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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

754–756

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Arenas, Sandra

Titel/Untertitel:

Fading Frontiers? A Historical-Theological Investigation into the Notion of the ›Elementa Ecclesia‹.

Verlag:

Leuven: Peeters Publishers 2021. XXXII, 261 S. = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 321. Kart. EUR 80,00. ISBN 9789042945814.

Rezensent:

Michael Quisinsky

Ökumenische Grundfragen sind ein Bewährungsfeld für interdisziplinäres Forschen, hermeneutische Reflexion und die Verbindung von großen Linien und Detailkenntnis. Wo diese drei Di-mensionen sachgerecht aufeinander vermittelt werden, bringt das theologiegeschichtliche Arbeiten historische und systematische Theologie zusammen und kann so Perspektiven für die Zukunft freilegen. Im Bereich der katholischen Theologie gilt dies umso mehr, als Einzelfragen in den Horizont der vom II. Vaticanum ausgehenden und nie unumstrittenen Grunddynamik gestellt werden. Mit der vorliegenden fundierten und fundierenden Studie, die auf ihre von Karim Schelkens und Jacques Haers betreute Löwener Dissertation zur Lehre von den elementa Ecclesiae des II. Vaticanum (vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium 8 und Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio 3) zurückgeht, leistet die chilenische Theologin Sandra Arenas, mittlerweile Dekanin der Facultad de Ciencias Religiosas y Filosofías an der Universidad Católica Temuco, in diesem Sinn einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der katholischen Perspektiven auf ökumenische Fragen weit über den Bereich der Ekklesiologie hinaus. Dass dies auch eine konzilshermeneutische Grundlegung beinhaltet und entfaltet, zeigt die in dieser Arbeit ebenso hintergründig präsente wie sensibel durchgeführte Parallelisierung der Elementa-Ecclesiae-Lehre mit der ebenfalls in LG 8 enthaltenen berühmten Formulierung, wonach die »einzige Kirche Christi« in der rö­misch-katholischen Kirche »subsistiert« (»subsistit in«), aber eben nicht einfach mit dieser identisch ist (»est«).
Die mit einem Vorwort von Ormond Rush (Catholic University of Australia) versehene Untersuchung gliedert sich in vier Kapitel unterschiedlicher Länge. Ein erstes Kapitel zeichnet den Weg nach, den das Motiv der »vestigia Ecclesiae« von Johannes Calvin bis in die Zeit vor dem II. Vaticanum gegangen ist, wobei Yves Congars Chrétiens désunis (1937) eine Pionierrolle spielte. Im zweiten Kapitel steht die Enzyklika Mystici Corporis im Vordergrund, mit der Papst Pius XII. 1943 diverse zeitgenössische Entwicklungen im Verständnis der Kirche in lehramtliche Bahnen lenkte und mit der Rezeption des calvinischen Motivs der »vestigia« den katholischen Ökumenikern die Möglichkeit eröffnete, ihre Bemühungen als im Rahmen eines lehramtlich gefassten Traditionsverständnisses zu entfalten. Im dritten Kapitel werden die Diskussionen während der Vorbereitungsphase des Konzils untersucht. Nach dessen Ankündigung durch Papst Johannes XXIII. im Jahre 1959 wurden erste Textentwürfe vorbereitet, deren Entstehung die unterschiedlichen im Spiel befindlichen theologischen Ansätze und Anliegen widerspiegelt. Die Vorarbeiten der Conférence Catholique des Questions Oecuméniques, die seit den 1950er Jahren unter der Leitung des Niederländers Johannes Willebrands zu einem diskreten, aber einflussreichen Anwalt ökumenischer Fragen im katholischen Bereich wurde, konnten nunmehr durch die Errichtung des Sekretariats zur Förderung der Einheit der Christen unter Kardinal Augustin Bea in einem Konzilsorgan Resonanz finden. Konkret wurde das »vestigia«-Motiv durch eine Eingabe der niederländischen Bischöfe in die Vorbereitungsarbeiten eingebracht, wo es dann in den divergierenden Tendenzen zwischen dem Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen einerseits und der Theologischen Kommission unter der Leitung des ebenfalls niederländischstämmigen, aber streng römischen Jesuiten Sebastiaan Tromp – Ghostwriter von Mystici Corporis – Gegenstand diverser Auseinandersetzungen und vertiefender Reflexion wurde. Im vierten Kapitel steht dann analog