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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

847–849

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Etzelmüller, Gregor

Titel/Untertitel:

Gottes verkörpertes Ebenbild. Eine theologische Anthropologie.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XIV, 402 S. Kart. EUR 44,00. ISBN 9783161599941.

Rezensent:

Christoph Böttigheimer

Hier wird, wie der Titel des Bandes von Gregor Etzelmüller anzeigt, eine Theologische Anthropologie vorgelegt, die sich im Anschluss an die embodied cognitive science und die Philosophie der Verkörperung dezidiert mit dem Verkörperungsparadigma auseinandersetzt. Eine solch akzentuierte theologische Sicht auf den Menschen mag bezogen auf die christliche Tradition, in der die Körperlichkeit größtenteils wenig Beachtung fand, gar eine Leibverachtung nicht selten war, befremden, nicht aber angesichts biblischer Tradition mit ihrer äußerst realistischen Sichtweise vom Menschen. Infolgedessen ist die vorliegende Theologische Anthropologie, obgleich an aktuellen Ansätzen des Verkörperungsdiskurses interessiert, biblisch orientiert – auf metaphysische Letztbegründungen bewusst verzichtend.

Der Band umfasst drei Teile, die in sich differenziert gegliedert sind. Führt der erste Teil in die neuzeitliche Theologische Anthropologie ein, geht es im zweiten Teil um die Körperlichkeit des Menschen und damit zusammenhängend um seine Sozialität, Vulnerabilität und Endlichkeit, während im dritten und letzten Teil von der göttlichen Bestimmung des Menschen und der Verfehlung infolge der Sünde gehandelt wird.

Der erste, einführende Teil erörtert die Genese der neuzeitlichen Anthropologie, um daran anschließend Ort und Eigenart der Theologischen Anthropologie bestimmen zu können. Wurde die Empirie für das neuzeitliche anthropologische Denken immer wichtiger, habe auch die Philosophische Anthropologie sowie die sich im Anschluss an sie ausbildende Theologische Anthropologie nicht mehr vom Leib als lebendigem Organismus, der in die Umwelt verwoben ist, absehen können. Für die Theologische Anthropologie sei darum das interdisziplinäre Gespräch essentiell. Ausgangspunkt der Untersuchung ist aber nichtsdestotrotz die biblische Überlieferung, die dann vor allem mit den Ansätzen einer evolutionären Kulturanthropologie ins Gespräch gebracht wird, um »eine realistische Beschreibung dessen, was es heißt, Mensch zu sein« (19) zu gewinnen. Eingesetzt wird nicht beim Menschen als Geschöpf und Sünder, sondern bewusst beim Evangelium Jesu Christi, würde doch erst durch den Gottmenschen Jesus Christus das wahre Menschsein offenbar; Christologie und biblische Anthologie würden sich wechselseitig auslegen. Schon Karl Barth wie auch Dietrich Bonhoeffer hätten ihre Anthropologie christologisch begründet. Erschlossen werden so zum einen die in Christus an jeden Menschen ergangene Verheißung, dass in seiner Geschichte Gott rettend gegenwärtig sei und zu seinem Heil wirke, sowie zum andern das verkörperte Sein des Menschen. Denn wie der Gottessohn selbst Fleisch angenommen habe, der fleischliche Leib also zum Ort der Epiphanie Christi wurde, so gehöre die Fleischlichkeit bzw. Leiblichkeit unabdingbar zur menschlichen Existenz und damit verbunden seine Endlichkeit, Verletzlichkeit und Empathie. Im Gegensatz dazu hätte aber in der christlichen Tradition weithin eine dualistische Sichtweise grassiert, verbunden mit einer Verachtung des Körpers bzw. Leibes.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Weisheit des Leibes als Gottes gute Schöpfungsgabe. Die interdisziplinäre Anthropologie der Verkörperung gehe davon aus, dass der Geist des Menschen immer schon an leibliche Vollzüge, einen organischen Leibkörper gebunden sei und dadurch konstituiert würde; der Geist sei als dynamische Weise des leiblichen In-der-Welt-Seins zu verstehen. Mentales Leben sei folglich verkörpert, was einem reduktionistischen Naturalismus ebenso widerspräche wie einer den biblischen Texten zuwiderlaufenden theologischen Entkoppelung von inneren und äußeren Prozessen. Wie schon im Alten und Neuen Testament vielfältig zum Ausdruck käme, sei dem Leib bei der Gestaltung des Lebens eine Leistungskraft und Weisheit zu eigen, sei er es doch, der geistige Prozesse trage, den Menschen in Kontakt mit seiner Umwelt bringe, ihn durch die Welt lote und »zahlreiche Handlungen gleichsam im Modus des Autopiloten« (93) vollziehe.

