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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1069–1072

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lauster, Jörg

Titel/Untertitel:

Der heilige Geist. Eine Biographie.

Verlag:

München: C. H. Beck 2021. VIII, 431 S. m. 30 Abb. Geb. EUR 29,95. ISBN 9783406766275.

Rezensent:

Christian Danz

Bereits im Erscheinungsjahr liegt das Buch des Münchener Systematischen Theologen Jörg Lauster in der zweiten Auflage vor. Es widmet sich nicht einer Pneumatologie im engeren schulmäßigen Sinne. Vielmehr geht es, wie es in den einleitenden Bemerkungen heißt, um eine »historische Kulturpneumatologie« (14). Deren Anliegen sei es, »aus der Vielfalt der vorkommenden Erscheinungsformen des göttlichen Geistes in der Welt ihre Bedeutung für unsere Gegenwart heute zu erschließen, um so dem Geheimnis näher auf die Spur zu kommen, was es mit dem Rauschen der Welt auf sich haben könnte« (ebd.). Damit ist das Thema des glänzend geschriebenen Buches benannt. Es begibt sich auf die Suche nach Spuren des selbst nicht fassbaren Gottesgeistes im Rauschen der Welt. Als Darstellungsform dieser Suche dient, wobei offensichtlich Jack Miles Pate stand, die Biographie. Geschildert werden die Stadien des Lebenswegs des göttlichen Geistes in vier Teilen. Einsetzend mit der Geburt des Geistes im Alten Testament und seiner frühkindlichen Entwicklung in den beiden »Elementarbüchern« (Von den Ursprüngen zur sichtbaren Gestalt des Geistes, 17–109) widmet sich der zweite Teil Gott und Mensch (113–229), der dritte Geist und Geschichte (233–326) und der vierte Geist und Welt (329–357). Der kurze Epilog: Das Ende der Welt und das Ende des Buches (359–364) beschließt diese Biographie des Heiligen Geistes.

Am Anfang stehen Gott und seine Schöpfung. Der alttestamentliche »Sammelbegriff für all die Erscheinungsformen, in denen Gott in dieser Welt anwesend ist« (18), sei Geist. Dessen Bestimmungen, wie L. unter Einbeziehung der exegetischen Literatur ausführt, seien vielfältig, nämlich »Wind, Geist, Atem und Hauch Gottes« (21). Detailliert wird die verwickelte Entwicklungsgeschichte des Gottesgeistes im Alten Testament bis hin zur Geburt des Heiligen Geistes (30–33) nachgezeichnet. Er wirkt nicht nur im Kosmos, sondern als Gabe auch im Menschen. Das Neue Testament nimmt dieses Geistverständnis auf, wobei das frühe Christentum im Anschluss an Hermann Gunkel als enthusiastische Geistbewegung geschildert wird. Neu ist, dass der Geist mit Wirken und Geschick Jesu Christi verbunden ist. Ausführlich werden die Geistverständnisse von Paulus (36–46), Lukas (47–52) und Johannes (52–55) referiert. Geist, so die Quintessenz, meine »die Gegenwart Christi in der Geschichte« (46). Mit der Bindung des Gottesgeistes an die Geschichte Jesu Christi wird das Rauschen der Welt bestimmbar. Dies ist nur durch narrative Mittel möglich, die den Geist materialisieren und in Form eines symbolischen Gedächtnisses ebenso erkennbar wie elastisch halten. Dass die Konstruktion eines solchen sozialen Gedächtnisses selbst noch einmal mit dem Heiligen Geist verbunden werden kann, tritt in den Ausführungen von L. etwas zurück. Unter dem Titel Der Stoffwechsel des Geistes (56–93) werden die Entstehung der Kirche und ihrer Ämter sowie die Sakramente Taufe und Abendmahl als Medien des Geistes abgehandelt. Auf den Begriff wird schließlich das Rauschen des Geistes mit der Erfindung des trinitarischen Dogmas gebracht (Den Geist denken: Der Geist und das Dogma, 94–109).

Der zweite Teil Geist und Mensch widmet sich in drei Unterabschnitten der Klärung des Verhältnisses von Gottesgeist und Mensch und damit der Frage, wie die Gegenwart des Heiligen Geistes genauer zu verstehen sei. L. wendet sich zunächst der mittelalterlichen Mystik zu (113–141), sodann der Renaissance sowie ihren Nachwirkungen (142–170) und schließlich der Romantik (171–229), wobei dieses umfangreiche Unterkapitel zugleich Glaube, Hoffnung und Liebe sowie das Inspirationsverständnis erörtert. Mystik wird dabei insgesamt als ein »Leben aus dem Geist« (116) bzw. als »Erscheinungsform des heiligen Geistes in der Welt« (135) verstanden. Eine für den Gang der Ausführungen zentrale Funktion haben die Ausführungen zum Geistverständnis der Renaissance. Es wird anhand von Pico della Mirandola und Marcilio Ficino detailliert dargestellt. Ihre Bedeutung für die Erfassung des Rauschens der Welt besteht darin, dass sie christologischen Bindungen, die der Heilige Geist im Neuen Testament sowie in der dogmengeschichtlichen Entwicklung bis hin zu den Mystikern erhalten hat, wieder aufbrechen. »Ficino befreit damit den göttlichen Geist aus einem begrifflichen Gefängnis […] und gibt damit dem göttlichen Geist die ursprüngliche Weite seiner Wirksamkeit zurück.« (152 f.) Von den Denkern der Renaissance wird das Rauschen der Welt wieder unbestimmt gesetzt. Ihre Anregungen werden von der Romantik sowie modernen Freiheitsideen aufgenommen. All das wird ausführlich entfaltet und mündet in Überlegungen zum Inspirationsverständnis sowie zur Sünde wider den Heiligen Geist (217–229). Allerdings funktioniert die Verflüssigung der überlieferten Geistbindung an die Bibel lediglich nach dem Modell seiner Ausweitung. Der Geist rauscht nicht nur in den biblischen Texten, sondern in jedem kreativen Akt. »Wo immer Menschen sich aufgerufen fühlen, erst noch zu werden, was sie sind, wirkt in ihnen eine Kraft, die sie über das erhebt, was sie zu sein meinen.« (169)

