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Ausgabe:

Oktober/2022

Spalte:

891-902

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jörg Ulrich / Jörg Dierken

Titel/Untertitel:

Wer erhält die Welt?1

I Schöpfungstheologie 1.0 – Positionslichter aus der Theologiegeschichte



Wer rettet die Welt? Angesichts von Klimakrise einerseits und von politischen wie ökologischen Katastrophenszenarien unserer Tage andererseits ist die Frage neu virulent geworden. Nicht nur Bewegungen wie »Friday’s for future« verschaffen ihr nachdrücklich Gehör: Wer bewahrt die Schöpfung? Wer erhält die Welt? Für den Königsberger Domorganisten Heinrich Albert, der eines der schönsten Morgenlieder in unserem Gesangbuch gedichtet hat, war die Antwort eindeutig: »Gott des Himmels und der Erden, / Vater, Sohn und Heilger Geist / der es Tag und Nacht lässt werden, / Sonn und Mond uns scheinen heißt / dessen starke Hand die Welt / und was drinnen ist, erhält«, heißt es bei ihm (EG 445,1). Entstanden sind diese Zeilen im Jahre 1642, auf den letzten Metern des 30-jährigen Krieges.

Wer rettet die Welt? Der gemeinsam mit meinem Kollegen Jörg Dierken zu dieser Frage erarbeitete Beitrag ist zweigeteilt. Ich werde zunächst einige prominente Beispiele aus der Geschichte der christlichen Schöpfungstheologie präsentieren, wenn man so will Positionslichter aus der Schöpfungstheologie 1.0. Das soll neu darauf aufmerksam machen, dass die Frage nach der Erhaltung der Welt Bestandteil jedweder christlicher Schöpfungstheologie ist, und dass demgemäß niemand anders als Gott es ist, der für die Erhaltung der Welt, die er geschaffen hat, Sorge trägt. Ich habe, um das aufzuzeigen, drei besonders prominente Denker des Chris-tentums ausgewählt: Augustin, Thomas von Aquin und Martin Luther, und schließe dann meinen Beitrag mit einem kurzen Ausblick. Zunächst aber noch eine Vorbemerkung:

Dass der Zusammenhang von Schöpfung und Erhaltung (und auch der Vollendung) der Welt durch Gott den Schöpfer überhaupt einer Erörterung bedarf, verdankt sich dem spezifischen Zuschnitt des Schöpfungsbegriffs seit der frühen Kirche. Denn für die Mehrzahl der antiken Philosophien stellte sich die Frage nach der Erhaltung der Welt so nicht: Pythagoras, Heraklit, Aristoteles und auch die Stoa setzen für die Materie und für den Kosmos, der aus ihr geformt ist, einen ewigen Wechsel von Werden und Vergehen voraus, der die Ewigkeit der Welt impliziert, so dass das Problem ihrer Erhaltung gleichsam wegfällt. Erst der christliche Gedanke einer Erschaffung alles Seienden aus dem Nichts, also die sogenannte creatio ex nihilo, wirft das Problem auf, wie man sich denn das Weiterbestehen eines Seienden denken soll, das den Grund seines Seins nicht in sich selbst hat (May, Schöpfung aus dem Nichts, Berlin 1978). Denn wenn Gott, der Schöpfer, das einzige ungeschaffene, ungezeugte und selbstursächliche Sein ist, dann bedarf das von ihm aus dem Nichts geschaffene, nicht selbstursächliche Sein, mithin alles Sein außerhalb Gottes, einer kontinuierlichen Teilhabe an Gottes Wirken, weil es andernfalls wieder dahin zurückfallen würde, wo es herkam, nämlich ins Nichts. Alles aus dem Nichts Geschaffene ist darauf angewiesen, dass der, der es aus dem Nichts geschaffen hat, es auch vor dem Nichts bewahrt. Es ist darauf angewiesen, dass es von ihm erhalten wird. Das kann man anhand prominenter Positionslichter aus der Theologiegeschichte studieren, die ich nun kurz – und jeweils auch verkürzend – vorführe.

1 Augustin von Hippo



Bei Augustin, durch dessen Werk sich die Frage nach der Schöpfung wie ein roter Faden zieht, sind – ungeachtet zum Teil erheblicher Differenzen in seinen Aussagen im einzelnen – zwei allen seinen Ausführungen zur Schöpfung zugrundeliegende Motive zu identifizieren: Das Insistieren auf dem ontologischen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf und das Verbot einer Grenzverletzung zwischen beiden (L. C. Seelbach, in: Augustin Handbuch, hg. v. V. H. Drecoll, Tübingen 2007, 470).

Augustin hat die ersten Bücher der Genesis mehrfach exegesiert, mitunter eher allegorisch, so beispielsweise in den Confessiones (conf. XI–XIII), mitunter eher dem Literalsinn nach, so beispielsweise in De Genesi ad litteram. In De Genesi ad litteram gelangt er zu der Stelle Gen 2,2 (»Gott ruhte von allen seinen Werken, die er geschaffen und gemacht hatte«) und steigt in eine Überlegung ein, wie man dieses Ruhen Gottes vereinbaren könne mit der Aussage Jesu in Joh 5,17: »Mein Vater wirkt bis jetzt«. Augustin schreibt:

»Man kann das Ruhen Gottes auch so verstehen, dass er davon Abstand nahm, weitere Arten von Kreaturen zu erschaffen, weil er tatsächlich von nun an keine neuen Gattungen mehr begründet hat, aber bis jetzt und auch weiterhin die Verwaltung jener Gattungen besorgt, die damals erschaffen worden sind. So gesehen hat er seine Macht über die Leitung des Himmels, der Erde und aller Dinge, die er erschaffen hatte, nicht einmal an jenem siebenten Tag (sc. an welchem er ruhte) ausgesetzt, zumal das alles sonst sofort zerfallen wäre. Denn die Ursache für das Bestehen aller Geschöpfe ist allein die Kraft des Schöpfers, die Wirksamkeit des Allvermögenden und Allbeherrschenden. Würde diese Wirksamkeit auch nur einen einzigen Augenblick aufhören, das von ihr Geschaffene zu regieren, so würde zugleich auch seine Erscheinung (sc. die des Geschaffenen) schwinden, und die ganze Natur fiele zusammen.« (Gn. litt. 4,12,22; Übersetzung nach C. J. Perl, Paderborn 1961, 126 f.; zur Sache vgl. noch Gn. litt. 5,20,40; 5,23,46).

