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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

705–708

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bearb. v. H. Scheible.

Titel/Untertitel:

Melanchthons Briefwechsel.Regesten. Bd. 13: Personen L–N.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2019. 582 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772822599.

Rezensent:

Michael Beyer

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Melanchthons Briefwechsel. Regesten. Bd. 14: Personen O–R. Bearb. v. H. Scheible. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2021. 555 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772822605.
Melanchthon, Philipp: Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. v. Ch. Mundhenk. Begr. v. H. Scheible. Bd. T 21: Texte 5970–6291 (1551). Bearb. v. M. Dall’Asta, H. Hein u. Ch. Mundhenk. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2020. 484 S. Lw. EUR 298,00. ISBN 9783772826634.

Seit fast 45 Jahren erscheint in der Regel pro Jahr ein neuer Band des breit angelegten Melanchthonbriefwechsels, der, ursprünglich von Heinz Scheible herausgegeben, seit 2010 von Christine Mundhenk verantwortet wird. Auf die zuerst erschienenen Regesten-Bände MBW 1 bis 8 (1977–1995) folgten mit MBW 9 »Addenda und Konkordanzen« sowie mit Band 10 »Orte A–Z und Itinerar« zwei Hilfsbücher. 2003 und 2005 erschienen die beiden ersten der seinerzeit auf vier veranschlagten Personenbände (MBW 11 f.). Nun sind 2019 und 2021 zwei weitere Personenbände erschienen, mit denen die im Briefwechsel vorkommenden Namen von L–N und O–R erfasst werden (MBW 13 f.). Der ursprünglich als Abschluss der Personen-Reihe vorgesehene fünfte Personenband S–Z musste aufgrund der großen Materialfülle noch einmal geteilt werden: »Personen S« (MBW 15) konnte noch 2021 erscheinen, »Personen T–Z und Nachträge« (MBW 16) soll 2022 verfügbar sein. Mit diesem Band wird der umfassende Kommentar (MBW) zu der erst in einigen Jahren vollständig vorliegenden kritischen Text-Edition (MBW.T) abgeschlossen sein.
Das Rezensieren der gedruckten Bände von MBW erfordert es auch im Blick auf MBW 13 f., erneut auf die Interaktion mit der Website der Melanchthonforschungsstelle (https://www.hadw-bw. de/forschung/forschungsstelle/melanchthon-briefwechsel-mbw) hinzuweisen. Die Website ist in den letzten Jahren zu einem Instrument ausgebaut worden, das grundlegende Informationen zu MBW sammelt sowie die gedruckte Ausgabe fortwährend bereichert und ergänzt. Ihre linke Spalte enthält mehrere Links mit Hinweisen zur Forschungsstelle selbst. Wahlweise kann man sich hier über die Forschungsstelle und ihre Geschichte informieren, weiterhin über Digitale Ressourcen, d. h. den Zugang zum Reges-tenwerk, das wiederum zu den Autographen nach Aufbewahrungsort bzw. MWB-Nummer sowie den Abbildungen der Autographen führt. Außerdem sind von hier aus verlinkt die Nachträge zu den Textbänden als PDF, die Bibliographie MelLit, eine fortlaufend zeitnah ergänzte Forschungsbibliographie zu Melanchthons Leben und Werk, sowie die faksimilierte Camerarius-Ausgabe von Melanchthonbriefen (Lipsiae 1569), die Nikolaus Müllers handschriftliche Annotationen enthält. Weiterhin werden Informationen gege-ben zu Personen, d. h. den Namen der Mitarbeiterschaft der Forschungsstelle sowie der der projektbegleitenden Kommission. Der Link Publikationen führt zu einer Auflistung der bisher erschienenen Bände von MBW, die kurz inhaltlich beschrieben sind. Den einzelnen Bänden ist jeweils auch ein fortlaufend aktualisiertes Verzeichnis ihrer Rezensionen beigefügt. Unter Links findet sich u. a. der Zugang zur Europäischen Melanchthonakademie, von wo aus z. B. zum Brettener Melanchthonhaus weitergeleitet wird. Unter Kontakt finden sich schließlich die Telefonnummern der Mitarbeiterschaft der Forschungsstelle.