Doch der Geist wirkt ebenfalls in der Geschichte. Ihr ist der dritte Hauptteil gewidmet, der mit der Erfindung der Geschichtsphilosophie bei Joachim von Fiore einsetzt (233–250), sich dann Hegel (251–306) und schließlich den Pentecostals (307–326) zuwendet. In den Ausführungen, die einen Bogen vom Mittelalter bis hin zu modernen Formen des Christentums in der majority world schlagen, bleibt es bei der Verflüssigung des Geistes. Das ändert sich auch in dem knappen vierten Hauptabschnitt nicht, der sich auf die Suche nach dem Gottesgeist macht, »der in, aus und durch die Natur zu Menschen spricht« (330). Dabei handelt es sich um Naturerfahrungen, in denen das Rauschen der Welt als Erfahrungen des Heiligen Geistes erfasst wird. Denn: »Der Geist ist universal und verbindet das Leben untereinander.« (351)

L. hat eine faszinierende Geschichte des Heiligen Geistes geschrieben und ihn auch da noch aufgespürt, wo man ihn gar nicht vermutet: in der Natur und den autonomen kulturellen Zeichen-systemen. Sein nicht geringes Verdienst besteht darin, äußerst komplexe gedankliche Zusammenhänge klar und deutlich aufbereitet zu haben. Obgleich es das Anliegen des Buches ist, eine historische Kulturpneumatologie und keine Pneumatologie auszuführen, bleiben dennoch Fragen. Zunächst: L. führt die Geschichte des Gottesgeistes so durch, dass dessen christologische Bestimmtheit in der Moderne verflüssigt wird. Darin besteht der Gewinn, den die Renaissance für das Verständnis des Heiligen Geistes gebracht hat. Hinter dieser Konstruktion schimmert eine kulturtheoretische Umformung der Pneumatologie Wolfhart Pannenbergs hindurch. Auch für Pannenberg ist der göttliche Geist identisch mit der Selbsttranszendenz des Lebens und lediglich in der Heilsgeschichte an die Christologie gebunden. Doch wenn der Geist als Rauschen der Welt derart unbestimmt ist, wie lässt er sich dann noch erkennen? Woher weiß man, dass dieses Rauschen der Gottesgeist ist und nicht einfach nur Krach? Doch nur, weil er einfach als das Rauschen der Welt postuliert wird. In einer solchen Pneumatologie, auch das zeigt das Buch von L., lassen sich Vereinnahmungen nicht mehr vermeiden. Wenn der selbst unbestimmte Geist »weht, wo er will« und »die Grenzen von Religions- und Konfessionszugehörigkeit« (141) hinter sich lässt, dann kann jeder Brief als Ausdruck des Geistes in Anspruch genommen werden. Sichtbar ist das freilich nur dem Geistdeuter und nicht den Briefschreibern selbst. Wenn aber der Gottesgeist alles ist, ist er dann nicht auch selbst nichts mehr?

Sodann: Gottes Geist wirkt überall, nur nicht in Wittenberg. In L.s historischer Kulturpneumatologie macht der Geist einen Bogen um die Reformation. Auch wenn man sich dem Urteil Albrecht Ritschls und seiner Schüler nicht anschließt, dass die Reformation eine Wiederentdeckung und ein Neuverständnis des Heiligen Geistes gebracht habe, so steht doch außer Frage, dass Martin Luther und Johannes Calvin wichtige Gesichtspunkte für eine Pneumatologie beigesteuert haben. Doch diese bestehen in einer Fassung des Heiligen Geistes als Aneignung des Heils in Jesus Christus, mithin einer pneumatologischen Konstruktion, die in dem Buch zurückgedrängt wird.

Und: Der vierte Hauptteil des Buches, der den Spuren des Geistes in der Natur nachgeht, fällt deutlich aus dem konzeptionellen Rahmen. Auf gerade einmal 28 Seiten wird ein Thema traktiert, welches seit der Jahrtausendwende vor dem Hintergrund globaler ökologischer Krisen geradezu im Brennpunkt nicht nur der Pneumatologie steht. Zahllose ecotheologies und ecopneumatologies sind in den letzten Jahren vorgelegt worden, die den Gottesgeist in komplexen Lebensprozessen, im Animismus, in indigenen Kulturen und vielem anderen mehr entdecken. Obwohl solche deep pneumatolgies ganz auf der Linie des in dem Buch entwickelten Geistverständnisses liegen, kommen sie kaum vor. Sie sind freilich allesamt mit dem gleichen Problem konfrontiert: Die Ausweitung des Gottesgeistes schaltet nicht nur jede Differenz aus, sie lässt ihn auch unerkennbar werden.

Wie dem auch sei, die von L. vorgelegte historische Kulturpneumatologie bündelt das weite Feld diverser Geistverständnisse von den biblischen Texten bis in die Lebenswelten der Moderne und regt zu Rückfragen an. Was will man von einem Buch mehr erwarten?