Augustin zieht das Beispiel eines Architekten zum Vergleich heran: Wenn dieser ein Haus gebaut hat und sich zurückzieht, bleibt das Haus stehen. Wenn hingegen Gott sich nach der Erschaffung der Geschöpfe zurückzöge, könnte der Kosmos keinen Augenblick lang weiterbestehen. Das Wirken des Vaters bis jetzt nach Joh 5,17 (es heißt ja »bis jetzt«, nicht »auch jetzt«!) weise, so Augustin, auf ein fortgesetztes Schöpfungswirken Gottes hin, das nicht im Widerspruch stehe zur Ruhe am siebten Tage nach Gen 2,2 (vgl. Gn. litt. 5,23,46). Worin genau aber besteht nun jenes kontinuierliche Handeln Gottes? Augustin antwortet mit Aussagen über die Weisheit aus der Sapientia Salomonis. Diese durchwalte auf’s beste den Kosmos (Sap Sal 8,1) und sei beweglicher als alle Bewegungen (Sap Sal 7,24): Deswegen, so Augustin, seien die auf’s beste zu durchwaltenden Dinge erst in Bewegung, eine Bewegung, die, wenn Gott mit seinem Wirken aufhören würde, zu Ende wäre, was den sofortigen Übergang ins Nichts bedeute. Augustin rekurriert flankierend auf die Areopagrede, in der Paulus sagt: »In ihm leben wir, bewegen wir uns und haben wir unser Sein.« Dies zeige, dass Gott in denen, die er erschaffen hat, unaufhörlich weiterwirke. Noch einmal ein Zitat aus De Genesi ad litteram:

»Wir sind ja nicht so in ihm, als wären wir seine Substanz, so wie es heißt, er habe das Leben in sich selbst (Joh 5,26), sondern wir sind etwas ganz anderes als er und sind nur deshalb in ihm, weil er es bewirkt, und dieses Wirken ist es, womit er alles umfasst […] und auf’s beste durchwaltet; durch diese Durchwaltung leben wir in ihm, bewegen wir uns und haben unser Sein (Apg 17,28). Daraus ergibt sich, dass wir, wenn er dieses Wirken den Dingen entzöge, weder leben noch uns bewegen noch sein würden. Es ist also klar, dass Gott nicht einen einzigen Tag vom Wirken der Leitung derer abgelassen hat, die er erschaffen hat, die sich auch auf ihre (sc. der Geschöpfe) natürlichen Bewegungen erstreckt, mit denen sie handeln und leben, wodurch sie überhaupt erst zu Naturen werden, und, was sie sind, in ihm sind, und doch als Gattungen für sich bleiben, während sie sogleich sich verlieren und aufhören würden, überhaupt etwas zu sein, wenn ihnen jene Bewegung der Weisheit Gottes entzogen würde, mit der er alles auf’s beste durchwaltet. Darum fassen wir das Ruhen Gottes von allen seinen Werken, die er geschaffen hat, so auf, dass er von nun an keine neue Natur begründet und zugleich nicht ablässt, das, was er begründet hat, aufrechtzuerhalten und zu leiten. In diesem Sinne ist es also wahr, dass >Gott am siebten Tage ruhte< (Gen 2,2), und es ist ebenso wahr, dass >er wirkt bis jetzt< (Joh 5,17).« (Gn. litt. 4,23; Übersetzung w. o., 128).

Augustins Vorstellung vom fortdauernden schöpferisch-erhaltenden Wirken Gottes in seiner Schöpfung (die in der Frühschrift De vera religione auch als administratio bezeichnet wird, ver. rel. 43) hat, wie so viele seiner Denkfiguren, die Nachwelt im lateinischen Westen in hohem Maße geprägt; was er in De Genesi ad litteram über die Erhaltung der Welt durch Gott schreibt, finden wir rund 200 Jahre später so bei Gregor dem Großen wieder (Gr., moral. 16,37).

2 Thomas von Aquin



Machen wir einen großen Schritt vorwärts und gehen ein paar Jahrhunderte weiter, und zwar zu Thomas von Aquin! In der Summe der Theologie (um 1270) traktiert Thomas zunächst die Gottes- und innerhalb dieser dann die Schöpfungslehre und wendet sich dabei auch der Frage nach der Regierung der Welt zu. In diesem Zusammenhang betrachtet er auch die Wirkungen jener göttlichen Regierung (s.th, qu. 104). Auch für Thomas ist, ganz ähnlich wie bei Augustin, auf den Thomas sich ausdrücklich beruft (und zwar explizit auch auf die oben zitierte Stelle Aug., Gn. litt. 4,12,22 f.), die Erhaltung der Welt ein schöpferischer Akt Gottes, der gegenüber dem uranfänglichen Schöpfungsakt, also der creatio ex nihilo, keineswegs einen neuen Akt darstellt, sondern den ursprünglichen dem Grunde nach fortsetzt. Aus dem Begriff Gottes als erster Ursache ergibt sich das Profil des Schöpfungsverständnisses: Das geschaffene Sein ist Sein von einem anderen Sein her und empfängt dieses Sein kontinuierlich von jenem, so dass man von einer fortlaufenden Schöpfung sprechen muss. Thomas sagt: Allein Gott ist durch sein Wesen das Sein, er ist ens a se. Gottes Geschöpf hingegen ist Sein von einem anderen her (es ist ens ab alio), d. h. das Geschöpf bedarf jenes wesenshaft und absolut Seienden, also Gottes, als des hinreichenden Grundes für sein eigenes Werden und für sein eigenes Sein. Thomas, und das ist geistesgeschichtlich von einiger Bedeutung, stellt diesem seinem Konzept sogleich einen hypothetischen Einwand entgegen: Könnte es aber nicht gerade angesichts von Gottes Allmacht so sein, dass Gott sein Geschöpf dazu ausstattet, dass dieses sich selbst im Sein erhalten kann, auch dann, wenn Gottes eigenes schöpferisches Tun endet? Wäre es nicht gerade der beste denkbare Beweis für die Vollkommenheit des Schöpfungswerkes Gottes, wenn die von ihm einmal geschaffenen Geschöpfe fortan von sich aus weiter existieren könnten, so als ob es Gott gar nicht gäbe? (Thomas, s.th q. 104 a. 1 ad 2). Thomas formuliert das so:

»Gott ist mächtiger als alles, was erschaffen sich betätigt. Es findet sich aber Erschaffenes in Betätigung, das seiner Auswirkung mitgibt, sich im Sein zu erhalten, auch wenn die Betätigung aufhört: wie das Haus bleibt, wenn die Tätigkeit des Erbauers aufhört; und wenn die Tätigkeit des Feuers aufhört, das Wasser einige Zeit erwärmt bleibt. Um vieles mehr also kann Gott es seinem Geschöpf übertragen, dass es im Sein erhalten bleibt, wenn er seine Tätigkeit einstellt.« (Übersetzung nach J. Bernhart, Thomas von Aquino, Summe der Theologie 1, Stuttgart 31985, 358).

