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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

789–791

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Repp, Martin

Titel/Untertitel:

Der eine Gott und die anderen Götter. Eine historische und systematische Einführung in Religionstheologien der Ökumene. 2. Aufl.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 468 S. Kart. EUR 68,00. ISBN 9783374055050.

Rezensent:

Tobias Schuckert

Wie können andere Religionen vom Standpunkt des christlichen Glaubens aus theologisch gedacht werden? Diese Frage beschäftigt christliche Theologie nicht erst seit dem 21. Jh. Im vorliegenden Buch zeichnet Martin Repp eine Geschichte der christlichen Religionstheologie nach, »um Orientierung für Gegenwart und Zukunft« (379) zu geben. Als ehemaliger Professor für vergleichende Religionswissenschaft an der buddhistischen Ryukoku Universität in Kyoto und Dozent an der Universität Heidelberg sowie vielen anderen Institutionen, die interreligiösen und interkulturellen Dialog fördern, gelingt es ihm außerordentlich gut, dieses Ziel zu erreichen.

Das Buch besteht aus 13 Kapiteln und lässt sich in vier historische Teile gliedern. Nach einer Einleitung, in der er prominente Religionstheologen des 20. Jh.s vorstellt, und einer biblisch-theologischen Betrachtung des Themas bespricht R. zunächst die religionstheologischen Ansätze der Alten Kirche, wie sie bei Justin, Clemens Alexandrinus und Augustin vorliegen. R. fragt nach den Leitmotiven ihrer Ansätze, die eine Vermittlung zwischen Christen und Nichtchristen möglich machen, und findet sie im Logos-Begriff Justins, in der Philosophie bei Clemens und der Vernunft bei Augustin. Die jeweiligen Abschnitte werden abschließend zusammengefasst und kritisch auch im Hinblick auf gegenwärtige Brauchbarkeit gewürdigt. Besonders auffällig in diesem ersten Teil ist die Bedeutung einer präzisen Unterscheidung von Kosmologie und Soteriologie im Umgang mit anderen Religionen (100). Während die Betonung einer universalen Schöpfungstheologie die Begegnung mit nichtchristlichen Religionen eher ermöglicht, tendiert die Überbetonung der Soteriologie zu einer harten Konfrontation mit Glaubenden anderer Religionsformationen.

Der zweite Teil behandelt als Vertreter des Mittelalters Thomas von Aquin, Ramon Llull, Nikolaus von Kues und Martin Luther. Während Thomas, Nikolaus und Luther keinen direkten Kontakt zu Muslimen hatten, wuchs Llull, geboren 1232/33 in Palma, in einer Stadt auf, in der Juden, Christen und Muslime zusammenlebten. Diese Erfahrungen prägten das Leben und Denken Llulls (129). So war er in seinen früheren Schriften noch bereit, die Spannung zwischen Klarstellung der eigenen religiösen Position und Offenheit für die religiösen Überzeugungen anderer auszuhalten (147). Aufgrund negativer Erfahrungen mit Muslimen nach einer sechsmonatigen Haft in Bugia 1308, weil er ein Missionsverbot missachtete, kommt er in einer weiteren Schrift zum Ergebnis, »die wirksamste Methode zur Bekehrung der Heiden sei die Verbindung von Predigt und Krieg« (149). In der Diskussion von Luthers Religionstheologie wird erkennbar, dass eine Betonung der Soteriologie nicht nur eine scharfe Abgrenzung zu anderen Religionen, sondern auch zur römisch-katholischen Kirche bewirkt, die Luther in einem Atemzug mit Muslimen nennen kann (209). Bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass R. sich auf Luthers Perspektive auf Muslime (»die Türken«) beschränkt. Luthers Haltung zur jüdischen Religion wird nicht diskutiert. Eine kritische Leserschaft mag sich fragen, warum im gesamten Werk keine Auseinandersetzung mit dem Judentum besprochen wird.

