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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

870–872

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neuner, Peter

Titel/Untertitel:

Streiten für die Einheit. Erfahrungen mit der Ökumene in fünf Jahrzehnten.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2021. 232 S. Geb. EUR 28,00. ISBN 9783451389566.

Rezensent:

Martin Bräuer

Peter Neuner ist als profunder ökumenischer Theologe vielen gut bekannt, ja er gilt vielen als »Altmeister der Ökumene«. Als Professor für Dogmatik und ökumenische Theologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat er nicht nur unzählige Studierende ausgebildet und geprägt, sondern über fünf Jahrzehnte auch die Entwicklung der Ökumene in Deutschland und darüber hinaus erlebt und mitgestaltet. Wenn N., dem es immer wieder in seinen Veröffentlichungen gelingt, einerseits die theologische Fachdebatte differenziert darzustellen und gleichzeitig in einer Sprache zu formulieren, die die Themen auch über die akademischen Kreise hinaus zugänglich machen, in seinem neusten Werk sein ökumenisches Wirken bilanziert, dann verspricht dies spannende Innenansichten: Und in der Tat eröffnet die Lektüre des Bandes »Streiten für die Einheit« ein sehr lesenswertes Panorama der Dynamiken, die die Ökumene seit dem II. Vatikanischen Konzil bestimmten.

N. schreibt als engagierter wissenschaftlicher und kirchenpraktischer Beobachter der Szene über Jahrzehnte hinweg, von der Zeit als junger Kaplan in München über die Jahre als Fundamentaltheologe beziehungsweise Dogmatiker an den Fakultäten in Passau und München (wo er auch das Ökumenische Institut leitete) bis zu den vielfältigen Aktivitäten im Ruhestand. Präzise und immer wieder an seine eigenen Erlebnisse zurückgebunden beschreibt N. den Aufbruch nach dem Konzil, die erstaunlichen Annäherungen der theologischen Gespräche bis weit in das Pontifikat Johannes Paul II. hinein. Er nimmt den Leser mit hinein in das nachkonziliare Klima an der Münchner Fakultät. Hier lehrten und forschten prägende Theologen wie Heinrich Fries und Wolfhart Pannenberg und schufen dabei eine kreative Atmosphäre, in der junge Theologen wie K. Lehmann, J. B. Metz und andere ihre eigene Theologie entwickeln konnten. Präzise und hochspannend beschreibt N. die sich in den 80er Jahren zunehmend verhärtende kirchenpolitische Situation, die auch die Ökumene erfasste und sich in den Debatten um den Fries-Rahner-Plan oder das Ämtermemorandum niederschlugen. N. fragt nicht unberechtigt, ob seine damals bezogenen offenen Positionen dazu beigetragen haben, dass er nie in eine der offiziellen Dialogkommissionen auf Deutschland- oder Weltebene berufen wurde. Hochspannend auch die internationalen Perspektiven, die N., der stets mit großer Lust auf das Neue ein Reisender war, gerade im Hinblick auf China und die dortige Situation beschreibt.

In diese Zeit fielen das Zweite Vatikanische Konzil mit seiner epochemachenden Öffnung der katholischen Kirche für die Ökumenische Bewegung, das umstrittene »Ämtermemorandum« von 1973, der Aufsehen erregende »Rahner-Fries-Plan« von 1983, die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999, die Ökumenischen Kirchentage in Berlin 2003 und München 2010 und das Reformationsjubiläum 2017. N. lässt diese und andere ökumenische Meilensteine Revue passieren. Ihm liegt besonders die eigene Kirche am Herzen, bei allen aufmerksamen Beobachtungen auch zu den Kirchen der Reformation wie der Orthodoxie als ökumenischen Partnern.

Er plädiert energisch und immer wieder für mehr Mut auf katholischer Seite, Spielräume auszunutzen, Engführungen etwa in der Lehre vom kirchlichen Amt aufzubrechen: Die Kirche habe nicht das Recht, an einem Zustand festzuhalten, der ihrem Auftrag widerspreche. »Einheit gehört zu ihren Wesensmerkmalen, wie das Credo sie formuliert, und Kirche darf sich nicht an eine Situation gewöhnen, die diesem entgegengesetzt ist.« Das Buch schließt mit einem hoffungsvollen Ausblick auf den 2021 wegen der Pandemie auf weite Strecken nur digital stattgefundenen Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt sowie auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2022 in Karlsruhe. N. notiert als Ergebnis seiner ökumenischen Erfahrungen die Entscheidung, sich durch Enttäuschungen nicht entmutigen zu lassen. Sein Rückblick auf fünf Jahrzehnte der ökumenischen Entwicklung mitsamt ihren Irrungen und Wirrungen kann auch andere zu dieser Entscheidung einladen.