Soweit der hypothetische Einwand. Thomas widerlegt diesen aber sogleich und antwortet:

»Gott kann nicht Gemeinsache mit irgendeinem Geschöpf machen, dass es beim Aufhören seines (sc. Gottes) Wirkens im Sein erhalten wird; gerade wie er ihm auch nicht zu vergemeinen vermag, dass er nicht die Ursache dessen Seins ist. Insoweit hat nämlich das Geschöpf nötig, von Gott erhalten zu werden, insoweit das Sein der Wirkung von der Ursache des Seins abhängt. Daher trifft das Gleichnis von einem Tuenden nicht zu, das nicht Seins-, sondern nur Werdensursache ist.« (Übersetzung w. o., 360)

Die Erhaltung der Geschöpfe und des geschaffenen Kosmos ist also auch bei Thomas ganz dem kontinuierlichen Schöpfungshandeln Gottes zugewiesen; freilich muss man unter geistesgeschichtlich langfristigen Gesichtspunkten darauf hinweisen, dass das von Thomas seinerzeit nur hypothetisch und zum Zwecke seiner sofortigen Widerlegung vorgetragene Argument, es könne geradezu als Ausweis der Allmacht Gottes und als Ausweis der Vollkommenheit der Schöpfung angesehen werden, wenn Gott Kreaturen schaffe, die sich selbst zu erhalten in der Lage wären, ohne dass Gott permanent in den Gang der Schöpfung eingreifen müsse, um deren Bestand zu sichern, in der Neuzeit durchaus namhafte Verfechter finden und nachdrückliche Zustimmung erfahren sollte, etwa bei Vertretern des so genannten Deismus.

3 Martin Luther



Den Dreierreigen prominenter Positionslichter aus der Theologiegeschichte beschließt Martin Luther: Die berühmte Auslegung des Schöpfungsartikels im Kleinen Katechismus bietet gegenüber der Tradition eine eindrucksvolle Konkretisierung der Gegenwart des Schöpfungshandelns Gottes:

»Ich gläube, dass mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Gelieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuch, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker, Viehe und alle Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und für allem Übel behütet und bewahret […].« (BSLK, 510 f.)

Gott hat sein Geschöpf nicht sich selbst überlassen, sondern versorgt, behütet, bewahrt und erhält es. Selbst da, wo der Mensch vermeintlich auf sich gestellt ist, ist Gottes Schöpfermacht ganz und gar in ihm gegenwärtig und tätig. Gottes Kreaturen erfahren sich als von seiner Macht getragen und durch seine Providenz in ihrem Dasein erhalten.

Interessant ist Luthers Sicht der Dinge in seiner 1535 begonnenen, zwischenzeitlich immer wieder unterbrochenen und erst 1545 abgeschlossenen Genesisvorlesung (WA 42–44; 59,389–401). Wie schon Augustin in De Genesi ad litteram befasst Luther sich hier mit dem Problem des Verhältnisses von Gen 2,2 und Joh 5,17 (WA 42, 56,33–58,2). Wie kann es sein, dass Gott am siebten Tage von allen seinen Werken ruhte, es aber doch zugleich heißt, er wirke bis jetzt? Die Antwort ist zunächst ganz die Augustins: Am siebten Tage, so Luther, habe Gott von der Erschaffung der Welt geruht, nicht aber von ihrer Erhaltung. Die Schöpfungsworte dauern vielmehr fort, und mit ihnen erhalte und regiere Gott tagtäglich alle Kreatur. Dann freilich setzt Luther eine eigentümliche Pointe: Das Schöpfungswort Gottes (hierzu A. Beutel, in: Luther Handbuch, hg. A. Beutel, Tübingen 22010, 365–367), das die Welt erschaffen hat und sie erhält, transzendiert alle Zeit; Gott schaffe ja auch heute täglich Neues. Gott hat die Welt »nicht auf ein Huy geschaffen«, sondern hat sich »Zeit und Weile dazu genommen« (WA 24, 25,26 f.). Luther erläutert das am Beispiel seiner selbst: Nach dem normalen Urteil der Welt sei er noch vor 60 Jahren ein Nichts gewesen. Gott aber habe ihn samt allem, was er schaffen wolle, schon zu Anbeginn der Welt erschaffen, auch wenn das erst vor kurzem ans Licht gelangt sei. Das Schöpfungswort Gottes gleiche einem ins Ziel fliegenden Pfeil, dessen Flug die gesamte Weltzeit von Anfang bis Ende durchmisst (WA 42, 57,34–58,2). Das stellt das schöpferische und erhaltende Sprechen Gottes in eine zeittranszendierende und im Grunde genommen eschatologische, auf die Vollendung der Welt abstellende Perspektive. Das Leben aller Kreaturen entsteht und erhält sich durch das stetige schöpferische Sprechen Gottes. Durch Gottes Wort kommen wir ins Sein, durch Gottes Wort leben wir als seine Werkzeuge, durch die er wirkt, und durch Gottes Wort werden wir dereinst vollendet werden. Dabei ist es für Luther durchaus entscheidend, dass die Schöpfung durch Gottes Wort geschieht. Alle Schöpfungswerke sind dicta Dei; weshalb auch die Schöpfung, das »Buch der Natur«, die Offenbarung Gottes für den Glauben anschaulich macht:

»In der Schöpfung kann ich, wenn ich glaube, lesen wie in der Schrift […] Es ist das Sprechen Gottes, das Feuer, Hagel und Sturm hervorbringt, das die Erde grünen und das Korn sprießen lasse, das den Winter verwandeln und wegtun kann und den Sommer wiederbringe, so dass man den Winter vergessen kann.« (WA 31/1, 445,19–21; 447,30 f.; nach Beutel w. o. 366 f.)

