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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1026–1028

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Winter, Ofir

Titel/Untertitel:

Peace in the Name of Allah. Islamic Discourses on Treaties with Israel.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2022. X, 246 S. m. 3 Abb. = De Gruyter Contemporary Social Sciences, 3. Geb. EUR 89,95. ISBN 9783110735123.

Rezensent:

Christine Schirrmacher

Das Thema Antisemitismus hat im 21. Jh. erneut erschreckende Bedeutung gewonnen; Publikationen haben Konjunktur, darunter auch solche, die sich mit dem Phänomen eines islamisch begründeten Antisemitismus beschäftigen. Ofir Winter, Research Fellow am Institute for National Security Studies (INSS) an der Universität von Tel Aviv, wendet sich mit dieser Studie sozusagen der Kehrseite antisemitisch-islamistischer Kampfansagen an den Staat Israel zu: Er untersucht Friedenskonzepte und Aussöhnungsinitiativen dreier Staaten mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung. Dabei nimmt W. mit den unmittelbaren Nachbarn Israels, Ägypten und Jordanien, die beiden einflussreichsten Akteure der Region in den Blick und zieht vergleichend die Vereinigten Arabischen Emirate heran.

Die Studie stellt dabei weniger explizit theologische Begründungen für ein Friedenskonzept mit Israel in den Mittelpunkt – allerdings konnte sich ein solchermaßen ausgearbeitetes Konzept in der islamischen Theologie auch bisher kaum etablieren. Auffindbar ist es allerdings durchaus in der islamischen Tradition, wie W. aufzeigt, wenn er theologische Begründungen verschiedener Akteure für eine friedliche Koexistenz mit Israel nennt und damit deutlich macht, wie interpretierbar die – zum größten Teil feindlichen – Koranverse über die Juden zu Lebzeiten Muhammads letztlich sind. Ihre Auslegung kann an die politischen Gegebenheiten angepasst werden, so dass mit »islamischer« Begründung entweder die Notwendigkeit eines Friedensprozesses mit Israel begründet oder negiert werden kann.

Das erste Hauptkapitel widmet sich dem Sonderfall Ägypten, das bereits 1979 unter Präsident Anwar al-Sadat und der Ägide des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter einen innenpolitisch höchst umstrittenen und außenpolitisch in der Region weithin verurteilten Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet hatte. Dies war keinesfalls ein Selbstläufer gewesen, war doch in den vorausgehenden Jahrzehnten die erbitterte Feindschaft mit Israel reichlich unterfüttert worden. Dies vor allem durch das Wirken der islamistischen Muslimbruderschaft, die sowohl ideologische Begründungen lieferte als auch Anschläge auf jüdische Ziele verübt hatte. Sadats Bemühungen richteten sich nach dem Friedensschluss daher vor allem auf »islamische« Begründungen mit Berufung auf die islamische Geschichte und den »größeren Jihad« des Einsatzes für das Wohlergehen aller, bei dem Israel ein wichtiger Partner sei.

Ganz anders die Situation in Jordanien, das bis zur Unter-zeichnung des jordanisch-israelischen Friedensvertrags 1994 Israel ausgesprochen feindlich gegenübergestanden hatte; auch der König hatte stets den Kampf gegen Israel befürwortet – während es gleichzeitig geheime militärische Kooperationen gab. Eine grundlegend neue Situation ergab sich nach der Invasion Kuwaits durch Irak 1991, die Jordanien unterstützt hatte und sich dadurch international wie regional isoliert sah. Nun war der Friedensprozess nicht nur eine Frage des politischen Überlebens als Verbündeter der USA, sondern auch Teil eines dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwungs; er mündete schließlich in die Unterzeichnung des jordanisch-israelischen Friedensvertrags 1994. Die Proteste der Muslimbruderschaft gegen den Vertrag wurden mit Repressionen klein gehalten und mit einem öffentlichen Diskurs unterfüttert, der den Vertrag als logische Fortsetzung der islamischen Geschichte der Toleranz gegenüber den »Kindern Abrahams« darstellte. »Islamische« Legitimation leitete König Hussein aus seiner Abstammung von der Linie Muhammads ab; zudem sei Jerusalem ein Symbol des Friedens zwischen den monotheistischen Religionen. Und nicht zuletzt stellte Hussein eklatante wirtschaftliche Vorteile sowie einen Zugewinn an nationaler Sicherheit in Aussicht. Letztlich sei der Friedensvertrag ein Sieg im Kampf gegen Israel, keine Niederlage, so das offizielle Narrativ.

Auch die VAE schlossen mit Israel ein Friedensabkommen im Jahr 2020, das sich auf einen Diskurs gründete, der auf Dialog, interreligiöse Toleranz und eine Delegitimierung islamistischer Deutungsmuster setzte. Zugleich folgten diesem Diskurs Taten, als mehrere Synagogen und ein jüdisches Zentrum eröffnet wurden, später sogar ein Museumsflügel in Dubai zur Thematik des Holocaust. Außenpolitische Entwicklungen, insbesondere die vermehrte Bedrohung der Region durch einen expansiven Iran, aber auch diplomatischer Druck der Trump-Administration sowie wirtschaftliche Überlegungen und verbesserte Möglichkeiten zur Pilgerfahrt nach Jerusalem hatten den Weg dafür geebnet. Ablehnende Stimmen wurden auch hier aus dem islamistischen Lager laut – allerdings vor allem aus dem Ausland, denen die Regierung Stimmen einflussreicher islamischer Gelehrte entgegensetzte. Sie nahmen ausdrücklich Bezug auf die islamische Geschichte und den Islam als die Religion des Friedens; zudem sei der Friedensschluss durchaus mit Muhammads Abkommen mit Nicht-Muslimen aus der Frühzeit des Islam zu vergleichen, da die Juden Kinder Abrahams seien.

W.s Studie ist vor dem Hintergrund der jüngsten Abkommen mehrerer Staaten mit Israel von besonderer Aktualität, zeigt sie doch das Aufbrechen der bisherigen arabischen Front der Ablehnung Israels. W.s eigene Schlussfolgerung lautet: Es ist nicht der Islam an sich, der eine Isolierung und Ablehnung Israels unwiderlegbar begründet und einen Friedensschluss mit dem wirtschaftlich interessantesten und technologisch am weitesten entwickelten Partner unmöglich macht. Es ist vor allem eine islamistische Lesart, die die Feindschaft zwischen Juden und Muslimen vom Anbeginn des Islam bis zur Gegenwart als unverrückbare Tatsache behauptet. Die politische Realität in Zeiten der allgegenwärtigen politischen Bedrohung durch einen expansiven Iran und ein gestiegenes Inter-esse an wirtschaftlicher Kooperation verlangt neue Antworten. Das Narrativ vom »Erzfeind Israels« entfaltet so immer weniger Überzeugungskraft, auch wenn es mitunter als wirksames Instrument der Mobilisierung breiter Bevölkerungsmassen gegen den Feind »da draußen« und als Identitätsmarker arabischer Gesellschaften herhalten muss. Alternativlos ist dieses Narrativ jedoch keinesfalls.