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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

868–870

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Jäger, Johannes M.

Titel/Untertitel:

Innozenz IV. – Juristenpapst, Machtpolitiker
und Vordenker der völkerrechtlichen Souveränitätslehre
.

Verlag:

Berlin: Frank & Timme Verlag 2021. 114 S. = Aus Religion und Recht, 23. Kart. EUR 28,00. ISBN 9783732907748.

Rezensent:

Volker Leppin

Bei dem anzuzeigenden Buch von Johannes M. Järger handelt es
sich um eine Studie, die ihr Vf. laut Vorwort zur Erlangung des
Grades eines Doktor utriusque iuris vorgelegt hat. Das ist für mit
diesem Prüfungsverfahren nicht vertraute Menschen zunächst
eine verwirrende Mitteilung, denn für eine Dissertation wäre das
Werk frappierend schlank: Ohne Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis, großzügig gestaltetes Quellen- und Literaturverzeichnis
sowie Register umfasst die Studie 70 nicht großzügig bedruckte
Seiten. Erst die Recherche nach der Promotionsordnung der Juristischen
Fakultät Würzburg, an welcher der Vf. promoviert wurde,
hat dem Rezensenten hierüber Klarheit verschafft (https://www.
jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/39030000/download/public/
promotionsordnungen/02_Juristische_Fakultaet-11-Juni-2012_01.
pdf; Zugriff 24.4.2022). Die Ordnung sieht für den Dr. utriusque
zusätzlich zu einer normalen Standards entsprechenden Dissertation
eine rechtsgeschichtliche Quellenexegese vor.
Eben um eine solche, genauer die »Quellenexegese zu Sinibaldus
Fliscus, Apparatus in V Libros Decretalium , Frankfurt 1570, Fol.
430r« (17), handelt es sich hier. Man täte der Arbeit also Unrecht,
würde man an sie Erwartungen einer eigenständigen Promotion
richten. Freilich sind auch in diesem Rahmen manche Fragen möglich
– beginnend mit dem eben zitierten eigenartigen Verweis auf
die Foliierung in einer der Druckausgaben, die allerdings vermutlich
nicht dem Vf. anzulasten ist, denn das Thema der Quellenexegese
wird nach o. g. Ordnung ausgelost und »durch den Dekan oder
die Dekanin« mitgeteilt. Es wird Gründe gegeben haben, bei diese
Bekanntgabe auf die übliche Identifikation der untersuchten Stelle
des Dekretalenkommentars Innozenz’ IV. durch die Nummerierung
der untersuchten Dekretale im Liber Extra zu verzichten.
Der kurze zu exegesierende Text ist gleichfalls auf S. 17 vollständig
lateinisch und deutsch wiedergegeben. Er lautet auf Deutsch:
»Herrschaftsrechte (dominia ), Eigentum (possessiones ) bzw. Besitztümer
und Gerichtsgewalt kann es erlaubtermaßen und ohne
Sünde bei den Ungläubigen geben, denn diese Dinge sind nicht
nur für die Gläubigen, sondern für alle vernunftbegabten Wesen
geschaffen« (17, Übersetzung laut Fußnote unter Übernahme eines
»Großteil[s] […] der Formulierung« bei Grewe, Fontes historiae gentium).
Dass dies ein sehr spannender Text ist, springt angesichts des
darin ausgedrückten Zugeständnisses eines eigenen Rechtsraum
für Nichtchristen unmittelbar ins Auge. Daher wird im Titel Innozenz
auch als »Vordenker der völkerrechtlichen Souveränitätslehre«
gewürdigt. Insofern trifft dieser Teil des Titels tatsächlich zu. Darüber
hinaus aber erweckt seine Formulierung Erwartungen auf
eine umfassende Würdigung des Papstes, wie sie S. 18–28 lediglich
summarisch erfolgt, die die kleine Detailstudie zu einer wichtigen,
aber doch eher knappen Äußerung schlicht nicht einhalten kann.
Nach einzelnen Begriffsanalysen zu dominium, possessio und
iurisdictio steuert J. in seiner Arbeit zielorientiert auf Innozenz’
Vorstellung von ius naturale und ius gentium zu. Hierzu bezieht
er auch über den zitierten Text hinausgehende Quellen aus dem römischen
und kanonischen Recht ein, die für diese Fragestellungen
die Möglichkeit einer rechtshistorischen Kontextualisierung bieten.
Er blickt auch auf »eine Gegenposition« (71), nämlich die des
Hostiensis. Mit kleinen Zwischenhalten etwa bei Hugo Grotius
(75.78), für dessen Innozenz-Verwendung J. wiederum auf die Quellensammlung