4 Ausblick



Die drei Beispiele mögen genügen. Die Linie der Schöpfungstheo-logie 1.0 ist klar zu erkennen. Zeitlich über Luther hinaus- und in die Neuzeit hineingehend könnte man auf Beispiele aus der altprotestantischen Orthodoxie verweisen, aber auch auf René Descartes (der zu dieser Frage übrigens wie alle Vorgenannten in den Spuren Augustins wandelt): Das Licht der Vernunft, so Descartes, mache es offenbar, dass jedes Ding darauf angewiesen sei, vom Schöpfer fortgesetzt erhalten zu werden – sei doch kein Seiendes in der Lage, sich selbst im Sein zu halten (Desc., med. 3,31). Auch Schleiermacher wäre zu nennen, der das schöpferische Handeln Gottes mit dem gesamten Naturzusammenhang identifiziert, in dem ständig neue Anfänge und Wirkungen statthaben, so dass der Schöpfungsakt nicht als abgeschlossen angesehen werden darf – und die Erhaltung der Welt durch Gott gewissermaßen als das eigentliche Schöpfungshandeln angesehen wird (Der christliche Glaube, §§ 36–38). Aber auch ohne das Ergänzen weiterer Namen und Belegstellen wird deutlich: Die Schöpfungstheologie 1.0 zeigt einen weitgehenden Konsens in der dogmatischen Tradition, der in eigentümlich bruchloser Weise die Antike, das Mittelalter, die Reformationsgeschichte und die auf sie folgenden Traditionen umspannt und der übrigens auch in den verschiedenen Konfessionen der Christenheit gleich welcher Epochen von kaum einer Seite je ernsthaft in Frage gestellt worden ist. Dieser Konsens lautet, dass die Welt nicht aus sich heraus fortbestehen und nicht durch uns Geschöpfe vor dem Übergang ins Nichts bewahrt werden kann, sondern dass die Welt und die Geschöpfe in ihr der Erhaltung durch den bedürfen, der alles geschaffen hat – und dass der christliche Glaube in der Bewahrung der Schöpfung vor dem Nichts dasselbe Schöpfungshandeln Gottes am Werk sieht, dem sich alles geschaffene Sein uranfänglich verdankt. Wie sich dieser Glaube an die Erhaltung der Welt durch Gott den Schöpfer mit unserem ökologischen, gesellschaftlichen, politischen Bemühen und mit unseren drängenden ethischen Aufgaben um die Bewahrung der Schöpfung zusammendenken lässt, und ob und inwiefern umgekehrt die gegenwärtigen ökologischen und politischen Großkrisen einen massiven Reformulierungsbedarf gegenüber der traditionellen Schöpfungstheologie anmahnen, das wären die zu diskutierenden Fragen: Bedarf es einer Schöpfungstheologie 2.0?

II Schöpfungstheologie 2.0? – Irritationen des Schöpfungsglaubens angesichts der Klimakrise



Die Klimakrise scheint klassische Pointen der Schöpfungstheologie – wie sie mein Kollege Jörg Ulrich in unserem gemeinsamen Beitrag unter dem Prädikat 1.0 beschrieben hat – ins Wanken zu bringen. Galt einst, dass die geschöpfliche Welt von Gott stammt und von ihm abhängig ist, so wird im Anthropozän die Menschheit zum zentralen geologischen, biologischen und atmosphärischen Einflussfaktor, von dem die Erde in ihrem Gesamtbestand und -gefüge abhängig wird. Nicht Gott ist dann ihr Herr, sondern der Mensch. Hieß es ehedem, dass die Welt als Schöpfung von Gott erhalten wird und ansonsten ins Nichts zurückfällt, so gilt jetzt, dass der Mensch zur Bewahrung der Schöpfung, wenn nicht gar zu ihrer Rettung aufgerufen ist. Das ist eine tendenziell übermenschliche Aufgabe. Man könnte geneigt sein, ihre Größe mit derjenigen Hybris in Verbindung zu bringen, von der es ansonsten heißt, dass sie den Menschen zu Fall bringt. Die Hybris, wie Gott sein zu wollen, hatte ihren Ort in der Sündentheologie, nun scheint sie geradezu zur Agenda des Menschen bei der Rettung der Welt zu gehören. Zugleich lässt die Beschreibung der Welt wie sie ist selbst Erinnerungen an sündhafte Hybris aufkommen: exponentiell gesteigerte menschliche Lebensgier, die mit der Kultivierung des Feuers beginnt und mit der Produktion von massenhaften PS-starken Verbrennern nicht endet, sorgt für immer mehr CO2-Ausstoß und macht die Erde tendenziell unbewohnbar, nachdem sie bereits durch den nuklearen Overkill zerstörbar geworden war. Diese Beschreibung von Welt und Mensch reibt sich damit, dass mit ihrem Schöpfungscharakter eine elementare Ordnung, insbesondere im Bereich natürlicher Lebensprozesse von Fortpflanzung und Vermehrung, von Arbeit und Wirtschaft, gegeben sei. Und die positive Bewertung der Schöpfung durch Gott wird untergraben, wenn der Ist-Zustand nur noch als düster wahrgenommen wird und die Reaktion provoziert »I want you to panic« (Greta Thunberg). Das geschieht natürlich im Interesse von Umdenken und Gegensteuern, mithin Motiven die im religiösen Idiom an Buße, Erlösung und Neuwerden erinnern, hier aber zur Bewahrung der Schöpfung anhalten wollen. Die mit dem alten Schöpfungsglauben verbundene Verheißung, dass unser Leben trotz aller Gefährdungen gehalten sei und bewahrt werde, weicht dem Gegenteil, einem Imperativ zur Erhaltung durch uns. Und bereits unser Leben als solches ist nicht einfach gut. Einen besseren, ja den bestmöglichen ökologischen Fußabdruck würde der hinterlassen, der gar nicht erst in dieser Welt lebte. Die mit dem Schöpfungsglauben verbundene Vergewisserung des Daseins wird verschattet von dem existentiell schwierigen Gedanken, dass unser Nicht-Sein vielleicht besser sei als unser Sein. Damit wäre die Schöpfung rückgängig gemacht. Das steht quer zu der quasi schöpfungstheologischen Beschreibung des Kreators, der »das, was nicht ist, ruft dass es sei« (Röm 4,17), wie auch zu dem Urteil Gottes über die Schöpfung »und siehe es war sehr gut« (Gen 1,31). Eine andere Vorstellung von der Verneinung des Menschen, wie wir ihn durch uns selbst kennen, ist die aufkommende transhumanistische Vision von einer Cyborg-Existenz. Ganz ohne Energie funktioniert auch sie freilich nicht, und ob sie attraktiver ist als Nicht-Sein, mag dahingestellt bleiben.

