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Ausgabe:

Oktober/2022

Spalte:

957-959

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Pabst, Stefan

Titel/Untertitel:

Das theologische Profil des Julian von Toledo. Das Leben und Wirken eines westgotischen Bischofs des siebten Jahrhunderts.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. XII, 518 S. = Vigiliae Christianae. Supplements, 165. Geb. EUR 139,00. ISBN 9789004445437.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine von Josef Rist betreute Dissertation an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bochum. Stefan Pabst untersucht das Leben und Wirken des westgotischen Bischofs Julian von Toledo (ca. 642–690), der im Vergleich etwa zu Isidor von Sevilla eher als ein Mann aus der »zweiten Reihe« wahrgenommen wird und auch chronologisch eher ans Ende als an den Anfang der Blütezeit der Westgotenherrschaft in Spanien gehört. Dass eine gründliche Auseinandersetzung mit Julians literarischer Hinterlassenschaft gleichwohl ein lohnendes Unternehmen ist, will P. in seiner Dissertation zeigen. Dabei soll insbesondere das theologische Profil Julians erhoben und gewürdigt werden.

Auf eine kurze Einleitung, die über die Quellenlage, den Forschungsstand und das methodische Vorgehen Auskunft gibt (1–16), bietet P. in einem ersten Teil eine Darstellung des politischen und kulturellen Umfeldes Julians: Das nach dem Konzil von Toledo 589 katholisch gewordene und nach der Synode von Toledo 633 politisch konsolidierte Westgotenreich wird als kirchenpolitischer Rahmen seines Wirkens beschrieben. Die christliche Kultur jenes Reiches wird unter besonderer Berücksichtigung Toledos als des politischen und kulturellen Zentrums in kurzen, präzisen Strichen nachgezeichnet (20–58). Es folgt ein kurzes Biogramm Julians, das in Ermangelung einer stabilen Quellenbasis teilweise lückenhaft bleiben muss. Wichtig sind freilich die Verweise auf die jüdische Abstammung Julians und seine Ausbildung an der Bischofsschule von Toledo sowie auf die Konzilien der 680er Jahre, denen Julian als Bischof vorsaß (59–81). In dieser Zeit entstanden auch die Schriften Julians, deren detaillierte Untersuchung den eigentlichen Kern der Dissertation bildet.

P. untersucht die erhaltenen Schriften Julians in zwei Teilen, deren erster sich den nicht-theologischen und deren zweiter sich den theologischen Schriften widmet. In der (hinsichtlich der Verfasserschaft nicht ganz gesicherten) Ars grammatica und der Epis-tula ad Modoenum tritt Julian als Vertreter der Bischofsschule von Toledo in Erscheinung, der die dort gelehrte Grammatik und Metrik repräsentiert. Im Elogium Ildefonsi und in der Historia Wambae regis sehen wir ihn hingegen als historisch arbeitenden Theologen, der im ersten der beiden Werke die überkommene historiographische Tradition fortschreibt, während er in der zweiten Arbeit als eigenständiger Geschichtsschreiber erkennbar wird: Hier verwebt Julian literarische, pädagogische, moralische und politische Aspekte zu einem Gesamtkunstwerk, das ihn als fähigen Schriftsteller, als Lehrer der Westgoten und als seine kirchenpolitischen Interessen nachdrücklich vertretenden Bischof hervortreten lässt (157).

Im zweiten Teil der Untersuchungen zu den Schriften Julians richtet sich die Analyse nun auf die theologischen Texte im engeren Sinne. Er ist das Herzstück der Dissertation, die sich ja die Erhebung gerade des theologischen Profils Julians zum Ziel gesetzt hat. Untersucht werden vier einschlägige Schriften, die gerade in ihrer thematischen Vielfalt das beeindruckende Spektrum des theologischen Wirkens des Westgotenbischofs erkennbar werden lassen (163–445).

