Baur (Michael Murrmann-Kahl), David F. Strauss (Christian Danz), Richard Rothe (Michael Moxter) und Sören Kierkegaard (Elisabeth Gräb-Schmidt).

Eine Besonderheit eignet dem theologiegeschichtlichen Entwurf dieses Bandes in der Wahrnehmung der Erweckungstheologie und ihrer engen Verbindung zum konfessionellen Protestantismus. Zu Recht beklagt Matern die akademische Unterrepräsentanz »erwecklicher« Theologen und erkennt in ihrer Betonung von Subjektivität, Emotionalität und Innerlichkeit eine selbständige Wahrnehmung von gelebter Religion. Sie stellt Fragen nach Herkunft und Zukunft, Sinn und Unsinn, Einheit und Vielheit sowie deren Zusammengehörigkeit in konkreten Situationen. Ihnen mit spezifischen Praxisformen zu begegnen, lobt Matern als Innova-tionsleistung erwecklicher Theologien.

Erweckliche Theologien zeichnen sich »durch spezifische Geschichtsbilder aus, hierin oft in Fortführung der Fortschrittsgeschichten der Aufklärung, aber in spezifisch apokalyptischer bzw. eschatologischer Zuspitzung«; sie sind charakterisiert durch am »Reich Gottes« orientierte »soziale Ideale sowie durch einen starken Fokus auf die individuelle religiöse Biographie« (103). Dazu zählen nach Meinung der Herausgeber zunächst August Neander (Peter Schüz) und Friedrich A. G. Tholuck (Johannes Hestermann). Weiterhin werden Ernst W. Hengstenberg (Matthias A. Deuschle), Ludwig Harms (Jobst Reller) und sodann zwei Vertreter der Erlangener Theologie – Johann Chr. K. (von) Hofmann (Walter Sparn) und Gottfried Thomasius (Hans Schwarz) – skizziert. Die Entwicklung der liberalen Theologie in der Schweiz erläutert Matern in einem eigenen Unterabschnitt. Auch hier lassen sich eine affirmativ-kritische Rezeption der Philosophie Hegels sowie die emphatische Betonung der Wissenschaftlichkeit von Theologie bei Alois Emanuel Biedermann (Matthias Neugebauer), Alexander Schweizer (Pierre Bühler) und Ernst F. Langhans (Stephan Jütte) nachzeichnen.

Die Zeit zwischen 1870 und 1914 charakterisiert Matern unter den Stichworten Repolitisierung, Pluralisierung, Vergeschichtlichung und theologische Kritik an »Religion«. Der gravierende Einschnitt der Kaiserproklamation nach dem Sieg über Frankreich 1871 hatte für ganz Europa erhebliche Folgen. Davon war auch die protestantische Theologie nicht ausgenommen. Der sich abzeichnende »Kulturkampf« kann nach Ansicht Materns systemtheoretisch als Aushandlungsprozess in der Differenzierung von Politik und Religion gelesen werden. Gegenüber der römisch-katholischen Melange von Antimodernismus, Ultramontanismus und sozialem Engagement ist der Protestantismus zwar stärker pluralisiert, erweist sich aber geeint in der Abgrenzung gegen das katholische Milieu einerseits und gegen nicht-christliche Ansätze der Behandlung der Arbeiterfrage durch die beginnende Etablierung sozialistischer Gruppierungen andererseits. Insgesamt lässt sich eine nationalpolitische Aufladung der protestantischen Kirchlichkeit bis hin zur Entwicklung einer »politischen Religion« beobachten. Die protestantischen Frontstellungen lassen Willibald Beyschlag die Idee einer Einheit der deutschen Kultur entfalten. Wenn auch als »Pastorennationalimus« (Nipperdey) ein elitäres Unterfangen, verbindet sich die protestantische Staatsnähe mit fatalen Ansätzen des Antisemitismus (Adolf Stoecker) und ein völkischer Nationalismus nimmt erste rassistische Ansätze auf. Gleichzeitig entwickelt etwa jemand wie Ernst Heckel den evolutionstheoretisch gesättigten Gedanken einer »Wissenschaftsreligion« und vertritt einen monistischen weltanschaulichen Darwinismus. Zum Wissenschaftsverständnis der Theologie trägt sodann eine konsequente Historisierung bei. Kulminationspunkt dieser Entwicklungen ist die Entstehung der »religionsgeschichtlichen Schule«, welche die historische Methode als Ausdruck wissenschaftlicher Dignität der Theologie mit dem Anliegen verbindet, die Kulturbedeutung des protes-tantischen Christentums zu sichern.

