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Ausgabe:

September/2022

Spalte:

804–806

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dochhorn, Jan

Titel/Untertitel:

Der Adammythos bei Paulus und im hellenistischen Judentum Jerusalems. Eine theologische und religionsgeschichtliche Studie zu Römer 7,7–25.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XVI, 722 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 469. Lw. EUR 184,00. ISBN 9783161600968.

Rezensent:

Daniel Schumann

Das hier zu besprechende Buch ist aus Vorarbeiten zur Apokalypse des Mose (fortan ApcMos) und Paulusstudien entstanden, die später in einem mit Mohr Siebeck verabredeten Römerbriefkommentar und einer Religionsgeschichte des frühen Christentums kulminieren sollen. Anlass zum besonderen Fokus des Buches gab Jan Dochhorn zufolge eine Beobachtung hinsichtlich der exegetischen Auseinandersetzung der Kirchenväter mit Römer 7, wobei Autoren wie Origenes, Methodius und Ambrosiaster die personifizierte Sünde mit dem Teufel identifizierten. Zu dieser Beobachtung scheinen nach D. auch Affinitäten zwischen Röm 7,7–25 und ApcMos 15–30 zu passen, wo der Teufel zur Gebotsübertretung verleitend die Vertreibung des Protoplastenpaars, Adam und Eva, aus dem Paradies verursachte. Dies wiederum gelte nach D. als Indiz dafür, das im Widerstreit mit sich selbst liegende Ich in Röm 7 mit dem Ich Adams zu identifizieren. D. hat sich mit seiner Studie außerdem das Ziel gesteckt, die jüdischen Hintergründe des Paulus und das palästinische Judentum der herodianischen Epoche religionsgeschichtlich zu untersuchen. Dabei zielt er auch darauf ab, einen Beitrag zur Forschungsdebatte um die unter der Metapher »Parting of the Ways« zusammengefassten Trennungs-, Abgrenzungs- und Identitätsbildungsprozesse der frühen Christusbewegung im Gegenüber zum nichtchristusgläubigen Judentum zu leisten.

Zu dem zum Thema hinführenden § 1 zählen ein thesenartig formulierter Überblick der im Buch vorgestellten typischen Auffassungen über Paulus und die jüdischen Gruppen des Zweiten Tempels (3–12), eine Verortung der Arbeit im gegenwärtigen Forschungskontext (12–15) und Ausführungen zur methodischen Erschließung von Römer 7 (15–25). In der luziden und prägnant formulierten Positionierung seiner Arbeit in der aktuellen Diskussion bezieht er mit Blick auf die Radical New Perspective on Paul die kritische Position, dass Paulus in Röm 7,7–25 die Perspektive eines vorchristlich-jüdischen Ichs auf eine insuffiziente Tora entwirft.

Als Einstieg in seine theologisch und religionsgeschichtlich orientierte Studie zu Röm 7,7–25 hat D. mit § II eine Abhandlung über die »Sündenmacht bei Paulus« gewählt (27–80). Im Blick sind dabei zentrale Texte des Corpus Paulinum (u. a. Röm 3,9.19–20; 5,12–21), die von der Sündenmacht und der Trias Sünde, Tod und Gesetz sprechen. Diese werden daraufhin untersucht, ob diesen Entitäten aus paulinischer Sicht eine personenhafte Qualität eignet oder ob sie als Abstrakta vorgestellt sind, was D. für Ersteres bejaht (77–80). In § III fährt D. sodann mit einer umfassenden exegetischen Analyse von Röm 7,7–25 fort, die vor allem durch ihren Fokus auf eine von patristischen bis zu modernen Stimmen reichende Auslegungsgeschichte ins Auge fällt und für den rezeptions- und auslegungsgeschichtlich interessierten Leser keine Wünsche offenlässt. Daran schließt er eine Oberflächenbeschreibung des Textes an, in der er traditionsgeschichtlich relevantes Material aus den Textfunden vom Toten Meer (237), der rabbinischen Traditionsliteratur (238 f.) und griechisch-römischer Literatur (239–245) einfließen lässt. § IV ist sodann einer detaillierten traditionskritischen Analyse von ApcMos 15–30 und VitAd gewidmet, in der D., beginnend mit wichtigen Einleitungsfragen zur Handschriftenüberlieferung (249–252), eine Entstehungsgeschichte der Adamdiegesen und eine skizzenhafte Nachzeichnung der in ihnen geschilderten Ereignisse (254–317) bietet. Mit Blick auf Paulus hält D. seine Kenntnis des hinter ApcMos 15–30 stehenden Milieus für wahrscheinlich, das – gemessen an der Nähe des von Paulus rezipierten Traditionsguts – in Röm 7 das Kommunikationsverhalten eines Jerusalemer Schulbetriebs erahnen lässt, mit dem Paulus während seines Jerusalemaufenthalts in den 20er Jahren Kontakt gehabt haben soll.