Die antijüdische Apologie De comprobatione sextae aetatis ist Schlüssel für die Auseinandersetzungen um das Verhältnis des katholisch gewordenen Westgotenreiches zum Judentum. Zwar ist eine grundsätzlich feindliche Haltung des (wohl selbst aus jüdischer Familie stammenden) Julian gegenüber dem Judentum nicht zu verkennen, jedoch äußert sich diese nicht in einer Bekämpfung des Judentums als solchem, sondern im Streben nach einer Reduzierung von dessen Einflüssen auf die Christen des Reiches. Aus diesem Grunde war Julian auch einer der wichtigsten Befürworter der antijüdischen Politik und Gesetzgebung Königs Ervig (reg. 680–687). Der Sache nach geht es in De comprobatione sextae aetatis um die Frage, ob das sechste Weltalter, in dem der Messias auftreten werde, bereits angebrochen sei oder nicht; Julian wendet sich gegen die jüdische Position, die dies verneint und damit die Messianität Jesu bestreitet (165–234). Das (nicht vollständig überlieferte) Apologeticum de tribus capitulis spiegelt die Ausein-andersetzungen zwischen Toledo und Rom im Zusammenhang der monotheletischen Streitigkeiten und erhellt die christologische Position Julians. Seine Linie besteht darin, die älteren Traditionen der westgotischen Christologie mit den Entscheidungen des dritten Konzils von Konstantinopel (680/681) zu harmonisieren. Der Primas der westgotischen Kirche zeigt sich hier als selbständiger, unabhängiger und den Widerspruch gegen Rom keineswegs scheuender Theologe (235–299). Beim unter dem Titel Antikeimena überlieferten Werk handelt es sich um ein offenbar für Unterricht und Ausbildung konzipiertes exegetisches Handbuch. Indem es sich den Bibeltexten unter dem rein formalen Gesichtspunkt des möglichen Widerspruchs zweier oder mehrerer Verse widmet, ist es als durchaus origineller Beitrag zur Geschichte der Exegese anzusehen (300–351). Im Prognosticum futuri saeculi schließlich finden wir das erste christliche Handbuch zur Eschatologie vor: Julian setzt der tendenziell apokalyptischen Grundstimmung seiner Zeit einen eher nüchternen und wissenschaftlich ausgerichteten Gegenpol entgegen, indem er die Lehrautorität der Kirchenväter mit einer eigenen, aus selbständiger Lektüre der Väter gespeisten Konzeption verbindet. Er trägt damit zur Entwicklung einer neuen Form des Theologietreibens bei, die weniger auf die Formulierung neuer Gedanken abstellt, sondern die Reorganisation und systematische Durchdringung überkommener Denkformen zum Ziel hat (352–429).

Am Ende der Arbeit bietet P. eine zusammenfassende Ergebnissicherung, die aus den vorstehenden Analysen das spezifische Profil Julians nach drei Seiten hin erhebt: Der Bischof von Toledo wird als patristischer Theologe, d. h. als eigenständiger Rezipient der Kirchenvätertraditionen, sodann als pädagogisch-pastoraler Lehrer und schließlich als ganz aus seinem westgotischen kulturellen Kontext heraus zu verstehender Kirchenlenker gezeichnet (430–445). Im Anhang der Arbeit (448–460) finden sich noch neue deutsche Übersetzungen der Vita Iuliani des Felix von Toledo, die ja in gewisser Weise schon in die Wirkungsgeschichte Julians gehört, und der Epistula ad Modoeunum Julians selbst (s. o.), ferner eine kurze Liste der neu identifizierten Kirchenväterzitate in Julians De comprobatione sextae aetatis, die zum Verständnis der patristischen Arbeitsweise Julians ebenso beiträgt wie zur Frage nach den theologiegeschichtlichen Hintergründen frühmittelalterlicher Eschatologie. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Stellen- und Sachregister runden die Arbeit ab.

Insgesamt handelt es sich um eine zuverlässige, weil streng quellenorientierte Darstellung des Werkes und Wirkens einer bisher vergleichsweise wenig beachteten Bischofsgestalt des frühen Mittelalters. Der Ertrag der durchweg gründlichen Analysen besteht darin, dass die theologischen Schriften Julians zuverlässig erschlossen und umsichtig in ihren kultur- und theologiegeschichtlichen Kontext eingeordnet werden. Was die Darstellung der Theologie Julians angeht, kommt die Arbeit nicht ganz ohne Redundanzen aus. Sie entgeht aber erfreulicherweise der bei biographisch und werkgeschichtlichen angelegten Arbeiten mitunter anzutreffenden Tendenz, den Protagonisten allzu sehr auf den Schild heben zu wollen, und erhält sich die in wissenschaftlichen Unternehmungen stets gebotene nüchterne Distanz zu ihrem Gegenstand. Ihr eigentlicher Gewinn besteht in der Differenziertheit des Bildes, das sie von Julian entwirft. Damit bietet die Arbeit eine solide Grundlage für jede weitere Beschäftigung mit der Gestalt des Bischofs von Toledo und leistet zugleich einen gewichtigen Beitrag zur immer noch wenig untersuchten Theologiegeschichte des Westgotenreiches. Zu loben ist schließlich auch die zügige Drucklegung, die es ermöglicht hat, dass die Arbeit bereits ein Jahr nach Abschluss des Promotionsverfahrens der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.