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Ausgabe:

Oktober/2022

Spalte:

959-961

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Klemens von Rom

Titel/Untertitel:

Die Reisen des Petrus. Recognitiones Clementis. Bericht des Klemens von Rom an Jakobus, den Bruder Jesu, über seine Reisen mit Petrus, dem Apostel Christi und Bischof von Rom. Nach der lat. Ausgabe des Rufin von Aquileja ins Deutsche übertragen, eingel. u. m. Anmerkungen vers. v. D. A. Erhorn.

Verlag:

Lympia-Nikosia: Spohr Publishers 2021. 463 S. Geb. EUR 64,00. ISBN 9789963401413.

Rezensent:

Jürgen Wehnert

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Rufinus von Aquileia: Übersetzung der Pseudoklementinischen Rekognitionen, Buch 1 und 2. Lateinisch/deutsch. Hg., übers., erläutert u. m. Indizes vers. v. M. Vielberg. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021. 286 S. = Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike, 2.1. Geb. EUR 49,00. ISBN 9783515130103.


Der sogenannte pseudoklementinische Roman wurde in Deutschland seit dem 18. Jh. zu einem bedeutenden Gegenstand der neutestamentlichen und kirchengeschichtlichen Forschung. Umso erstaunlicher ist es, dass die beiden um 300 n. Chr. entstandenen Rezensionen dieses Romans, die »Homilien« (in 20 Büchern) und die »Rekognitionen« (in zehn Büchern), bis ins 21. Jh. nicht in vollständigen deutschen Übersetzungen erhältlich waren. Bei den »Homilien« änderte sich das 2010 (Jürgen Wehnert, in: Kommentare zur apokryphen Literatur 1/1), bei den »Rekognitionen« (eine frühe Übersetzung des Pietisten Gottfried Arnold von 1702 darf hier übergangen werden) wurde die Lücke erst vor Kurzem geschlossen. Unabhängig voneinander erschienen 2021 zwei deutsche Versionen, die auf dem von Bernhard Rehm in den GCS glänzend edierten Text basieren (»Die Pseudoklementinen II«, Berlin 21994). Die eine von stammt von dem Klassischen Philologen Meinolf Vielberg (Jena), die andere von dem Privatgelehrten Daniel Alexander Erhorn (Wolfhagen bei Kassel).

Die Freude über diese Ausgaben wird ein wenig getrübt, weil sie die Leserschaft nicht mit dem gesamten überlieferten Textbestand der »Rekognitionen« bekanntmachen, sondern nur mit ihrem wichtigsten Zeugen. Dabei handelt es um die von Rufin von Aquileia (ca. 345 bis 411/412 n. Chr.) nach 400 hergestellte lateinische Übersetzung des griechischen Originals, die, wie der große Handschriftenbestand zeigt, anhaltendes Interesse in weiten Teilen Europas fand und das Werk im Bewusstsein einer breiten Leserschaft verankerte. So gibt es gewiss gute Gründe, Rufins lateinische »Recognitiones« separat ins Deutsche zu übertragen, doch treten die anderen Überlieferungen dadurch in den Hintergrund. Das betrifft Zitate der griechischen »Rekognitionen« in Werken antiker und spätantiker Autoren (etwa bei Origenes und Pseudo-Kaisarios) ebenso wie die Reste von Übersetzungen in andere Sprachen. Erhebliche Bedeutung hat eine frühe syrische Teilversion der »Rekognitionen« aus dem 4. Jh. (sie umfasst die Bücher 1–3 und wenige Verse von 4), da sie Rufins Übersetzung zumindest gleichwertig ist. Vielberg und mehr noch Erhorn weisen in den Fußnoten zu ihren Übersetzungen gelegentlich auf diese Textzeugen hin, doch gewinnt die Leserschaft dadurch keinen hinreichenden Eindruck von deren Wert. So ist die Gelegenheit verstrichen, zumindest den syrischen Teiltext parallel zum Rufin-Text zu übersetzen – auch über Rufins Übersetzungskunst wäre daraus manches zu lernen gewesen.