Schon diese Streiflichter zeigen, dass Grundmotive der Schöpfungstheologie erhebliche Irritationen erfahren, wenn sie primär im Zeichen der ethischen Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung durch den Menschen angesichts der Umwelt- und Klimakrise verstanden wird. Diese Krise auszublenden, ist allerdings keine Option zum Umgang mit solchen Irritationen. Nach allem was wir wissen ist der von Menschen verursachte Klimawandel eine Realität mit gravierenden Konsequenzen. Diese Realität ist neu gegenüber den Kontexten der schöpfungstheologischen Tradition. Wir müssen uns ihr stellen und unser gesellschaftliches Handeln darauf richten, die Erderwärmung zu begrenzen. Angesichts der massiven Folgen für viele Menschen in etlichen Regionen der Erde bereits jetzt und mehr noch für zukünftige Generationen – bei denen die Zahl der Menschen auf unserem Planten noch zunehmen wird – ist Klimaschutz eine enorme ethische Herausforderung.

Die eigenen Lebensmöglichkeiten mit denen anderer abzugleichen, gehört zu den Folgen des Wechselseitigkeitsprinzips der Goldenen Regel. Sie steht in der Bergpredigt – »alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch« (Mt 7,12) –, hat aber viele erfahrungsnahe Parallelen und findet sich in den meis-ten ethischen Normkatalogen, mit welchen religiösen oder weltanschaulichen Hintergründen auch immer. Sie ist gewissermaßen die ethische Elementarration mit einer Tendenz zur Universalisierung. Hierauf bauen die spezifisch christlichen Impulse der Nächstenliebe als Korrelat der Gottesliebe auf. Ähnliches gilt für Solidarität als mit der Liebe verwandtes Motiv im säkularen Idiom. Den Anderen, mithin tendenziell Allen ein prinzipiell gleiches Anrecht auf eine bewohnbare Erde zuzuerkennen wie man es für sich beansprucht, ist mithin ethisch angezeigt. Das gilt angesichts der langfristigen Folgen des klima- und umweltrelevanten Handels heute auch im Blick auf künftige Generationen – so ungewohnt eine generationenübergreifende Perspektive nach vorn für unser auf jetzige Handlungen bezogenes Denken auch sein mag. Diese Perspektive gehört heute zu einem ethisch verantwortlichen Leben hinzu. Die Ausflucht, man selbst werde die gravierendsten Folgen des Klimawandels nicht mehr erleben und sei daher unzuständig, ist ethisch einfach zynisch. Allerdings darf die Perspektive auf die Zukunft nicht von Geschichtsszenarien besetzt werden, die faktisch einen Dispens für die Gegenwart bedeuten. Dazu zählt etwa die Erzählung eines automatischen rastlosen Fortschritts zum Besseren, aber auch die einer unabwendbaren apokalyptischen Katastrophe. Denn beide lähmen die heutige ethische Verantwortung. Zeitpunkt des Ethischen ist das Heute.

Von einem Verständnis ethischer Verantwortung, wie es angesichts der Klimakrise angezeigt ist, lässt sich die Thematik der Schöpfungstheologie erneut in den Blick nehmen. Denn die Symbolik der Schöpfungstheologie artikuliert Voraussetzungen, Hintergründe und Kontexte eines solchen Ethos ökologischer Verantwortung. Daher sei nun noch einmal der Blick auf Pointen der Schöpfungstheologie geworfen.

1 Grundmotive klassischer Schöpfungstheologie



Zu den wesentlichen Gehalten der Schöpfungstheologie zählen existentielle Einsichten in die Konstitution unseres Lebens, die mit entsprechenden Verhaltensweisen korrespondieren. So verdankt sich unser Leben nicht uns selbst, es ist eingestellt in einen größeren Kontext des Lebendigen und seiner naturalen Bedingungen, es unterliegt basalen Rhythmen und Ordnungen, es steht in einem geschichtlichen Zusammenhang mit dem der Vor- und Nachgeborenen, es ist endlich und fragil, aber auch gehalten und bejaht. In seiner Freiheit und Kreativität ist es gar ein Ebenbild des göttlichen Kreators, trotz und gerade in seiner Verwobenheit mit den Lebensprozessen Anderer, die mit der eigenen Endlichkeit einhergeht. Das alles sind Ankerpunkte eines Ethos der Verantwortung. Solche Merkmale unserer Konstitution mögen elementar sein oder vielleicht auch banal, aber sie bergen auch die Möglichkeit der Verfehlung, wenn die daraus erwachsenen Konsequenzen für das Verhalten nicht wahrgenommen werden. Dazu gehört insbesondere, dass die eigene Endlichkeit mit all ihren Facetten nicht angenommen wird, sondern zu einer übermenschlichen, tendenziell absolutistischen Position hin überstiegen werden soll, die nur sich selbst im Blick hat und nicht auch das Eingebundensein in größere Zusammenhänge. Schöpfungs- und Sündentheologie gehören zusammen.

Die existentielle Zuspitzung der Schöpfungstheologie auf die Basics der Konstitution unseres Lebens ist sicher nicht ihre einzige Aussageintention. Natürlich standen hinter ihr auch die archaischen kosmologischen Motive, die Herkunft unserer Welt zu beschreiben. Dabei werden anthropologische Schemata wie Sprechen und Handeln beansprucht. Die Schöpfung durch Gott wird mithin in der Perspektive der Subjektivität, wie sie uns Menschen zu eigen ist, dargestellt. Erst wenn diese Perspektive zur Beschreibung von Naturprozessen wie in den neuzeitlichen Naturwissenschaften durch mathematische Modelle der Gravitation von Materie und Energie ersetzt wird, kommt es zu einer Entkoppelung von Kosmologie und Schöpfungsglauben. Noch in der mittelalterlichen Schöpfungstheologie war die subjektive Perspektive leitend, wenn zur Sicherstellung unseres Denkens in Kausalitätsfiguren Gott zur Ursache der Welt erklärt wurde (Klassisch: Thomas von Aquin, STh q 2; q 44ff.). Auch das biblische Motiv, mit der Schöpfung gleichsam nachträglich die Bühne für das große Narrativ der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen zu errichten, zeigt die Logik einer solchen Perspektive. Insofern ist es nicht einfach willkürlich, wenn in der reformatorischen Theologie die Schöpfungstheologie auf die existentiellen Dimensionen des subjektiven Lebens ausgerichtet wird.

