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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

741–743

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Burke, Andree, Hiepel, Ludger, Niggemeier, Volker, u. Barbara Zimmermann [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Theologiestudium im digitalen Zeitalter.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2020. 360 S. Kart. EUR 32,00. ISBN 9783170388932.

Rezensent:

Frederike van Oorschot

Dieser Band ist erwachsen aus den Münsteraner Fachgesprächen zur Zukunft des Theologiestudiums an der dortigen katholisch-theologischen Fakultät. Sein spezifischer Charakter gründet nicht nur in der Einbindung studentischer Stimmen und Perspektiven von Nachwuchswissenschaftlern, sondern auch in der im Hintergrund stehenden Kooperation zwischen Verantwortlichen für Hochschuldidaktik und dem Netzwerkbüro Theologie & Beruf. Die Fachgespräche fanden überwiegend vor Beginn der Corona-Pandemie statt, die deutlich veränderte Situation seither nehmen die Beiträge jedoch auf.
Als leitende Problemanzeige formuliert die kurze Einleitung die Notwendigkeit, »das Digitale curricular zu integrieren« (9). Das Digitale wird verstanden als kulturelle Transformationsprozesse, die auch die Theologie und ihr Studium verändern. Das Ziel des Bandes formulieren die Herausgeber sehr vorsichtig: Ihnen geht es darum, alle, die mit dem Fach katholische Theologie verbunden sind, zu »bestärken, digitalen Transformationen mit offenem Vi­sier zu begegnen« (9). Entsprechend breit kommen als Zielgruppe des Bandes neben Studierenden und Lehrenden etwa auch Arbeitgeber oder Didaktiker in den Blick.
Der Band gliedert die insgesamt 26 Kurzbeiträge in drei Hauptteile. Diese sind dem EVA-Prinzip in der Datenverarbeitung folgend mit »Eingabe«, »Verarbeitung« und »Ausgabe« überschrieben, was mit dem ethischen Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln verbunden wird (10).
Die sieben Beiträge der »Eingabe« dienen der Wahrnehmung der Situation, indem sie das »Theologiestudium« in die Weite der be­ruflichen Einsatzfelder von Theologen bzw. Theologinnen stellen. Die Beiträge zur Lebenswelt in social media (Wode) und dem Verhältnis von Religion und Computerspielen (Zierpel) zeigen deutlich, dass der Band ein sehr weites Spektrum lebensweltlicher Veränderungen durch digitale Technologien in den Blick nehmen möchte. Dabei steht die Problembeschreibung im Vordergrund: Digitalisierung wird als präsentes Thema erkannt, dessen Herausforderungen jedoch weder didaktisch noch inhaltlich voll erfasst werden. Aus dieser Beschreibung erwachsen die Zielbestimmungen der Autoren und Autorinnen. Auf der einen Seite steht das Ziel des Kompetenzerwerbs: Theologen sollen befähigt werden, sich souverän im Netz zu bewegen (30), und das Studium soll »Digital- Profis unter den Theolog*innen« ausbilden helfen (35). Auf der anderen Seite klingt das Desiderat einer inhaltlichen Reflexion sowohl des digitalen Wandels als auch der davon tangierten theologischen Denkfiguren etwa in der Anthropologie oder Sozialität an (so die Beiträge von Klarholz/Schmidt oder Hoffmann).
Die im zweiten Hauptteil gesammelten neun Beiträge unter der Überschrift »Verarbeitung« sind entsprechend breit aufgestellt. Interessanterweise fokussieren diese nicht auf die beruflichen Felder, die in der »Eingabe« thematisiert werden, sondern traktieren vier Themenfelder, die gewissermaßen quer zu den Arbeitsfeldern liegen: In den Blick kommen erstens die digitale Hochschullehre in einer sehr differenzierten Einführung in den gegenwärtigen Stand der Debatte (Zimmermann) sowie die Veränderungen der Hochschuldidaktik im Blick auf Lehrakteure und Lernprozesse durch digitale Medialisierung (Reis). Zweitens werden der Begriff des Wissens und seine Architektur auf die Veränderungen durch digitale Technologie beleuchtet. Es findet sich sowohl eine Einführung in Wissensarchitektur im digitalen Zeitalter (Henkel) als auch eine differenzierte Diskussion des Konzepts des Computational Think-ing von Jeannette Wing für die Theologie (Harrich/Hiepel). Drittens wird das Verständnis von »Digitalisierung« sehr grundlegend thematisiert. Dazu gehört neben einer Einordnung in die Spannung zwischen einem technozentrischen und einem kulturellen Verständnis von Digitalisierung (Hunze) auch eine ethische Perspektivierung des digitalen Wandels (Kirchschläger). Viertens sammelt der Band Erfahrungsberichte aus Pilotprojekten digitaler und hybrider Studienformen (Blended-Learning Studium, Webquest Theologie, digitales berufsbegleitendes Studium). Erkennbar ist in dieser Zusammenstellung eine doppelte Applikation der titelgebenden Themenstellung, die schon in der »Eingabe« durchschien: Die Beiträge changieren zwischen didaktischen Perspektiven – also den Auswirkungen digitaler Technologien auf das Stu-dium und seine Themenfelder – und inhaltlichen Perspektiven zur Reflexion des digitalen Wandels.