Dass die Unterscheidung von Kosmologie und Soteriologie Weltgeschichte beeinflussen kann (vgl. 285), zeigt der dritte Teil, in dem R. mit Francisco de Xavier und Matteo Ricci zwei katholische (jesuitische) Missionare und mit Bartholomäus Ziegenbalg einen protestantischen Missionar in Asien vorstellt. Xavier, der nach einem Aufenthalt in Indien 1549 als erster römisch-katholischer Missionar nach Japan gekommen war, »erkannte eine natürliche Kenntnis Gottes unter den ›Heiden‹ in Japan nicht an« (242). Er betrachtete den Buddhismus, den er vorfand, als Erfindung des Teufels und begegnete diesem mit einer »entmythologisierenden Religionskritik«. Xavier, so R., mangelte es nicht nur an ausreichenden Sprachkenntnissen, sondern auch an zureichendem Wissen über den Buddhismus (243). Aufgrund dieser Haltung fand die Jesuitenmission keine Anknüpfungspunkte für das Evangelium, was schließlich 1587 zum Verbot der christlichen Religionsausübung in Japan führte. Bei aller berechtigten Kritik an Xavier muss jedoch festgehalten werden, dass dieser in seinen Briefen mit Hochachtung über das japanische Volk spricht (s. S. Iwai, An Analysis of Francis Xavier’s Letters, Asian Journal of Theology 21 [2007], 6–18, 8). Was R. an Xavier bemängelt, das findet sich im positiven Sinn bei Ricci in China und Ziegenbalg in Indien. Beide lernten die Landessprachen außerordentlich gut und beschäftigten sich intensiv mit den lokalen Glaubenssystemen. So kam Ricci durch das intensive Studium chinesischer Literatur im 17. Jh. zu dem Ergebnis, dass im Daoismus der Chinesen eine natürliche Kenntnis Gottes sichtbar wird. Im Gegensatz zu Xavier ist für Ricci »die Lehre eines Schöpfergottes […] nicht ein partikularer Glaube etwa des Christentums, sondern eine zeitlich und geographisch ›universale Lehre‹« (275). R. macht jedoch deutlich, dass die nachfolgenden Missionare sowie die Verantwortlichen des Ordens diese Spannung von natürlicher Gotteserkenntnis und Wissen um das Heilshandeln Gottes in Christus nicht aufrechthalten konnten, was letztlich zum sogenannten Ritenstreit und Verbot des Christentums in China 1724 führte. Diese Wertschätzung der vorfindlichen Religionen lässt sich auch im Leben und Wirken Ziegenbalgs unter den Tamilen in Indien ausmachen (298). Als Missionar der Dänisch-Halleschen Mission widmete er sich wie Ricci der Sprache und Religion der Tamilen und sandte 1711 und 1713 religionswissenschaftliche Manuskripte nach Halle, in denen sich eine große Hochachtung Hindus gegenüber ausdrückt und er den Hinduismus monotheistisch zu deuten versucht. Eine solche wertschätzende Vermittlung von ›heidnischen‹ Vorstellungen Indiens an Europäer war jedoch für A. H. Francke undenkbar (303), so dass auch dieser protestantische von Respekt geprägte Ansatz nicht weiter verfolgt wurde.

Die Kapitel des vierten Hauptteils besprechen Ansätze des 20. Jh.s, beginnend mit Carl Heinz Ratschow, der in Münster und Marburg religionswissenschaftliche und philosophische Lehrstühle innehatte. Dessen Ansatz der »Konvenienz der Religionen« besagt, dass diese »insofern miteinander vergleichbar seien, da sie menschliche Antworten auf die Epiphanien von Gottheiten darstellten« (345). Trotzdem seien die jeweiligen Gottheiten nicht miteinander vergleichbar. Dadurch ist es Ratschow möglich, einen Ansatz zu entwickeln, der es Vertretern verschiedener Religionen erlaubt, einander zu begegnen, ohne dass dabei die Spannung des jeweiligen Geltungsanspruchs aufgegeben werden muss (356). Mit dem japanischen Professor für christliche Studien der Universität Kyoto, Kazuo Mutô, führt R. den einzigen nicht europäischen Religionsphilosophen des 20. Jh.s im vorletzten Kapitel ein. Hier wird ein Bogen geschlossen zu den Vertretern der Alten Kirche. Als Christ in der mehrheitlich buddhistischen japanischen Gesellschaft war für den 1995 gestorbenen Mutô die religionstheologische Frage eine existenzielle, ebenso wie für Justin und Clemens. Erneut war es das »spannungsgeladene Zusammenhalten von Kosmologie und Soteriologie« (377), das auch für Mutô die Möglichkeit zum Dialog und gegenseitigen Lernen eröffnete.

Im letzten Abschnitt fasst R. alle besprochenen Ansätze in 14 »sys-tematischen Konklusionen« zusammen. Darin zeigt sich durchgängig, dass für R. der entscheidende hermeneutische Schlüssel in der »Spannung von Gottes Welthandeln und Heilshandeln« (412) liegt. Dabei scheut R. nicht vor missionstheologisch schwierigen Themen zurück, wie etwa der »natürlichen Soteriologie«, d. h. der Frage, was mit den Menschen geschieht, die gestorben sind, bevor die jeweilige Volksgruppe dem Evangelium begegnete (408).

Das vorliegende Werk erfüllt seine selbst gesteckte Aufgabe und bietet eine hilfreiche Orientierung für die Gegenwart und Zukunft. Es ermöglicht aufgrund detaillierter Arbeit mit Quellentexten einen – wie auf dem Titelbild zu sehen – Rundgang (jap.: junro) durch 2000 Jahre christliche Religionstheologie. R.s persönliche Beziehung zu Japan und Asien ist an den besprochenen Theologen zu sehen. Gerade darin liegt die Stärke des Buches, da es aufzeigt, wie christliche Theologie im Dialog mit anderen Religionen nicht in einem »Selbstgespräch« (Ratschow) stecken bleiben muss.