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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1058–1060

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Költsch, Anke

Titel/Untertitel:

Konversion und Integration. Konversionen vom Judentum zum lutherischen Christentum im frühneuzeitlichen Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. XI, 726 S. Geb. EUR 99,95. ISBN 9783110691528.

Rezensent:

Hans-Martin Kirn

Die vorliegende Erfurter religionswissenschaftliche Dissertation von Anke Költsch bereichert die frühneuzeitliche Konversionsforschung auf dem Gebiet der Konversion von Juden zum Christentum in territorialer Perspektive. Untersuchungsgebiet ist das lutherische Sachsen-Gotha, den Zeitrahmen bestimmen die Gründung des Herzogtums 1640 durch Ernst I. und der Tod Friedrichs III. 1772. Die Stärke der Studie liegt in der Auswertung zahlreicher archivalischer Quellen. Diese schärfen den Blick für die Biographien jüdischer Männer und Frauen in nichtakademischen Kontexten, die den Schritt zur Konversion wagten. Gleichwohl spielen auch hier die Zeugnisse »gelehrter« Konvertiten, die durch ihre Konversionsberichte bekannter wurden, eine wichtige Rolle. Zu Recht wird die Konversion als Prozess sozialer Praktiken mit bestimmten »Übergangsriten« von der Aufnahme als Katechumene über das Katechumenat bis hin zur Taufe gedeutet. Leitend bleibt die Frage, ob und inwieweit am Ende eine Integration der Konvertiten in Kirche und Ständegesellschaft gelang.

Nach den üblichen Einleitungsfragen mit teilweise umständlichen Begriffserklärungen folgen längere Hintergrundinformationen: einmal zu den »Christliche[n] Ansichten zum Thema Konversion und Konversionspolitik in der Frühen Neuzeit«, welche zu überspringen dem »bereits thematisch versierten Leser« (42) freundlicherweise zugestanden wird (Kap. 2), sodann zum Herzogtum Sachsen-Gotha mit einer Skizze der politischen und kirchlichen, von lutherischer Orthodoxie und Pietismus bestimmten Verhältnissen, welche Konversionen begünstigten (Kap. 3). Ein weiteres Kapitel führt hilfreich, wenngleich wenig einfallsreich untergliedert, in den »Umgang mit Juden, mit dem Thema Mission von Juden und mit jüdischen Konvertiten« im Herzogtum ein. Unter anderem wird hier auf die Unterstützungsmöglichkeiten für Konvertiten im Rahmen des Armenwesens und auf die judenmissionarisch aktiven, in Gotha lebenden oder mit Sachsen-Gotha eng verbundenen Persönlichkeiten wie den chiliastisch motivierten Diakon Johann Müller und den ersten Direktor des Halleschen Institutum Judaicum et Muhammedicum, Johann Heinrich Callenberg, eingegangen.

Ein weiteres Kapitel fragt nach den Wegen, auf denen die jüdischen Taufanwärter in das Herzogtum kamen, doch kann hier wenig Gewisses ausgemacht werden (Kap. 5). Aufschlussreicher sind die Ausführungen zu Motiven und Kontexten des Religions- wechsels (Kap. 6), auch wenn hier reichlich auf bestehende Literatur zurückgegriffen werden kann. Neben den vor allem von obrigkeitlicher Seite erwarteten dezidiert religiösen Motiven wird auf die Bedeutung pragmatischer, vor allem sozioökonomischer Motive hingewiesen. Als gemeinsamer Zug der in der Studie untersuchten Konvertiten wird ihre »ausgeprägte räumliche Mobilität« (207) vor ihrer Taufe ausgemacht. Mit dieser Mobilität ging eine durch die religiös-kulturellen Wandlungsprozesse im aschkenasischen Judentum der Zeit beflügelte »mentale Mobilität« einher. Auf diesem Hintergrund wird eine breite Palette von Kontexten beschrieben, mit denen die untersuchten Konvertiten mehr oder weniger gut in Verbindung gebracht werden können. Dazu zählen neben gesellschaftlichen Faktoren Kontakte mit sephardischen Juden, besonders den Conversos, die ihren eigenen Umgang mit der Taufe und christlichen Glaubensinhalten gefunden hatten, Verunsicherungen durch erweiterte »weltliche« Bildungsinteressen im Vorfeld der jüdischen Aufklärung (Haskala) sowie Berührungen mit der messianischen Bewegung des Sabbatianismus. Die Gruppe der sog. Taufbetrüger, die ihren Lebensunterhalt durch wiederholte Taufen zu sichern trachteten, wird eigens behandelt.

