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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

799–801

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Rufius Festus

Titel/Untertitel:

Kleine Geschichte des römischen Volkes. Lateinisch– deutsch. Hgg. v. A. Bettenworth u. P. Schenk.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. 168 S. m. 2 Ktn. = Sammlung Tusculum. Geb. EUR 29,95. ISBN 9783110658309.

Rezensent:

Raphael Brendel

Ebenfalls in dieser Rezension besprochen wird:

Aurelius Victor: Historiae Abbreviatae. Hgg. v. C. Scardino u. M. A. Nickbakht. Paderborn u. a.: Brill | Schöningh 2021. XXX, 379 S. = Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike, B
2. Geb. EUR 124,00. ISBN 9783506702753.


Diskutiert werden zwei neue Ausgaben von Breviarien der Spätantike,
die als historische und historiographische Quelle insbesondere
für das 4. Jh. in den letzten Jahrzehnten verstärkte Aufmerksamkeit
erfahren haben.
Rufius Festus schrieb einen chronologischen und geographischen
Überblick über die Kriege des römischen Reiches von der
Gründung Roms bis zum Frieden von 363, der im Kontext des geplanten
Perserfeldzuges von Kaiser Valens entstand.
Aufbau: Vorwort (7–8), Einleitung (9–39), Text und Übersetzung
(41–89), Kommentar (91–132), Auswahlbibliographie (133–136), Namenverzeichnis
(137–168).
Die Hauptaufgabe des Bandes ist als erfüllt anzusehen, da eine
meist zuverlässige Übersetzung vorliegt (eigene Arbeit am Text ist
nicht beabsichtigt, dazu nur kurz 39). Lediglich 7,3 (52–53) wird aus
Macedonia das »aufrührerische Makedonien« und »Mitkaiser« für
Caesar (80–81 zu 25,1; 82–83 zu 26,2; auch im Kommentar: 126, besser
aber 128) ist irreführend; passender wäre Unterkaiser.
Als Beitrag zur Spätantike scheitert das Buch. Die Einleitung
bleibt an der Oberfläche (wohl den Vorgaben der Reihe geschuldet)
und weist mehrere Fehler auf: Maximinus, Prätorianerpräfekt
in den 370ern, wird mit dem 313 gestorbenen Maximinus Daia
verwechselt (11), was eine sonderbare Chronologie für das Leben
des Festus ergibt. Dass alle erhaltenen historischen Breviarien
Produkte des 4. Jh.s seien (15), wäre mit Blick auf die Epitome de
Caesaribus selbst dann problematisch, wenn nur die aufgezählten
Werke erhalten wären; das gilt auch für die Behauptung, Breviarien
seien meist durch kaiserlichen Auftrag entstanden (17). Das
angebliche wörtliche Zitat 32 mit Anm. 71 ist die Übersetzung
einer Passage aus dem zudem falsch zitierten Buch von Lenski (dort
188). Die Formulierung, Valentinian und Valens hätten »sich anfangs
durchaus skeptisch gegenüber Kaiser Julian (361–363 n. Chr.)
verhalten« (33), ist bestenfalls schief und zudem das »anfangs« als
falsch zu streichen. Nicht Festus hat den ersten Beleg für limitanei
(39), sondern das Gesetz CTh 12,1,56 (von 362 oder 363).
Die Kommentarnotizen sind weniger problematisch, da sie
einfache Sacherklärungen zu den geschilderten Ereignissen, die
zudem auch frühere Abschnitte der römischen Geschichte umfassen,
enthalten. Wirkliche Fehler sind wenige zu finden (93: Feste
Zahl an Suffektkonsuln in der Kaiserzeit; 99: »23–24« statt 22–23; 125:
Fehldeutung aufgrund irriger Annahmen zum Dekurionat; 128:
»v. Chr.« statt n. Chr.; 130: »Gallier« als Gegner Julians; 155: Galerius
von Diokletian als »Bruder« in dessen Familie aufgenommen), aber
manche Ungenauigkeit und Überflüssiges.
Die Literaturliste (133–136) ist eine unausgewogene Mischung
aus Literatur zu Festus, allgemeinen Überblickswerken (Kienasts
Kaisertabelle fehlt jedoch) und unsystematisch genannten Darstellungen
zu speziellen Abschnitten (Körner zu Philippus Arabs);
eine Liste der relevanten Ausgaben des Festus fehlt (zwei sind in
der Literaturliste versteckt).
Die Ausgabe bietet einen ersten Überblick über die bei Festus
geschilderten Ereignisse (die aber Handbücher nicht ersetzen
können) und legt eine Übersetzung vor, die in der Tat »einen angenehmen
deutschen Ausdruck, nicht die Abbildung der lateinischen
Sprachstrukturen« (7) aufweist; eine wörtlichere Übersetzung
ist die englische von Banchich/Meka (2001). Da aber der
Festus der hochwertigen Reihe »Kleine und fragmentarische Historiker
der Spätantike« demnächst erscheint, bleibt als Argument
für die Tusculum-Ausgabe nur der geringe Preis. Eine weitere Rezension
stammt von Friedemann Weitz (Informationsmittel für
Bibliotheken 28/4, 2020).
Der neueste Zuwachs jener Reihe ist die kritische Ausgabe des
Aurelius Victor, dessen Anfang der 360er-Jahre verfasster Abriss der
