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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

809–811

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ostmeyer, Karl-Heinrich, u. Adrian Wypadlo [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Das Ziel vor Augen. Sport und Wettkampf im Neuen Testament und seiner Umwelt. Unter Mitarbeit v. C. Baumgart u. V. Niggemeier.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 226 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 226. Kart. EUR 69,00. ISBN 9783170389366.

Rezensent:

Uta Poplutz

Der zu besprechende Sammelband ist ein Ertrag des Forschungsverbundes »Neues Testament an der Ruhr« (NTR), zu dem sich Exegetinnen und Exegeten aus Nordrhein-Westfalen vor gut zehn Jahren zusammengeschlossen haben und seitdem alljährliche Konferenzen zu wechselnden Themen organisieren. Die elf Beiträge des Buches gehen auf zwei gleichlautende Tagungen zurück, die in Münster (2018) und Dortmund (2019) durchgeführt wurden.

Markus Tiwald widmet sich in seinem Aufsatz »Jasons Gymnasion. Der Epispasmos und die Frage der Beschneidung in Frühjudentum und beginnendem Christentum« (9–27) dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen, wie er am erwähnten Gymnasion in Jerusalem unter der Fremdherrschaft von Antiochos IV. Epiphanes im 2. Jh. v. Chr. exemplarisch sichtbar wird. Im Wesentlichen handelt es sich um einen eher einleitenden Beitrag, in welchem T. die einschlägigen Quellen zur Seleukidenherrschaft in Palästina sowie zur Frage nach der Beschneidung im Frühjudentum als nota Iudaica – die anhand der Praxis der Epheben, nackt zu trainieren, virulent wurde – vorstellt.

Adrian Wypadlo behandelt das Agonmotiv bei Philo von Alexandrien (»Vom ἀγὼν τῆς ἀρετῆς hin zum ἀγὼν τῆς εὐσ-εβείας [Virt 45]. Agonale Motivik und Sportmetaphorik im Corpus Philonicum« [29–48]). Philo wertschätzte die sportliche Betätigung im Gymnasion und bei Wettkämpfen außerordentlich, da sie ihm als Blaupause für die Einübung in ein tugendhaftes oder frommes Leben dienen konnte. Und so verwundert es nicht, dass er mit ungefähr 180 Belegen ein eindrückliches Repertoire im Bereich agonmetaphorischer Wendungen und Bezüge aufweist. W. bietet dazu einen Überblick und sieht seine exemplarischen Analysen als Ausgangspunkt und Aufmunterung, der Agonmetaphorik bei Philo differenzierter und nach Schriftengruppen unterschieden nachzugehen, da er hier ein Forschungsdesiderat erkennt.

Stefan Eckert rückt in seinem Beitrag »Der Kampf um den Glauben. Zum Agon-Motiv im Neuen Testament« (49–79) stärker die militärische Komponente, die zweifelsohne zum Agon-Motiv gehört, in den Vordergrund. Zu diesem Zweck differenziert er zwischen dem »Agon-Motiv im engeren« und »im weiteren Sinne« (54). Der letztgenannten Kategorie ordnet er die Rezeption durch Paulus zu, welcher zusätzlich das athletische und militärische Spektrum der traditionellen Semantik durch Hinzufügung von dichotomischen Metaphern ergänzt habe (54). Das ist originell, aber ob es zu überzeugen vermag, wird die weitere Fachdiskussion noch erweisen müssen. Die Analyse zum sogenannten »Gebetskampf« Jesu in Getsemani bietet fein beobachtete Aspekte; dass jedoch in der lukanischen Version dezidiert Agonmetaphorik bemüht wird (Lk 22,44), lässt sich m. E. nicht erhärten. Zwar können ἀγών und ἀγωνία bei klassischen Autoren wie Pindar und Herodot promiscue verwendet werden, aber hier steht die Anfechtung Jesu angesichts seines Todesschicksals im Fokus, was auch durch die syntagmatische Verknüpfung mit γεγόνεμος ersichtlich wird: Jesus »gerät in agonia«, d. h. in einen inneren Konflikt im Hinblick auf schwere bevorstehende Ereignisse (vgl. Diod. Sic. XIX 26; Diog. Laert. VII 112 f.).