der Fortgang der Debatten auf dem Konzil selbst (ab 1962) im Zentrum, das naturgemäß von einer ganz neuen Dynamik geprägt war. Auch hier wertet die Studie minutiös die Textentwürfe aus und beleuchtet personelle und inhaltliche Hintergründe, Querverbindungen und Fragestellungen. Hier ist besonders von Interesse, warum und wie aus einem ursprünglich der protestantischen Theologie entstammenden Motiv der »vestigia« bzw. seiner Weiterentwicklung im Sinne der mehr und mehr positiv konnotierten »elementa« eine lehramtliche Aussage werden konnte. Eine besondere Aussagekraft erhalten diese Lehrentwicklung (so u. a. 143) sowie ihre Voraussetzungen und Implikationen durch die sogenannten »nichtkatholischen Beobachter«, die auf dem II. Vatica num weit mehr als bloße Beobachter waren. Ihre Hinweise zu Chancen und Grenzen der »elementa« sind deren katholischer De-finition gleichsam als Hausaufgaben eingeschrieben. Diesen vier durch eine souveräne historisch-theologische Auswertung von Literatur und unveröffentlichtem Archivmaterial gesättigten Ka­piteln folgt als eine Schlussbetrachtung die vergleichende Analyse von römisch-katholischen (»Dominus Jesus«, 2000 und »Res­ponsa ad quaestiones de aliquibus sententiis ad doctrinam de ecclesia pertinentibus«, 2007) und ökumenischen Dokumenten (»The Apostolicity of the Church«, 2006, »The Church: Towards a Common Vi-sion«, 2013) aus der Zeit nach der Jahrtausendwende. Diese lösten teils heftige Debatten aus. Angesichts dieser Debatten und deren ekklesiologischen Implikationen kommt A. am Ende ihrer Darstellung zu einem klaren Urteil: Weil die Grenzen der Kirche mit der Zugehörigkeit zu Christus (und nicht zu einer konfessionellen Kirche) gegeben sind, muss die römisch-katholische Kirche die nicht-römisch-katholischen Gemeinschaften als »churches in the proper sense« (256) anerkennen.
Die formal in jeder Hinsicht überzeugende Arbeit bietet jenseits der eben erfolgten Darstellung ihres klug und überzeugend dargelegten Aufbaus hinaus eine Reihe von Erkenntnisdimensionen, die jeweils »en passant« herausgearbeitet werden. Erstens betrifft dies eine Reihe zentraler Persönlichkeiten. Besonders ist hier Kardinal Bea zu nennen, der beispielsweise in einer Rede aus dem Jahr 1962 mit dem Ausdruck »patrimonio di verità e di pieta« (53) eine geradezu performative Sprachregelung eingebracht hatte. Zweitens kommt damit als Beispiel für eine hermeneutische Herausforde rung die Rolle der Sprache und der theologischen Konzeptualisierung in den Blick, die Bea in einer Sitzung des Einheitssekretariats als Desiderat ausmachte, in der er – in den Konzilsdebatten nicht automatisch eine Selbstverständlichkeit – fehlende Begrifflichkeit und fehlende Theologie als Grundproblem identifizierte (99 f., Anm. 70). Drittens zeigt die Verbindung der »elementa« mit dem »subsistit in«, dass es einer ganzen Reihe von damit zusammenhängenden Theorien bedarf, um zu einer umsichtigen Bewertung einzelner Fragen zu gelangen. Dies zeigt beispielsweise das von Bischof Andrea Pangrazio eingebrachte Motiv einer »Hierarchie der Wahrheiten« (199), das dann in UR 11 seinen lehramtlichen Ausdruck fand.
Auch heutige Herausforderungen ökumenischer Theologie werden in dieser Studie erhellt wie etwa die Begründung, Reichweite und Ausgestaltung eines »differenzierten Konsenses« (251 ff.). Jenseits der einzelnen behandelten Themen und Aspekte verweist A.’ Untersuchung auf eine grundsätzliche Dynamik des Konzils, die im »shift« (4 u. ö.) von einer juridischen zu einer sakramentalen Sicht der Kirche besteht. Mit Blick auf das Verständnis der Sakramentalität, das mehr benannt denn entfaltet wird, darf man auf weitere Studien A.’ hoffen. Mit ihrem Vorschlag, ein »decentered center« (237) – vielleicht wäre das »center« selbst sogar als »decenter-ing« (ebd.) zu verstehen? – zum Strukturprinzip von Ekklesiologie und Ökumene zu machen, verfügen beide über einen vielversprechenden Ansatz, Identität und Alterität, Katholizität und Konkretion zusammenzudenken. Hierfür wäre, dies sei als weiterführende Anfrage abschließend vermerkt, hilfreich, den Zusammenhang zwischen Dogma und Pastoral (227) noch stärker in seiner Wechselseitigkeit zu fassen.