Kaisergeschichte von Augustus bis in seine Gegenwart durch eine
komplizierte Sprache und häufige prägnante Stellungnahmen herausragt.
Aufbau: Vorwort (V–VI), Verzeichnis abgekürzt zitierter Quellen
und Literatur (IX–XXX), Einleitung (1–39), Text und Übersetzung
(41–143), Kommentar (145–374) und – erstmals in der Reihe – Index
(375–379). Von Scardino stammen die Edition sowie der philologische
Teil von Einleitung und Kommentar, von Nickbakht deren
historischer Teil und die Übersetzung.
Es gibt zu der Edition viel Positives zu vermerken: Alle Bestandteile
sind sorgfältig gearbeitet und bedeuten einen Fortschritt
oder zumindest eine sorgfältige Dokumentation des Forschungsstandes.
Das gilt insbesondere für den Text, dessen Herstellung
durch die komplizierte Sprache sowie die Überlieferung erschwert
wird, da nur zwei Handschriften aus dem 15. Jh. erhalten sind und
die Sekundärüberlieferung unergiebig ist (dazu 26–27, wo noch auf
das mögliche Echo bei Sulpicius Severus und die Chronik des Hieronymus
als Nutzer der EKG hinzuweisen wäre). Eine Sammlung
der Testimonien wäre noch nützlich gewesen.
Aus der recht vollständig aufgearbeiteten Literatur fehlen
einige Spezialstudien: Lefebvre zu 5,14 (Revue des études latines
88 [2010], 172–187), Rudoni zu 24,5 (Philologus 156 [2012], 140–149),
Suski zur Karriere Victors (Byzantina et Slavica [2019], 383–393), die
Dissertation von Hayashi (2017) und Schmidts Kapitel im HLL
V (1989), 198–201, mit den Nachträgen in HLL VI (2020), 598–599.
Nicht genannte Übersetzungen Victors: Cloß (1837, Deutsch),
Moss (1944, Englisch), Echols (1962, Englisch), Burian/Mouchovà
(1975, Tschechisch), Lewandowski (2010, Polnisch), Antiqueira (2016,
brasilianisches Portugiesisch). Zur besseren Nachvollziehbarkeit
textkritischer Entscheidungen sollten neben den Ausgaben auch
ausführlichere Begründungen in gesonderten Aufsätzen genannt
werden: Pichlmayr zu 13,3 (Blätter für das bayerische Gymnasialschulwesen
24 [1888], 30–31), Bird zu 20,10 und 24,5 (Echos du monde
classique 29 [1985], 107–110).
Einwände zu Text und Übersetzung ergaben sich aus dem soeben
genannten Problem oder als Ergebnis einer abweichenden Ansicht
zu einzelnen Lesarten. Lediglich die Übersetzung des Titels
Historiae abbreviatae als »Gekürzte Historien« (43) erscheint mir
irreführend und ein Begriff wie kurzgefasst vorzuziehen.
Auf die zahlreichen Einzelergebnisse des Kommentars kann
hier nicht eingegangen werden. Der philologische Teil ist für Text
und Sprache Victors unverzichtbar und der historische Teil bietet
Anregungen, um ihn als Autor und Kritiker seiner Zeit besser zu
erfassen. In einigen Fällen wird man gerade deswegen unzufrieden
sein, da manche Stelle nicht oder nur kurz behandelt wird.
Es ist erfreulich, dass ein Register beigefügt ist (375–379), worauf
bislang mit Verweis auf die digitale Fassung verzichtet wurde,
doch ist das der schwächste Teil. Zwar sind die Angaben meist
korrekt und vollständig (Constantius Gallus fehlt ganz, ebenso die
Nennung des Salvius 20,1), doch decken sie nur einen kleinen Teil
ab, da sie sich nur auf den Text beziehen, so dass der reiche Inhalt
des Kommentars nicht erfasst wird; auch sind nur explizite Nennungen
erfasst, selbst wenn dieselbe Person öfter auftritt.
Von den ohnehin seltenen Druckversehen sind nur wenige problematisch.
Die Einleitung endet mitten im Satz (39), doch teilte mir Carlo Scardino den
fehlenden Text mit: »Figuren (vor allem der Kaiser) dienen.«; Anm.: »So vor
allem c. 21,3 in der Liebesaffäre zwischen Iulia und Caracalla, die neben der
Dramatisierung durch Reden auch eine auktoriale Bemerkung enthält, die
an Herodots Gygesgeschichte (besonders 1,8,3) erinnert, vgl. dazu Müller, Ein
unbemerktes Herodot-Zitat 407–13«; die Kommentarnotiz zu 5,14–15 steht 166
zu 4,14–15; 271: »Symeon Metaphrastes« statt Symeon Magister (oder wie 275
»Logothetenchronik«). 281: »383« statt 283; 291: Eutropius »39,40« statt 9,22,2.
Um Victor wirklich verstehen zu können, ist ein detaillierter historischer
und philologischer Kommentar wie der zu Ammianus
nötig, der lückenlos das Material aus Überlieferung und moderner
Forschung verarbeitet. Aber auch wenn die Ausgabe das nicht sein
will, haben nur wenige Forscher so viel zur Lösung des Problems
beigetragen wie die beiden Herausgeber. Der Band wird für lange
Zeit die Standardausgabe sein. Eine weitere Rezension stammt von
Justin Stover (Bryn Mawr Classical Review Oktober 2021, Nr. 41).