Der im Februar 2021 erschienene erste Band von M. Vielbergs zweisprachiger Ausgabe bietet Text und Übersetzung der ersten beiden »Rekognitionen« Bücher; die weiteren Bände sollen in zweijährlichen Abständen folgen. Den Hauptteil des Bandes füllt der lateinische Text Rufins (samt dessen Vorwort) und die ihm gegenübergestellte deutsche Übersetzung (9–229). Da der deutsche Text, wie üblich, länger ausfällt als der lateinische, wäre es bei den künftigen Bänden hilfreich, ihm den lateinischen Wortlaut absatzweise an die Seite zu stellen, sodass beides zum leichteren Vergleich auf etwa gleicher Höhe steht. Die sparsam eingefügten Anmerkungen (notwendige Sacherklärungen sowie Querverweise auf biblische und andere Literatur) finden sich als Endnoten in einem Anhang (243–259). Die übrigen Beigaben sind etwas ungewöhnlich. Während das Vorwort (7 f.) ausführlich über den Entstehungshintergrund der Ausgabe informiert, werden dem Leser notwendige Daten über die Entstehung des Romans erst auf einer knappen Seite des Anhangs (231) mitgeteilt. Überraschend, aber genussreich ist ein am Ende abgedruckter Aufsatz »Wer soll(te) das lesen? Der Clemensroman literarisch betrachtet« der beiden Klassischen Philologen Alexander Arweiler und Bardo M. Gauly (261–282). Dieser rezeptionsästhetische Beitrag weitet den Blick für die literarischen, rhetorischen, thematischen und emotionalen Angebote, die der Romanautor seiner antiken Leserschaft macht.

Ende November 2021 legte ein auf Zypern ansässiger Verlag – also gleichsam in Sichtweite des erzählten Handlungsraums der Klementinen – unter barockem Titel eine Gesamtübersetzung von Rufins »Rekognitionen« aus der Feder von Daniel A. Erhorn vor. Die Übersetzung (29–417) umfasst das Vorwort Rufins, einen Brief des Protagonisten Klemens an den Herrenbruder Jakobus und die zehn »Rekognitionen«-Bücher. Verweise auf Schriftstellen und Sacherläuterungen sind in ähnlichem Umfang beigegeben wie bei Vielberg (nicht selten ergänzen sie einander). In der Einleitung (13–27) skizziert Erhorn sein Verständnis von Entstehung und Überlieferung der Klementinen und weist zu Recht auf die hohe Bedeutung der darin verarbeiteten jüdisch-christlichen Traditionen hin. Letztere wurden freilich vom Redaktor der »Rekognitionen« bis auf das in Buch 1,27–71 verarbeitete Material weitgehend getilgt. Nur aufgrund dieser dogmatisch bedingten Kürzungen konnten die »Rekognitionen«, anders als die »Homilien«, in der Großkirche zu Ansehen gelangen. So ist es nicht überzeugend, die »Rekognitionen« mit den Konflikten zwischen toratreuen und torakritischen Christusgläubigen des 1. Jh.s in direkte Verbindung zu bringen und sie für die toratreue Position in Anspruch zu nehmen (zu 20–24). Dass den Klementinen wegen ihres judenchristlichen Ursprungs »die Aufnahme in den Kreis kanonischer Schriften [...] verweigert wurde« (so der Verleger Salim Erich Spohr in einem Geleitwort, 5), trifft daher für die »Rekognitionen« gewiss nicht zu – die ab dem ausgehenden 2. Jh. in großer Zahl entstehenden fiktiven Apostelakten kamen viel zu spät, um den authentischen Apostelschriften zugerechnet werden zu können.

Gewichtiger als alle Einzelkritik ist jedoch der Dank, den Vielberg wie Erhorn dafür verdienen, dass sie allen einschlägig Interessierten lange entbehrte, bequem zugängliche und gut lesbare deutsche Übersetzungen der bekannteren Rezension der Klementinen an die Hand gegeben haben. Ihre Lektüre vermittelt der Leserschaft eine intensive Begegnung mit der antiken Geistes- und Lebenswelt und den damals gefundenen Antworten auf die immer gleichen Sinnfragen menschlichen Lebens, die die bleibende Bedeutung diese Bildungs- und Reiseromans ausmachen.