von Wilhelm Grewe verweist (75, Anm. 199), gelangt J.
dann zur gegenwärtigen römisch-katholischen Kirche, deren Haltung
zum Völkerrecht er nicht aus einschlägigen kanonistischen
Schriften rekonstruiert, sondern sehr knapp aufgrund der bekannten
Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils anführt. Ein
zweiter Fluchtpunkt ist das säkulare moderne Völkerrecht, dessen
Position J. im Wesentlichen aufgrund der Haager Friedenskonferenz
von 1907 (79, unter Verweis auf Handbuch- und Sekundärliteratur)
benennt. Auch ein Rezensent, der im Blick auf beide Felder – modernes
katholisches Kirchenrecht und Völkerrecht – Laie ist, könnte
sich vorstellen, dass eine ausführlichere und tiefgründigere Behandlung
dieses Feldes möglich gewesen wäre – allerdings hilft auch hier
ein Blick in die Promotionsordnung: Die Quellen¬exegese ist lt. § 24
(4) »innerhalb von vier Wochen anzufertigen«. Dass der Vf. für die
Veröffentlichung noch einmal eine gründliche Überarbeitung vorgenommen
hätte, lässt sich aus dem Vorwort nicht entnehmen, und
die Qualität des Textes spricht nicht dafür.
Der Zeitdruck, unter dem die Studie entstanden ist, schlägt sich
in noch höherem Maße in der Einengung des Fragehorizontes nieder.
Die Studie konzentriert sich wie dargestellt mit einer gewissen
teleologischen Perspektive auf völkerrechtliche Fragen und gewinnt
so eine durchaus konzise Struktur im Blick auf das moderne Recht.
Es wird, wie in einem anwaltlichen Plädoyer, gezielt ein Argument
gebaut. Wichtige historische Kontextualisierungen aus dem Zusammenhang
der Entstehungsbedingungen geraten dabei aus dem
Blick. Innozenz IV. ist nicht nur in Fragen des Völkerrechts mit der
Problematik des Eigentums befasst gewesen, sondern ist zutiefst
mit den franziskanischen Debatten um Reichtum und Besitz verbunden.
Während seines Pontifikats wurde Johannes von Parma, der
im Armutsstreit heftig umstrittene Ordensgeneral in sein Amt gewählt,
und nach langen Kämpfen Claras von Assisi war es Innozenz,
der schließlich kurz vor ihrem Tod die Regel ihres Ordens anerkannt
hat. Auch in diesem Kontext waren die Leitbegriffe des von J. untersuchten
Textes Thema juristischer Bestimmungen. So finden sich
die beiden dort verwendeten Begriffe dominium und possessio auch
in Innozenz’ Kommentar zu X 2.12.4: »Non prelatus sed Christus
dominium et possessionem rerum ecclesiae habet […] vel ecclesia
habet possessionem et proprietatem« (zit. nach Brian Tierney, Foundations
of the Conciliar Theory, Cambridge 1955, 140). Brian Tierney,
von dem J. zwei andere Titel benutzt, bezeichnet diese Stelle a. a. O.
zu Recht als »very influential«. Die von ihm vorgenommenen Differenzierungen,
besonders der Gedanke des Besitzes der Kirche, halfen
Nikolaus III. 1279, die Bulle Exiit qui seminat zu formulieren, die
der Pazifizierung des franziskanischen Armutsstreites dienen sollte
und die Begrifflichkeit der Armutstheorien der folgenden Generationen
prägte. All das ist gewiss ein anderes Thema, und in welchem
Ausmaß sich eine Interdependenz mit dem von J. untersuchten Text
nachweisen lässt, müsste gründlicher untersucht werden, als es in
einer Rezension geschehen kann. Unter prüfungstechnischen Gesichtspunkten
ist es auch überhaupt nicht zu beanstanden, dass all
dies bei einer in vier Wochen entstandenen Arbeit übersehen wurde.
Umgekehrt muss man sagen, dass das, was hier in vier Wochen geleistet
wurde, beeindruckend ist.
Veröffentlichungen werden aber im Unterschied zu jedenfalls
manchen Prüfungen nicht nach dem Maßstab des Verhältnisses
von zeitlichem Aufwand und Ertrag gewogen, sondern nach ihrem
Ergebnis. Und das lässt fragen, ob es denn wirklich nötig war, die
vorliegende Kleinstudie zu veröffentlichen, noch dazu in der bibliographischen
Form einer Monographie und mit einem so hochtrabenden
Titel. Oder, konstruktiver formuliert: Hätte der Vf. sich
nicht vielleicht noch einmal etwas Zeit – und wahrscheinlich mehr
als noch einmal vier Wochen – nehmen können, um aus dem beachtlichen
Anfang ein gutes Buch zu machen?