Schließlich werden die sozialen Praktiken der Konversion von der Aufnahme ins Katechumenat bis zur Taufe analysiert (Kap. 7). Neben der materiellen Versorgung wird die religiöse wie kulturelle Unterweisung, die neben dem Erwerb katechetischen Wissens auch das Erlernen der deutschen Sprache und die Übernahme gesellschaftlicher Konventionen einschließlich der Akzeptanz der entsprechenden Kontrollmechanismen umfasste, als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Integration in die christliche Mehrheitsgesellschaft gewürdigt. Statistische Angaben zu den 28 nachgewiesenen Taufen jüdischer Konvertiten im Herzogtum (einschließlich Altenburg) weisen auf eine starke Zunahme im 18. Jh.

Im letzten Kapitel wird das für die Frage der Integration zentrale Thema des Lebens der Konvertiten nach der Taufe anhand von Fallbeispielen behandelt (Kap. 8). Arme Juden (»Betteljuden«) blieben in der Regel auch arme Konvertiten (»Bettelkonvertiten«). Nur wenige erreichten mit obrigkeitlicher Unterstützung den Status der Selbstversorger. Gemischt präsentiert sich das Bild der jüdischen Konvertiten im akademischen Umfeld. Berufliche Perspektiven boten am ehesten die Arbeit als Gymnasiallehrer oder Pfarrer. Von zwei Konvertiten kann eine erfolgreiche Integration berichtet werden, worunter im Wesentlichen die Faktoren berufliche Etablierung, Familiengründung und Sesshaftigkeit verstanden werden. Bei einem anderen Konvertiten, der sich als Judenmissionar versuchte und schließlich als Lektor für Hebräisch in Jena ein bescheidenes Auskommen fand, wird angesichts langer beruflicher Unsicherheiten von einer »in Teilen erfolgreichen« (424). Integration gesprochen. Dies dürfte auch für einen weiteren Konvertiten aus dem Umfeld des Halleschen Pietismus gelten. In anderen Fällen scheiterte die Integration. Der eine Konvertit kehrte zum Judentum zurück, bei dem anderen ist es nicht auszuschließen.

Zu den Beispielen gelungener Integration zählten auch zwei weitere jüdische Konvertiten aus dem Umfeld des Militärs. Sie hatten als Soldaten und Kriegsversehrte ihr Leben gefristet. Der eine brachte es zum Famulus des Gothaer Waisenhauses und Torschreiber, der andere, Johannes Navratzky, setzte seine frühere Tätigkeit als Kleinhändler vor Ort fort und fand mit der Familie Anschluss bei der Herrnhuter Brüdergemeine. Ein längerer Exkurs präsentiert die nicht unbekannte, aber in diesem Zusammenhang bemerkenswerte Geschichte der Tochter des letztgenannten Konvertiten, Magdalena Augusta. Diese wurde »Schwester« der Brüdergemeine; in der Folgezeit trat sie als Liederdichterin und Gründungsmitglied der von Zinzendorf im Zuge seiner Tropenlehre geplanten »judenchristlichen« Gemeinschaft (sog. Judenkehille) hervor. Die Beispiele für jüdische Konvertitinnen zeigen, dass die Eheschließung mit einem christlichen Mann ein »probates Mittel der Integration« war (572). Zusammenfassend wird festgehalten, dass »Integrationen jüdischer Konvertiten im Untersuchungsgebiet gewollt und möglich« waren (637).

Der Band schließt mit einem Quellen- und Literaturverzeichnis. Ein Namens- und Sachregister sucht man vergeblich. Was als Register angeboten wird, beschränkt sich auf die Namen der im Band erwähnten Konvertiten.

Insgesamt bietet die Arbeit einen vielseitigen, in der Quellenanalyse angesichts vieler Ungewissheiten behutsam argumentierenden Einblick in das Thema. Eine Kürzung durch mehr Präg-nanz und Konzentration auf das Wesentliche hätte freilich der Arbeit ebenso gutgetan wie die Beachtung der alten Regel, mit Zitaten aus der Sekundärliteratur sparsam umzugehen. Es wird weiterer, auch komparativ angelegter Untersuchungen bedürfen, um die repräsentative Aussagekraft der Studie näher beurteilen zu können und damit auch die besondere Dynamik von Inklusion und Exklusion auf dem Feld der frühneuzeitlichen Konversionen vom Judentum zum Christentum besser verstehen zu lernen.