In § V (319–365) begibt sich D. auf die Suche nach weiteren parallelen Motiven und Traditionen im Römerbrief und den Adamdiegesen, um die mögliche Vertrautheit des Paulus mit ApcMos 15–30 und die Annahme einer vom Präkontext her auf Adamüberlieferungen hin gesteuerten Leserkonditionierung in Röm 7 weiter zu untermauern. Solche Parallelen findet D. u. a. in dem in Röm 3,23 und ApcMos 20,1 f. berichteten Verlust der Doxa, in dem Rekurs auf die der Nichtigkeit unterworfenen Schöpfung in Röm 8,20, die eine Parallele in Evas nichtigen Geburtsmühen (ApcMos 25,1–4) besäße, und auch in Röm 8,33–34, wo beide Verse den Teufelssturz von ApcMos 39 zum Hintergrund haben sollen. Für D. ist das in Röm 7,7–25 zu Wort kommende Ich ein sowohl adamitisches als auch überzeitlich jüdisches Ich (593), an dem sich das urzeitliche Drama der Protoplasten exemplarisch für alle späteren Generationen abspiele. Dieses Drama – und das muss neben dem Fokus der Arbeit auf den Adammythos an dieser Stelle noch ergänzt werden – spielt sich auch mit Blick auf ein jüdisches Ich ab, das rückblickend auf die Gabe der Tora am Sinai mit ebendieser Gabe die Hoffnung auf Leben verband (vgl. Röm 7,10 mit Dtn 30,19). Die gezielte Verwendung der Motivpaare Gesetz und Sünde, Leben und Tod sowie Sklaven- und Dienerschaft konditioniert daher den Leser von Röm 7 zusätzlich, das Kapitel als Zeugnis ungelöster menschlicher Zerrissenheit im Anschluss an die Sinaioffenbarung zu begreifen. Mit § VI unternimmt D. eine Nachzeichnung der an den vier Handlungskonstituenten »Ich, Tod, Gesetz und Sünde« vorgenommenen Traditionsumformungen, die Paulus als Rezipient der Adamdiegesen unternommen habe (367–384). § VII verortet diese vier Handlungskonstituenten sodann im Denken und in der kulturellen Prägung des Paulus und setzt sie zu Gott und zum Christusgeschehen ins Verhältnis (385–469).

In § VIII versucht D. zu zeigen, wie sich ab etwa 30 v. Chr. sukzessive ein auf Gen 3 basierender jüdischer und dann christlicher Mythos über den punktuellen Anfang des Bösen herausbildet, in dessen Gefolge dann später der Erbsündenmythos erwachsen wird (471–620). Es schließt sich eine Darstellung der Rezeption des »Adam/Sünde/Tod-Komplexes« im Judentum und im frühen Christentum des ausgehenden 1. bis 3. Jh.s n. Chr. an. Den Abschluss bildet § IX mit Beobachtungen zum religionsgeschichtlichen Gepräge des vorchristlichen Paulus und zur Geisteskultur der herodianischen und römischen Epoche Palästinas, in dem D. die Stationen der griechischsprachigen Literaturgeschichte des palästinischen Judentums absteckt. Als Parallelphänomen zum Aufblühen römischer Nationalliteratur unter Augustus habe die politisch stabile Periode unter Herodes wichtige Impulse für die Literaturproduktion bewirkt und neben ApcMos auch Werke wie die Assumptio Mosis, die beiden Testamente Hiobs und Abrahams sowie die Vita Adae et Evae hervorgebracht. Dieser von polyglotter Schriftgelehrsamkeit geprägte Milieuhorizont stelle nach D. auch den Entstehungskontext des frühen Christentums dar.

D. hat mit Verzicht auf Vagheit und Indifferenz eine mutige Rekonstruktion zur Traditions- und Rezeptionsgeschichte des Adammythos im hellenistisch geprägten Judentum Jerusalems in den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende vorgelegt, die die Paulusforschung zum Römerbrief enorm bereichern wird. Für eine Leserschaft interessiert an jüdischer Protologie, Anthropologie und Dämonologie zur Spätzeit des Zweiten Tempels und der beginnenden Epoche der Tannaiten wird das Buch eine Fülle an überraschenden Entdeckungen zur produktiven Aufnahme und Weiterentwicklung der biblischen Urgeschichte bereithalten.