»Ich gläube, daß mich Gott geschaffen hat sampt allen Kreaturn, mir Leib und Seel, Augen, Ohren und alle Gelieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält, dazu Kleider und Schuch, Essen und Trinken, Haus und Hofe, Weib und Kind, Acker, Viehe und alle Güter, mit aller Notdurft und Nahrung dies Leibs und Lebens reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und für allem Übel behütet und bewahret«, heißt es bei Luther im Kleinen Katechismus (BSLK, 510 f.).

Das Motiv dazu ist väterliche göttliche Güte, und das Ziel ist menschlicher Dank und Lob Gottes als Grundhaltung einer entsprechenden Lebensführung. Dieses Motiv konnte zwar in der nachreformatorischen Lehrbildung dahingehend zugespitzt werden, dass es eine festcodierte Ordnung von Unten und Oben gibt und der Mensch nichts für sich sei, sondern sein Zweck allein im Lobe Gottes liegt (H. Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh 91979, 114 ff.). Darin liegt aber auch das Motiv, dass unser Leben nicht in sich abgeschlossen und geradezu selbstbezüglich-autark ist. Es bedarf mithin der Erhaltung und Bewahrung. Das war zunächst auf Gottes wunderbares Handeln bezogen, konnte aber später in die Ordnung der natürlichen Bedingungen und Vollzüge des Lebens eingestellt werden. Die exis-tentielle Ausrichtung des Schöpfungsgedankens gewann mit und nach der Aufklärung die Gestalt einer Umschmelzung von Weltschöpfung in die Erhaltung unseres Lebens, einhergehend mit der Fokussierung des Menschen als Ebenbild Gottes. Darin sind sich die Antipoden der modernen Theologie Friedrich Schleiermacher und Karl Barth im Grundsatz einig. Schleiermacher konnte freilich die Erhaltung stärker in romantisch gefärbten Begriffen des Lebens als Gesamtzusammenhang naturaler Prozesse beschreiben (Der christliche Glaube, §§ 36-49), während Barth bei seiner bundes- und vorsehungstheologischen Entfaltung des in Sozialkategorien gedeuteten Schöpfungsglaubens eher auf die destruktiven Gegenpotentiale des menschlichen Ebenbildes Gottes schaute, das sich selbst zum Führer der Welt zu erheben suchte (KD III, 1-4). Dies wurde vornehmlich in Gegen-Begriffen totalitärer Politik expliziert. Dass die destruktiven Potentiale den Menschen zum Gefährder oder Zerstörer der Welt werden ließen, wurde insbesondere mit der ökologischen Wendung der Schöpfungstheologie im ausgehenden 20. Jahrhundert thematisch (z. B. J. Moltmann, Gott in der Schöpfung: Ökologische Schöpfungslehre, München 1987). Gewiss war dies als Warnung und Mahnung verstanden. Allerdings lässt sich auch mancher Umschlag in Apokalyptik nicht von der Hand weisen.

Neben der im Ebenbildlichkeitsmotiv symbolisierten Freiheit als Voraussetzung ethischer Verantwortung gehören die schöpfungstheologischen Motive, die das Verdankt- und Eingebundensein des Lebens in soziale und natürliche Zusammenhänge fokussieren, zu ihren ökoethisch maßgeblichen Elementen. So ist Verantwortung – also Antwort Geben und Sich-gefragt-Sein-Lassen – eine stets auf Andere bezogene soziale Kategorie, und so geht das Verwiesensein auf die Anderen bereits mit der Verdanktheit des eigenen biologischen Lebens auf. Der Bezug zur leiblichen Dimension von Geborenwerden und Wachsen, Altern und Sterben korrespondiert mit dem geisthaften Fragen nach dem Zuvor und dem Danach, nach Woher und Wohin, die im Zusammenhang von Erziehung und Bildung auftreten. Geschöpflichkeitsbewusstsein impliziert eine Ahnung vom Eingebundensein in naturale Prozesse und soziale Geschehnisse im Gefolge von Generationen. Sie wollen nicht nur hingenommen, sondern auch verantwortlich gestaltet werden. Damit ist von der Natur her die Perspektive auf Kultur und Geschichte mit ihrem offen Verlauf im Blick. Schöpfungsglaube ist gewissermaßen die Einübung in die Endlichkeit des in ökologischen und sozialen Kontexten gelebten menschlichen Lebens. Die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf wird zum Urbild eines Lebens, für das die Differenz zum Anderen produktiv wird. Subjektivität weiß sich als Teil der Natur und zeigt sich für Intersubjektivität offen. Solch ein Verständnis von Endlichkeit als Geschöpflichkeit ist insofern kein Bewusstsein eines Mangels, sondern es eröffnet den Blick über den Tellerrand des eigenen Daseins auf ein Ganzes des Lebens hin.