Der dritte Hauptteil unter der Überschrift »Ausgabe« wechselt erneut die Perspektive, indem er die theologischen Disziplinen in den Blick nimmt. Wie diese vom digitalen Wandel verändert werden, beantworten elf Beiträge, die überwiegend aus der Feder von Nachwuchswissenschaftlern bzw. -wissenschaftlerinnen stammen. Auch hier kommen die skizzierten zwei Applikationen des Bandtitels zusammen: Bearbeitet wird zum einen die Frage, wie digitale Technologien in den Disziplinen genutzt werden können, und zum anderen die Frage, welche Anforderungen ein kulturell verstandener digitaler Wandel inhaltlich an die Fächer stellt. Didaktische Konkretionen werden vor allem für das Fach Neues Testament (Hiepel/Niggemeier), Kirchengeschichte (Brockmann/ Daufratshofer/Pfister) und Religionspädagogik (Mansfeld/Schoch) entfaltet – welche auch diejenigen Fächer sind, in denen der Einsatz digitaler Technologien in der Forschung schon am weitesten verbreitet ist. Auch für die Philosophie werden didaktische Konkretionen angeführt (Hanke/Puzio). Die inhaltlichen Veränderungen in theologischen Denkfiguren werden vor allem für die Dogmatik (Weißer), die Pastoraltheologie (Burke/Harrich), die Liturgik (Lüs-traten) und die Kanonistik (Neumann) entfaltet. Hier finden sich sehr unterschiedliche Reflexionen auf Digitalisierung, ohne diesen digitalen Wandel auf das Fach selbst im Blick auf Forschung und Lehre zu reflektieren. Etwas anders gelagert ist der Schwerpunkt in den beiden Beiträgen zur ethischen Reflexion: Diese stellen die Notwendigkeit einer solchen gut begründet heraus, verzichten jedoch auf den inhaltlichen Rückbezug auf das eigene Fach oder auf didaktische Konkretionen (Becker und Hein). Dies entspricht der Perspektive des ethischen Beitrags im zweiten Hauptteil (Kirchschläger). Auch in diesem Hauptteil finden sich Beiträge, die über die in der Einleitung dargestellten Schwerpunkte hinausweisen: So kommt etwa die anthropologische Frage nach der Subjektwerdung in digitalen Welten in den Blick (Heidkamp) und es werden sozialethische Visionen für die Gestaltung theologischer Forschung und Lehre entwickelt (Becker).
Die thematische Breite des Bandes erinnert an die Kompendien, die 2021 zu Theologie und Digitalität erschienen sind. Die Zusammenstellung sehr unterschiedlicher Perspektiven (Berufsfelder, digitale Kirche, soziale Netzwerke, theologische Disziplinen u. a.) und das Changieren zwischen einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Prozessen des digitalen Wandels und einer Reflexion digitaler didaktischer Möglichkeiten hinterlassen stellenweise einen eher kaleidoskopähnlichen Leseeindruck. Dieser ist zwar aus der Entstehungsgeschichte des Bandes erklärbar, zeigt aber zugleich die Schwäche des gliedernden EVA-Prinzips: Dieses arbeitet mit einem klar umrissenen Datensatz. Der »Datensatz« des Bandes scheint zu breit und so bleiben die stellenweise sehr innovativen Ansätze eher unverbunden nebeneinander stehen.
Das Spezifikum des Bandes ist sein Fokus auf das Theologiestudium, das in dieser Weise bisher nicht in den Blick kam. So ist der Band am stärksten dort, wo er darauf fokussiert: In den innovativen Beiträgen zur Hochschuldidaktik, den Erfahrungsberichten und den Reflexionen der inhaltlichen und didaktischen Implikationen des digitalen Wandels des Theologiestudiums. Wünschenswert wäre die stärkere Vernetzung von Forschung und Lehre – und da­mit das weite Feld der Veränderungen der Theologie durch digitale Forschungsmethoden. Die inhaltlichen Reflexionen, die darüber hinaus versuchen, den digitalen Wandel und seine anthropologischen, sozialen und ethischen Implikationen zu beschreiben, sind angesichts der Kürze der Texte eher einführend und flächig gefasst.
Der Band ist somit ein Lesebuch für eine breite Leserschaft, die sich auf Einführungen in die verschiedenen Facetten des Wandels der Theologie durch digitale Technologien und innovative Kurzimpulse zu dessen didaktischen Implikationen freuen kann.