Der bereits erwähnte Zugang zum Regestenwerk führt auch direkt zur Regesten-Datenbank. Neuerdings sind am Ende eines jeden Regests unter »Normdaten« die im betreffenden Brief vorkommenden Personen- und Ortsnamen aufgelistet. Die wiederum sind mit http://d-nb.info/gnd/… bzw. www.geonames.org/... verlinkt und bieten neben der Auflistung der unterschiedlich überlieferten Namensformen der betreffenden Personen die zu ihnen erschienene Literatur bzw. über weitere Links zu den wichtigsten biographischen Nachschlagewerken Informationen zu deren Le­ben. Die Orte werden entweder auf normalen Karten oder auf Satellitenbildern dargestellt. Die Nutzung geographischer Internetdaten erleichtert in den Briefwechselbänden das schnelle und genaue Auffinden von großen und kleinen Orten innerhalb ihrer geographischen Zusammenhänge ungemein. Das gilt nicht zu­letzt deshalb, weil ein Ort nunmehr unabhängig von seiner historisch oft wechselnden Zugehörigkeit zu einer nächsthöheren Verwaltungseinheit gefunden werden kann. Die für die Benutzer sehr hilfreiche Symbiose zwischen gedrucktem Werk mit den weiter ausbaufähigen Möglichkeiten der Internetkommunikation dürfte in dieser Form singulär sein. Dass durch das Kommentarwerk MBW nicht nur die bereits in MBW.T erschienenen Texte leichter er­schlossen werden können, sondern mit ihm auch ein Zugang zu den noch nicht erschienenen Texten über ihre älteren Editionen bzw. die handschriftliche Überlieferung, ist mehr als ein Superadditum.
MBW 13 erfasst mit L–N auch den umfangreichen Artikel zu Martin Luther und jene zu seinen Familienangehörigen sowie auch Melanchthons Familienmitglieder. Melanchthon selbst ist hier aus begreiflichen Gründen nicht gelistet, auch wenn man über ihn gern eine ähnlich ausführliche Lebensbeschreibung wie zu Luther (MBW 13,190–192, dazu die bis 2018 reichende Bibliographie, 192–195) gelesen hätte. Dafür gibt es allerdings einen gewissen Ersatz durch das in MBW 10 vorgelegte Itinerar. Weitere Angaben zu Melanchthon sind auf die oben beschriebene Weise über die Namensauswahl in den einzelnen Regesten über das Internet erhältlich. Die Benutzer der Personenbände werden leicht feststellen, dass sie die Namen der hochadeligen Angehörigen von Herrscherdynastien unter den jeweiligen Territorien finden. Das hat den großen Vorteil, dass sämtliche Erwähnungen aller ihr zugehörigen Familienmitglieder hintereinander in nur einem Buch nachgeschlagen werden können; vgl. etwa die einzelnen Linien der nassauischen Grafen (13,488–497), von denen Graf Philipp III. von Nassau-Weilburg hier besonders benannt werden soll (496 f.), weil er u. a. Empfänger einer Widmungsvorrede Melanchthons (s. u. zu MBW.T 21, Nr. 5972) war. Erwähnt seien weiterhin die preußische Hohenzollernfamilie (14,362–368) mit ihrem Begründer Albrecht, Herzog in Preußen, der, ehemals Hochmeister des Deutschen Or­dens gewesen, u. a. von Luther den Hinweis auf die Umwandlung des Deutschordensstaates in ein weltliches Herzogtum, nicht zu­letzt durch Heirat, erhalten hatte und ebenfalls in den in MBW.T 21 abgedruckten Texten zum Osiandrischen Streit eine wichtige Rolle spielt. Hingewiesen sei noch auf den Eintrag zum Osmanischen Reich (14,88–94) sowie auf das österreichische Erzherzogshaus Habsburg (14,96–109) mit den entsprechenden Verweisen auf die daraus entstammenden Könige und Kaiser (s. u.). Besonders beeindruckt die Fülle der Einträge zu den zahlreichen Linien des Wittelsbacher Pfalzgrafenhauses bei Rhein (14,200–234).
Das leichte gemeinsame Auffinden gilt auch für Namen der niederadeligen Familienangehörigen, z. B. der Familie von Mochau, auch wenn diese in der gebräuchlichen Weise (13,399) mit ihren jeweiligen Familiennamen eingeordnet sind. Auch die Miltitze mit Landgraf Philipps von Hessen morganatischer Schwiegermutter Anna von der Saale (13,388 f., besonders 388) gehören in diese Kategorie. All dies trifft ebenso auf Bürgerliche zu, so z. B. auf die Familie von Melanchthons Schwiegersohn Caspar Peucer (14,182–191, die Einträge zu Peucer selbst 183–188), auf Thomas Müntzer (13, 455–461) oder auf den elsässischen Reformator Beatus Rhenanus (14,462–464).
Für die römischen, römisch-deutschen bzw. byzantinischen Kaiser und die deutschen Könige sowie die Päpste gilt allerdings ein anderes Prinzip, nämlich die Einordnung unter ihren Namen, wobei diese zunächst über Listen (bereits MBW 12,282 f. für die Kaiser und Könige bzw. 13,140 für die Päpste) aufgesucht und dann in den entsprechenden Personenbänden nachgeschlagen werden können. Die Fülle von antiken, mythischen, biblischen und bereits für Melanchthon und seine Zeitgenossen historischen Namen weist auf den universellen Charakter von Melanchthons Wissen und gibt Aufschluss über die Bildung, die weiterzugeben er be­strebt war.