Von schwerlich zu überschätzender Bedeutung war die theologische Prägekraft der Ritschl-Schule, die gleichsam metaphysikabstinent eine te-leologische Geschichtstheologie und quasi-politische Reich-Gottes-Sozialität entfaltet. Repräsentiert wird diese Gemeinschaft um Albrecht Ritschl (Arnulf von Scheliha) von durchaus eigenständigen und unterschiedlichen Theologen wie Wilhelm Herrmann (Dietrich Korsch), Julius Kaftan (Folkart Wittekind), Friedrich Niebergall (Friedrich Schweitzer), Richard Kabisch (Matthias Heesch) und Martin Rade (Anne Käfer). Die Herausgeber subsummieren eine weitere Gruppe von protestantischen Theologen als zur weiteren religionsgeschichtlichen Schule zugehörig, die sich zu einer theologischen Würdigung und Hochschätzung religiöser Diversität bekennen. Dazu zählen Richard A. Lipsius (Markus Iff ), Otto Pfleiderer (Martin Laube), Ernst Troeltsch (Friedemann Voigt), Adolf von Harnack (Harald Matern), Rudolf Otto (Jörg Lauster) und Paul Wernle (Lucius Kratzert ). Sie verbindet das Bemühen um die Theologie als normativer Deutungswissenschaft »gelebter Religion«. Auf die weiterhin bestehende strukturelle Nähe von erwecklicher Theologie und konfessioneller Positionierung wird am Beispiel von Martin Kähler (Thorsten Dietz), Adolf Schlatter (Johannes von Lüpke), Christoph F. Blumhardt (Matthias D. Wüthrich) und Karl Heim (Hartmut von Sass) hingewiesen. Matern sieht bei dieser, auf den ersten Blick doch ungewöhnlichen Zusammenstellung zunächst das Entstehen eines biblisch-theologischen Religionsbegriffs, welche »Erweckte« und religiöse Sozialisten vereint. Damit verbindet sich die theologische Kritik am Religionsdiskurs der Zeit. Etwas abgesetzt von diesen Repräsentanten der evangelischen Theologie um die Jahrhundertwende ist sodann Karl Holl (Heinrich Assel ) zu sehen, dessen Entdeckung der Gewissensreligion für die protestantische Selbstvergewisserung durch erneute und tiefgründige Lutherinterpretation (Luther-Renaissance) außergewöhnlich wirkmächtig war, aber durch eine Wendung zum national-konservativen Lager politisch korrumpiert wurde.

Für die theologische Entwicklung in der Eidgenossenschaft stehen paradigmatisch Franz Overbeck (Frank Besterbeurtje), Hermann Kutter (Georg Pfleiderer) und Leonhard Ragaz (Thorsten Meireis).

In seinem Ausblick (969-994) skizziert Matern die nach seiner Interpretation in den Entwicklungen des 19. Jh.s grundgelegte Fortschreibung der Tendenz, dass Theologiegeschichte als Reflexionsgeschichte religionsgeschichtlicher Innovation lesbar wird. Dazu verweist er zunächst auf die Aufhebung der »Religion« in der Dialektischen Theologie. Paul Tillich hingegen widerspricht der theologischen Engführung Barths unter Verweis auf die Ausweitung des Religionsbegriffs als spezifischer Dimension aller Wirklichkeit. Der zunächst mit Tillich befreundete Emanuel Hirsch, dessen Weg sich ab 1933 doch radikal entgegengesetzt entwickelt, sieht eine Fortsetzung der Religionsdebatte als Umformungsgeschichte. Dietrich Bonhoeffer wird sodann als Vertreter einer These vom »religionslosen Christentum« skizziert, dessen nicht-religiöse Schriftinterpretation die Gehalte der Religion wiederzugewinnen versucht. Matern ordnet Bonhoeffer darum zwischen die schroff antiliberale Theologie Karl Barths und den Liberalismus Bultmanns ein.

Das gewichtige Buch schließt mit einem Epilog (995–1002), der die seit einigen Jahrzehnten laufende Debatte über den Begriff und das Phänomen der »Säkularisierung« aufnimmt. War die erste Hälfte des 20. Jh.s von der ein Jahrhundert früher entfalteten Unterscheidung von Religion und Theologie geprägt, gerät in der Zeit der Weimarer Republik der Begriff der Säkularisierung, zuerst wohl in der Prägung Friedrich Gogartens, immer mehr in den Blick. Vor allem in München debattieren Trutz Rendtorff, Falk Wagner und Wolfhart Pannenberg. Rendtorff versteht den dynamischen Prozess der Säkularisierung als Ablösung christlicher Gehalte. Alle drei Theologen, geprägt von einer intensiven Rezeption Hegelscher Philosophie, versuchen, »Religion« in die Konstitutionsstrukturen autonomer Subjektivität einzuzeichnen. Es geht ihnen um die Bestimmung des Ortes der Religion inmitten der Debatten über menschliche Autonomie und Freiheit. Protestantische Theologie wird zur Metatheorie der Säkularisierung transformiert.

Die Auswahl der Beiträgerinnen und Beiträger ist positiv zu würdigen, sie alle verdienten eine eigenständige Besprechung. Betrüblich ist, dass die in den letzten Jahren intensiv betriebene englischsprachige Forschung zur deutschen Theologiegeschichte des 19. Jh.s nur in den Anmerkungen zitiert, aber im Entwurf des Bandes nicht berücksichtigt wurde. Zu erwähnen ist allerdings auch das Problem der Kohärenz und Einpassung der Forschungsergebnisse in das systematische Korsett. Für die weitere Beschäftigung mit der Theologiegeschichte des 19. Jh.s und dem in ihr aufleuchtenden spezifischen Religionsbegriff ist das Werk fraglos von Bedeutung. Allerdings dürfte es die Diskussion nicht abschließen, die dann allerdings nicht auf den Kreis von theologiegeschichtlich interessierten Lesern beschränkt bleiben sollte.