Eine solche Selbstrelativierung geht auch mit der Wahrnehmung von Zufälligkeit und Veränderlichkeit, kurz: Kontingenz einher. Das eigene, begrenzte und endliche Leben könnte auch anders sein, es ist immer auch fragil und verletzlich. Auch das verbindet es mit Anderem. Schöpfungsglaube ist daher vielfach als Umgang mit den Fährnissen und Kontingenzen des Lebens verstanden worden. Das gilt in mehrfachem Sinn. So ist ohne Kontingenz, also die Möglichkeit des Andersseins, keine geschichtliche Veränderung denkbar, individuell wie sozial. Gegen die Kontingenzen, die als Widerfahrnisse und Gefährdungen unseres Lebens bis hin zum Leid einherkommen, entbindet der Glaube an den Schöpfer im Optimalfall ein Vertrauen auf Erhaltung und Vorsehung. Er eröffnet Sinnperspektiven, die einerseits Gegenkräfte mobilisieren, andererseits aber auch in Einverständnis münden können. Das Bewusstsein der Geschöpflichkeit sensibilisiert für die Ambivalenzen des Lebens: die des individuellen zwischen Geburt und Tod ebenso wie die seiner übergreifenden Ordnung, nach der Leben sich immer auch auf Kosten von anderem Leben und seinen Ressourcen erhält. Dennoch gibt es eine letztlich kontingente – wenn man so will – aus dem Nichts geschaffene Wertschätzung der Schöpfung, die in den Augen der Subjektivität des Schöpfers als gut gilt. Hieran soll auch sein menschliches Ebenbild teilhaben. Dass es auch anders gehen kann, zeigt sich spätestens in nihilistischen Perspektiven auf das Leben und die Welt, sei es im Sinne eines Verständnisses von Gesellschaft im Zeichen von einem bloßen Willen zur Macht, sei es im Sinne einer Sicht von Geschichte als Mischmasch von Irrtum und Gewalt. Gut, wenn dann die Kritik sich regt, dass solches nicht sein soll. Insofern bildet das Sündenthema, das übrigens nach dem biblischen Schöpfungsnarrativ auch eine von Gott bestätigte Ähnlichkeit Ihm gegenüber enthält, die Rückseite des Schöpfungsglaubens. Es ist eben richtig, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden; es ist gut, um Gut und Böse zu wissen. In der Form des Gewissens bezieht sich solches Wissen immer auch auf sich selbst, der Finger auf die anderen reicht nicht aus.

2 Schöpfungstheologie 2.0: Ethische Perspektiven



Die Welt als Schöpfung zu verstehen impliziert, dass sie es wert ist, erhalten und bewahrt zu werden. Klima- und Umweltschutz ist heute ein ethisches Thema ersten Ranges, das mit dem Schöpfungsgedanken korrespondiert. Es ist eine Aufgabe des Menschen, im Anthropozän die Erderwärmung soweit zu begrenzen, dass die düsteren Folgen der Unbewohnbarkeit für Viele, der Verödung der biologischen Vielfalt und der massiven Zunahme von Naturkatas-trophen möglichst minimiert werden. Dazu ist ein Bündel von Maßnahmen vonnöten, die je für sich von hoher Komplexität sind.

Hierzu zählen technische Entwicklungen, die es ermöglichen, die Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft durch Dekarbonisierung nachhaltig zu machen. In der dabei herausgeforderderten technischen Intelligenz steckt Kreativität. Sie hat einerseits durchaus an der des Kreators teil, sollte sich andererseits aber gerade nicht als neuer und alleiniger Gott auf Erden gebärden. Denn das gefährdet die Akzeptanz der Maßnahmen, die politisch auf unterschiedlichsten regionalen, nationalen und internationalen Ebenen koordiniert werden müssen. Ohne Partizipation der Menschen werden sie Widerstand hervorrufen, wie wir ihn im Blick auf den Umbau von Bergbauregionen, bei der Planung von Stromtrassen oder beim Ausbau von Windenergie erleben. Klimaschutz führt sich als Projekt der Eliten und Besserverdienenden allein ad absurdum, Elektromobilität darf nicht nur ein Luxusgut sein und den Rest zur Immobilität verdammen – und es muss auch sichergestellt sein, dass der Strom stattdessen nicht einfach dauerhaft aus Kohle- oder Atomkraftwerken der Nachbarländer kommt. In diesem Sinn ist ein Bewusstsein von der Komplexität der Aufgaben des Klimaschutzes ethisch geboten. Es korrespondiert mit der schöpfungstheologischen Pointe, dass alles miteinander verwoben ist.

Hinzu kommt ein Realismus, der Probleme benennt und nicht verschweigt, etwa im Blick auf soziale und ökonomische Teilhabe beim Umbau unserer Industriegesellschaften, auf den zielgerichteten Einsatz von Ressourcen in effektive Maßnahmen oder auf das Verhältnis von Mitteln und Zielen im internationalen Vergleich. Ehrlichkeit ist geboten, sonst entgleitet die Glaubwürdigkeit. Und Klimapolitik mutiert in pures Machtstreben, wenn sie diktatorisch wird. Ein solcher Realismus – in ökonomischen, politischen und technischen Hinsichten – verträgt sich nicht mit Simplifizierungen. Das gilt auch für die Einteilung von Wir und Ihr im Schema von Gut und Böse. Beides mag für politische Kampangenfähigkeit gut sein, öffnet aber auch die Tore für schlechte Polarisierung. Ohne das Eingeständnis von Ambivalenz greift ein Ethos des Klimaschutzes zu kurz. Bewahrung der Schöpfung bedeutet auch, mit Ambivalenzen leben zu lernen, mithin sie nicht zu verdrängen, sondern produktiv zu managen. Das wir nicht alles auf einmal können, dass wir uns auch die Finger schmutzig machen, verweist auf das Sündenthema als Kehrseite des Schöpfungsglaubens. Mit Ambivalenzen leben lernen ist gerechtfertigt. Das schließt ein, verschiedene Interessen aufeinander abzustimmen, Kompromisse zu finden, gute Lösungen durch bessere zu ersetzen und eigene Positionen zu hinterfragen – ohne darum das Handlungsziel Klimaschutz aus den Augen zu verlieren. Zum Ambivalenzmanagement gehört der Umgang mit dem Paradox hinzu, dass ohne Zuspitzung öffentliche Aufmerksamkeit schwer zu erreichen ist, obwohl gerade Einsicht in komplexe und übergreifende Zusammenhänge vermittelt werden und das Handeln bestimmen soll. Auch dieses Paradox will eingeordnet und angemessen bewertet werden.