Thomas Söding widmet sich dem »Sport des Apostels« und der »Dialektik von Kampf und Sieg auf dem Weg von Phil 3 zu 2Tim 4« (81–99). In den 50 Jahren, die zwischen den Briefen liegen, verschiebt sich das Bild vom »Läufer« Paulus, der siegen will, zum Sieger, der gelaufen ist und andere ebenfalls dazu motiviert. Volker Niggemeier analysiert den agonmetaphorischen Schlüsseltext des Neuen Testaments schlechthin, 1Kor 9,24–27, und bietet viele Detailbeobachtungen (101–119).

Der Beitrag von Heinz Blatz, »Wettkampf im Lykostal? Agonale Motivik im Kolosserbrief und soziokultureller Kontext« (121–142), ist ein interessanter Aufsatz, der insbesondere Inschriften heranzieht, um soziokulturell zu ermitteln, warum im Kolosserbrief die Agonmetaphorik weitergeschrieben wird. Dabei sieht er eine Schwerpunktverschiebung: Es geht nicht wie beim klassischen Agon um den Sieg des Einzelnen, sondern um das Kämpfen und Gewinnen für die Gemeinde. Zugleich erkennt B. eine gewisse Kritik am römischen Machtsystem: »Nicht der Kaiser mit der pax Romana ist Herr und Schiedsrichter, sondern der Friede Christi soll Schiedsrichter in den Herzen (Kol 3,15) und Christus das Haupt sein (Kol 1,15–20)« (138).

Karl-Heinrich Ostmeyer widmet sich dem Thema »Paulus und die zeitgenössische Fankultur. Implikationen für das Verständnis von 1Kor 1,10–13« (143–163), wobei er den Fokus auf die 50er Jahre und die Städte Korinth und Rom sowie die Disziplin des Wagenrennens legt. Seine innovative These lautet, dass die eingangs des Ersten Korintherbriefes erwähnten vier Tauf-Parteien, die mit einer potentiellen Teilung Christi gleichgesetzt werden (1Kor 1,13: μεμέρισται ὁ Χριστός), den vier sogenannten faktiones (griech. μέρη) entsprechen, in die sich das Publikum bei Wagenrennen im römischen Circus erkennbar aufteilte. Die Parteinahme, die in 1Kor 1,12 geschildert wird, erinnert an die Fangesänge der faktiones, womit Paulus die so argumentierenden Korinther mit den götzendienenden Fanatikern im Circus gleichsetzt. Die Aussage: Wer sich so verhält, der geriert in der Gemeinde »Zustände wie im alten Rom!«

Margarete Strauss nähert sich der agonalen Motivik in der Johannesoffenbarung und bietet zahlreiche Münzabbildungen als Vergleichsmaterial, allerdings bleibt der Beitrag miszellenartig und hätte durch eine Ausweitung und Vertiefung der Analysen deutlich gewinnen können (165–180).

Emmanuel L. Rehfeld erarbeitet unter dem Titel »Die Krankheit zum Tode und das Sterben Jesu« hamartiologisch-thanatologische Überlegungen im Anschluss an Paulus (181–205). Die theologisch-reflektierenden Erwägungen sind gehaltvoll, jedoch streifen sie das Thema des Sammelbandes nur am Rande.

Mit einem kurzen, aber feinen Essay unter dem Titel »Fußball im Paradies?« spielt Thomas Ruster den dogmatischen Blick ein (207–212), während Carsten Baumgart als Exeget die diagnostizierte »Krise des Schriftprinzips« in der evangelischen Theologie mit Hilfe fußballerischen Vokabulars betrachtet: »Der Sport der Exegese« (213–220). Ein Bibelstellenregister und ein kurzes Begriffsverzeichnis runden den Band ab; schade ist allerdings, dass auf ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren, die an dem Buch mitgearbeitet haben, verzichtet wurde.

Insgesamt ist der Band sehr durchdacht angelegt und bietet ein ziemlich umfangreiches Bild agonaler Metaphorik im Kontext des Neuen Testaments. Es finden sich viele Anregungen und weiterführende Beobachtungen, die seit Erscheinen der letzten Monographien zum Thema (Poplutz, Athlet des Evangeliums, 2004; Brändl, Der Agon bei Paulus, 2006) das bleibende Potential des Materials aufzeigen und im besten Falle das Feld für weitere Analysen bestellen. Dabei führen die Beiträge nicht nur die Fachdiskussion weiter, sondern laden insbesondere auch diejenigen zur Lektüre ein, die sich zum ersten Mal mit der Thematik befassen und hier wunderbar einlesen können.