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Ausgabe:

November/2022

Spalte:

1025–1026

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Bertram

Titel/Untertitel:

Religionswissenschaft. Einführung.

Verlag:

Baden-Baden: Tectum Verlag (Nomos) 2021. 258 S. = NomosBibliothek. Kart. EUR 24,00. ISBN 9783828846074.

Rezensent:

Klaus Hock

Die Religionswissenschaft ist eine in Deutschland durchaus nachgefragte Disziplin. Das zeigen nicht nur die bundesweit vergleichsweise hohen Zahlen von Studierenden, die für das Fach selbst eingeschrieben sind, zumindest im Nebenfach. Auch im Studium von Theologie und Religionspädagogik stellt die Religionswissenschaft einen unverzichtbaren, inzwischen curricular weithin obligatorischen Baustein dar. Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass sich die Zahl der Einführungen in das Fach vergleichsweise bescheiden ausnimmt.

Mit der Veröffentlichung von Bertram Schmitz liegt nun ein Band vor, der gegenüber den bereits vorhandenen Einführungen in die Religionswissenschaft einen etwas anderen Zugang wählt. Die Gliederung wirkt dabei zunächst recht konservativ. Einer »Einleitung und Hinführung« folgen fünf Kapitel – je unter dem Stichwort »Ausgangspunkt« –, die sich mit Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus befassen, bevor ein letztes Kapitel die Religionswissenschaft fachsystematisch einordnet und ihre Verbindung zu Nachbardisziplinen entfaltet. Ein Literatur- und ein Stichwortverzeichnis schließen den Band ab.

Das hinführende Kapitel beschränkt sich auf einige ausgewählte Aspekte, die vornehmlich das Selbstverständnis des Faches, seine innere Gliederung und den Zugang zu seinen Gegenständen betreffen. Diese programmatische Beschränkung erweist sich vor allem aus der Perspektive der Leser als Vorteil, weil der Band damit recht zügig »zur Sache selbst« kommt, zu den Religionen. Dabei werden in einem auf den ersten Blick vermeintlich willkürlichen Zugriff Aspekte der jeweiligen Religionen herausgegriffen und expliziert. Ein zweiter Blick zeigt jedoch, dass sich durchaus pragmatische Überlegungen hinter dieser strategisch reflektierten Entfaltung scheinbar zufällig zusammengestellter Themen verbergen. Entsprechend lassen sich die den jeweiligen Darstellungen zugrundeliegenden Prinzipien und Logiken rekonstruieren, beispielhaft etwa am Judentum: Die Geschichte im sowohl emischen wie etischen Verständnis wird zur zentralen Rekonstruktionskategorie und dient entsprechend auch als Strukturierung der Darstellung des Judentums – vom Judentum vor der Zerstörung des Tempels (1.1) über das rabbinische Judentum (2.3) bis zur »Komplexität des Judentums« (2.5). Der dabei umfangreichste erste Teil entfaltet nochmals die für das Judentum zentrale Bedeutung von »Geschichte« aus Außen- und Innenverständnis und fährt dann damit fort, einerseits wichtige Aspekte von Praxis, (Selbst)reflexion und ausgewählten Phänomenen herauszustellen (so etwa Tempel, Priester und Opfer, Prophetie, Gottesbegegnung, Schrift ...), andererseits exemplarisch und etwas detaillierter einzelne Fragen zu diskutieren (wie etwa die Berufungsvision des Jesaja-Buches und ihre Sichtung in religionswissenschaftlicher Perspektive). Dabei sind zur Einordnung des jeweils verhandelten Themas häufig inhaltliche Bezüge, Querverbindungen und Vergleiche zu anderen Religionen eingeflochten – beispielsweise zur Bedeutung von Essen und Speisetabus (34–38) oder zum Opferverständnis (39–40) –, gelegentlich auch in Gestalt vereinzelter Referenzen, so etwa bei der Frage der Gottesbegegnung zum Islam (50) und hinsichtlich des Gottesdienstverständnisses zum Christentum (60). Immer wieder wird, quasi induktiv, die von den jeweiligen thematischen Gegenständen ausgehende und Forschungsfragen generierende, religionswissenschaftliche Relevanz aufgerufen und entsprechend in der Reflexionsebene des Faches verortet, zum Beispiel mit Blick auf die Kategorie der (heiligen) Schrift im Besonderen und hinsichtlich religiöser Quellen im Allgemeinen (51).

Ähnliche »Rekonstruktionsmuster« lassen sich entsprechend in den Ausführungen über die anderen Religionen nachzeichnen, allerdings dann eben deren jeweiligen Eigenheiten angepasst. Besonders hervorzuheben sind diesbezüglich auch die immer wieder eingestreuten Rückverweise – beispielsweise aus der die Speisen betreffenden Systematik im Hinduismus auf die in dieser Hinsicht anders konfigurierte Klassifikation im Judentum und in den anderen Religionen (153). Als wichtiger durchgehender roter Faden fällt die wiederholte Diskussion des Religionsbegriffs auf. Das kommt nicht von Ungefähr, immerhin gehört die Auseinandersetzung mit dieser Thematik zur Grundlage und zum Ausgangspunkt, wenn nicht gar zur Raison d’être jeden religionswissenschaftlichen Diskurses.

So entsteht nach der Lektüre der Eindruck, dass der Vf. ein sehr dichtes und komplexes Netz ausgeworfen hat, das die Vielfalt der Religionen so umfassend wie möglich und so detailliert wie nötig für alle jene abbilden soll, die sich zu ihrer religionswissenschaftlich reflektierten Erkundung aufmachen wollen – eben als Einführung. Dies ist bravourös gelungen, die Lektüre ist anregend und auch nicht eine Sekunde langweilig. Bisweilen wird es dann aber doch recht komplex oder auch detailliert bis assoziativ, zumal wenn die religionsübergreifenden Querverweise schlaglichtartig recht spezielle Aspekte herausgreifen: Ob zum Beispiel der Zusammenhang zwischen der Berufungsvision des Jesaja und der Ikonostase (49) von allen Lesern unmittelbar nachvollzogen werden kann? Und bräuchte der an dieser Stelle und in Fußnote 74 vermerkte Bezug zur Berufung Muhammads nicht der weiteren Erläuterung? Oder erschließt sich bei der Lektüre tatsächlich allen sofort und umstandslos der beiläufige Hinweis auf Formen der religiösen Erotik »etwa in den Tempeln von Khajuraho [...] oder in den Yabyum-Statuen« (62)? Vielleicht wird jenen, die sich aufmachen, religionswissenschaftlich reflektiert die Religionswelt zu entdecken, nach intensiver und akribischer Durcharbeit des Gesamttextes ein mosaikartiges Gesamtbild erkennbar, aber bis dahin bleiben im Fortgang der Lektüre für den einen Leser oder die andere Leserin manche solcher Referenzen womöglich ein wenig kryptisch. Dies zeigt das Dilemma auf, mit dem wohl jede Einleitung konfrontiert ist, wenn sie eine Einleitung sein will: Viele Themen anreißen zu müssen, ohne sie ausführen zu können – und doch zugleich auf »mehr« Appetit machen zu wollen. In der Hand der einzelnen Nutzer und Nutzerinnen kann der Band so als eine Art Arbeitsbuch dienen, dessen Hinweise zur selbständigen Weiterarbeit anregen, im Unterricht wiederum als Grundlage für die je nach Bedarf breiter oder tiefer ausgelegte, von Lehrenden und Lernenden gemeinsam unternommene Erforschung der vielfältigen Tiefendimensionen von Religion und Religionswissenschaft.