Eine Schöpfungstheologie 2.0 schließt bei der Frage »Wer erhält die Welt« durchaus an elementare Pointen des alten Schöpfungsglaubens an, auch wenn sie bei der Beantwortung dieser Frage zunächst auf die Ethik schaut. Ethik orientiert das menschliche Handeln, ohne Komplexität, Realismus und Ambivalenz auszublenden. Damit steht die Ethik nicht nur im Gefälle der Gottebenbildlichkeit des Menschen bei gleichzeitiger Differenz von Schöpfer und Geschöpf, sondern auch der mit Jesus Christus und dem Hl. Geist verbundenen Vermittlung des Göttlichen und Menschlichen in ihrem wechselseitigen Austausch. Dennoch ist die Schöpfungstheologie 2.0 keine Ermächtigung zur ethischen Übernahme der Position Gottes. Denn sie zielt auf das Handeln im Endlichen, das stets nachjustiert werden muss. Im Blick auf die Klimakrise muss es sich dabei kontrafaktisch von alten Mustern und Gewissheiten lösen und neue Möglichkeiten erkunden. Das Leben wird eben nicht einfach besser, wenn mehr Kohlenstoff verbrannt wird. Weniger kann mehr sein. Bloßes Nicht-Sein ist freilich auch keine Perspektive für uns, obwohl es das klimafreundliche Optimum wäre. Dass wir trotzdem da sind und das sogar gut sein soll, bedeutet, dass wir bereits als Geschöpfe der Rechtfertigung bedürfen – und sie auch im Schöpfungsglauben gewinnen, der zugleich zur Verantwortung befähigt. Bei aller Klarheit des klimapolitischen Imperativs, die Verhältnisse zu ändern und nicht einfach weiterzumachen, nimmt eine Schöpfungstheologie 2.0 auch auf, dass wir in der Fragilität des Lebens miteinander verbunden und zur Solidarität aufgerufen sind. Leben und Liebe gehören zusammen. Das bezieht sich nicht nur auf das Leben von Unseresgleichen, sondern das Leben überhaupt in seinen verschiedenen organischen Formen und natürlichen Voraussetzungen. Es geht um Achtung der Lebensprozesse im Ganzen, dessen Teil auch wir sind und immer bleiben – sosehr wir, wenn wir sie achten und im Handeln Verantwortung übernehmen, ihnen immer auch gegenüberstehen und auf sie schauen. Gerade in unserer Verantwortung haben wir eine Sonderstellung im Bereich des Lebendigen, Klimaschutz ist im Anthropozän eben eine Aufgabe des Menschen. Dass die Verbundenheit mit allen und allem nicht nur die Jetztzeit betrifft, sondern sich auch auf zukünftige Generationen und deren Leben erstreckt, verbindet die Unermesslichkeit dieses Ganzen des Lebens mit einer zeitübergreifenden Perspektive. Sie verschränkt nicht nur die Lebenden mit der Erbschaft der Toten, sondern bezieht auch die Kommenden mit ein. Dieser Gemeinschaftsgedanke übersteigt das Empirisch-Fassbare. Er beschreibt als Grenzbegriff aber den Horizont für die Verortung des eigenen Lebens und verantwortlichen Handelns. Einen solchen Grenzbegriff des Ganzen zu fassen geht aktuell mit existentieller Hoffnung auf Gelingen von solch übergreifender Gemeinschaft einher. Insofern sieht die Schöpfungstheologie 2.0 nicht anders als ihre Vorgängerin mit Namen 1.0, dass der Schöpfungsglaube Fluchtlinien zur Hoffnung auf das Reich Gottes entwirft. Mit seinem neuen ethischen Thema, dem Bewahren, bewahrt der Schöpfungsglaube auch seine Herkunft: Die Schöpfungstheologie 2.0 ist letztlich keine andere als die mit der Bezeichnung 1.0. Sie schreibt diese in ihrer Neuinterpretation nur fort.

Abstract



The current climate crisis raises the question of who is responsible for preserving the world. This article shows that in the traditional Christian doctrine of creation (Schöpfungstheologie 1.0) there is a general consensus that it is God who is to be addressed as both creator and sustainer and ultimately perfecter of the world. This is shown by means of some prominent examples (Augustine, Thomas Aquinas, Martin Luther). However, in the current theological debate, this consensus has experienced considerable disruption. Ethical and ecological responsibility are imperative, and it is considered the task of humans to limit the warming of the earth in order to minimize the dire consequences of desertification and uninhabitability.

A modern theology of creation (Schöpfungstheologie 2.0) follows elementary positions of traditional belief in creation, though it first turns to ethics in addressing them. With the clarity of the climate policy imperative that one cannot simply carry on as we have done, it also takes up the notions that we humans as creatures are in need of justification and that belief in creation always also creates perspectives of hope in the kingdom of God.

Fussnoten:

1) Interdisziplinärer Doppelvortrag im Rahmen der Theologischen Tage der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (19.–20.01.2022) zum Thema »Bewahrung der Schöpfung: Wer rettet die Welt?« Der erste Teil über die Schöpfungstheologie 1.0 ist von Jörg Ulrich, der zweite über Schöpfungstheologie 2.0 von Jörg Dierken verfasst. – Das Thema der Theologischen Tage und des Doppelvortrags hat mit dem wenig später begonnenen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine düstere Zuspitzung erfahren. Die durch nichts gerechtfertigte imperiale Aggression überlagert in der Wahrnehmung die Klimakrise und erschwert das erforderliche, international abgestimmte Handeln zum Umgang mit ihr. Die im Zusammenhang des Krieges manifest gewordene Abhängigkeit von fossiler Energie aus Russland erhöht die Dringlichkeit der Dekarbonisierung auf bedrückende Weise. Die Verringerung dieser Abhängigkeit und die Dekarbonisierung sind schon im Interesse eigener staatlicher und internationaler Sicherheit unumgänglich. In theologischer und ethischer Perspektive sind die Probleme der Ökologie und der Sicherheitspolitik nicht voneinander zu trennen. Hinzu kommt das wirtschaftsethische Dilemma, dass die zur Dekarbonisierung erforderlichen ökonomischen Ressourcen durch einen abrupten Entzug von der Abhängigkeit von russischer fossiler Energie geschwächt werden. Gleiches gilt im Blick auf die enormen humanitären Aufgaben angesichts der Kriegsfolgen. Wenn in einer gleichsam antifatalistischen Logik zu hoffen ist, dass die aufs Engste verwobenen ökologischen, sicherheitspolitischen und ökonomischen Herausforderungen mit ihrer krisenhaften Zuspitzung auch zu Chancen für einen Aufbruch zu neuem, realistischem Denken und Handeln werden können, dann gilt es, solche Hoffnung mit einem Bewusstsein der Fehlbarkeit und Fragilität des Lebens zu verbinden. Ethik und Hamartologie gehören im Blick auf die theologische Reflexion des eigenen Handelns zusammen. Zugleich gilt es, den Aggressor und das Opfer klar zu benennen und zu unterscheiden. Das schließt die Kritik der religiösen Legitimationsbehauptungen der imperialen russischen Aggression ein. Von dem ethischen Themenbündel Sicherheit und Frieden, Ökonomie und Ökologie zeigen sich Linien zu neuen theologischen Aufgaben im Kontext der Ökumene.