Nebenbei: Wenn aufgrund der Verkörperung eine Fokussierung des Bittgebets auf das Innere (z. B. Geduld) abgelehnt und betont wird, dass innere Gaben stets verleiblicht seien und Gott deshalb um »Natürliches und Leibliches« (134) gebeten werden dürfe, zugleich aber festgestellt wird: »Gott greift nicht unmittelbar ein« (130), so fragt man sich, wie man sich die Erhörung eines intentionalen Bittgebets konkret vorzustellen hat. Bedeutsam für die menschliche Existenz sei neben der Leistungskraft und Weisheit des Leibkörpers ebenso die Zwischenleiblichkeit, d. h. der zwischenleibliche Austausch. Durch seinen Leibkörper sei der Mensch immer schon in das Leben anderer verwickelt, was anhand des biblischen Zeugnisses sowie der Phänomene der Natalität, Vulnerabilität und Empathie, Barmherzigkeit und Sexualität eindrücklich ausgeführt wird. Weitere Momente der Leiblichkeit menschlicher Existenz seien, das zeige schon der Blick auf Jesus Christus, Endlichkeit und Sterblichkeit, was trotz aller Leibfeindlichkeit in Theologie und Kirche nie außer Acht gelassen worden sei, wurde doch vor allem dem Tod Jesu soteriologische Bedeutung zuerkannt. Wenn nach biblischem Zeugnis Fleischlichkeit und Endlichkeit zusammengehören, so spreche dies keinesfalls gegen Gottes gute Schöpfung, da der natürliche Tod Voraussetzung für Kreativität und Identität sei und er im Neuen Testament erst infolge der Sünde zum Feind des Lebens werde. Mit der Begrenztheit des Menschen verbänden sich des Weiteren seine Verwiesenheit und Angewiesenheit auf andere, seine Vulnerabilität und seine Perspektivität, was biblisch, evolutionsbiologisch, theologisch und soziologisch entfaltet wird.

Der dritte und Letzte Teil des Bandes handelt von der theologischen Bestimmung des Menschen: Gott zu verherrlichen bzw. lebendiges Ebenbild Gottes zu sein, und von dem, was diesem Ziel entgegensteht: der Sünde, welche sich in der Verabsolutierung der eigenen Perspektive, durch Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung ausdrücke. Das Wesen der Sünde wird biblisch-theologisch sowie im Gespräch mit der Evolutionären Anthropologie erschlossen, nämlich als Abirrung von der göttlichen Bestimmung des Menschen. Das führt zum Gedanken von der »Evolution der Sünde«. Auf diese Weise soll »für die Theologie ein realistisches Verständnis von Sünde« gewonnen werden (236).

Ob es theologisch hilfreich ist, den Sündenbegriff auf die Grausamkeiten in der vormenschlichen Evolution auszudehnen und die Erbsünde mit dem Hineingeborenwerden in einen »Lebens- und Kommunikationszusammenhang der Sünde« in Verbindung zu bringen, sei dahingestellt, wird doch an anderer Stelle an der Freiheit und Verantwortung des Menschen festgehalten und Sünde als das Nicht-transzendieren-Wollen der evolutionären Vorabsozialisierung bestimmt. Nichtsdestotrotz vermag der Diskurs mit der Evolutionären Psychologie ein neues Licht auf die Sünde zu werfen, eine nicht-theologische Plausibilität für das theologische Sündenverständnis zu erzeugen und insbesondere die weit über den Einzelnen reichende Macht der Sünde aufzudecken. Der Band endet mit dem Totsein bezüglich der Sünde. Erfüllung findet der verleiblichte Mensch in Glaube, Hoffnung und Liebe und in Gemeinschaften, in denen göttliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit schon jetzt gelebt werden. Hier stellt sich ein verkörperter Vorgeschmack dessen ein, was die letzte Bestimmung des Menschen ist: das ewige Leben in Gottes Reich. Insofern der Leib des Menschen im Tod vergehe, komme es zu einer völligen Entmachtung des Menschen und damit zu einem völligen Freiwerden von jeglicher Sünde.

Die vorgelegte theologische Leibanthropologie überzeugt in ihrer klaren Systematik und biblischen Fundierung. Zudem ist es heute in einer von den Naturwissenschaften beherrschten Welt von grundlegender Bedeutung, dass sich die Theologie ihnen gegenüber als sprach- und begründungsfähig erweist. Das gelingt dieser Theo-logischen Anthropologie im interdisziplinären Aufgreifen des Verkörperungsparadigmas zweifellos, wodurch sie sich zugleich als mit der Realität vermittelt ausweist.