Neben den großen, das Jahr 1551 bestimmenden Themen wie der Rechtfertigung im Osiandrischen Streit, das Melanchthon in mehreren Briefen mit anderen Theologen diskutiert, ehe er sein Gutachten vorlegt, und den Überlegungen zur Beschickung des neueröffneten Trienter Konzils, finden wir Melanchthon bei seinen gewohnten Geschäften. Neben einer ganzen Reihe von Vorreden zu eigenen und fremden Werken datiert er z. B. bereits »am neuen iars tag anno 1551« eine Widmungsvorrede für den Grafen Philipp III. von Nassau-Weilburg zu Kaspar Goltwurms Schrift: »Die schöne und tröstliche Historia von Joseph, darin das Wesen und Stand Christi und seiner Kirche erklärt und angezeigt wird« (VD16 G 2601). Goltwurms Buch lässt sich durch die genaue Beschreibung der Drucke (Nr. 5972, 27 f.) leicht als ekklesiologische Auslegung der Josefsgeschichte aus dem 1. Buch Mose identifizieren. Sie wird dem Grafen und mithin einer breiteren Öffentlichkeit von Melanchthon nicht ohne tieferen Grund ans Herz gelegt. Sowohl der ehemalige gräfliche Hofprediger Goltwurm, der sich kurz vor seiner Rückkehr nach Weilburg in Wittenberg im Exil aufhält (siehe bereits MBW 12,162 f.), weil er hier dem kaiserlichen Interim entkommen kann, als auch Melanchthon mit seiner Widmungsvorrede richten ihre Ausführungen an einen Herrschaftsträger, der vom Interim weitaus stärker betroffen ist als das weiter entfernte Kursachsen. Während Melanchthon die Grundsätze der Wittenberger Ekklesiologie in Anlehnung an die Confessio Augus-tana mit deutlich kontroverstheologischem Akzent gegenüber der römischen Ekklesiologie zusammenfasst, tröstet Goltwurm den Grafen in seiner komplizierten Lage: Er möge dem Beispiel des Patriarchen Josef »mit gedult vnd bestendigkeit nachfolgen / so wird euch auch Gott wunderbarlich aus dem Babylonischen ge­fengnis / darin jr in dieser zeit stehet / gnediglich erledigen / vnd widerumb in das gelobte Land / in die christliche Kirche / …führen / vnd darin … erhalten« (Vorwort, VD16 G 2601, [Aijv]).
Melanchthon verwendet in seiner Vorrede neben anderen Bibelzitaten den Spruch Christi aus Johannes 10,27; »Meine Schafe hören meine Stimme«. In seiner Confessio Saxonica, die in den Briefen in der Mitte dieses Jahres aus dem gleichen Jahr oft Erwähnung findet, ist dieses Zitat auch vorhanden, nicht aber in Melanchthons Apologie von 1530. Luther hatte 1537 in den »Schmalkaldischen Artikeln« die Kirche mit dem gleichen Spruch definiert als die »Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören«. Melanchthon hat auch später, etwa 1553 in den »Hauptartikeln der christlichen Lehre«, seiner deutschen Fassung der späten »Loci theologici«, wiederum auf Joh 10,27 zurückgegriffen, ebenso in seinem theologischen Testament 1559, der Auseinandersetzung mit den Bayrischen Visitationsartikeln. Die Spur führt weiter bis zur Konkordienformel von 1580. An diesem Beispiel soll aufgezeigt werden, wie nützlich das einem jeden Text-Band von MBW beigegebene Bibelstellenregister ist, das z. B. für die große Luther-Ausgabe (WA) noch immer fehlt. Es wäre wünschenswert, wenn die einzelnen Bibelstellenregister nach Abschluss der Ausgabe entweder in einem eigenen Band bzw. in virtueller Form zur Verfügung gestellt werden könnten.
Ein Beispiel für ein typisches humanistisches Empfehlungsschreiben, das nicht mit hohem Lob über Lebenswandel, Geistesgaben und Wissen spart, verfasste Melanchthon für den später als einen der Väter des Sozianismus bekannt gewordenen Laelius Sozzini. Dieser hatte sich auf seiner Europareise auch einige Monate in Wittenberg als Hausgast Melanchthons aufgehalten (MBW.T 21,210–212, Nr. 6104). Als sich Ende des Jahres 1551 für Melanchthon abzeichnet (»so beschwerliche reden an mich gelangen« [401,3 f., Nr. 6250]), dass sich Kurfürst Moritz von Sachsen zusammen mit anderen Reichsfürsten mit französischer Hilfe anschickt, gegen den Kaiser vorzugehen, setzt er sich gegen alle Kriegführung, die »zerstorunge dem ganzen teudschen reich bringen mochte« (402,18 f.), für die grundsätzliche Friedenswahrung ein. Außerdem habe die Zu­sammenarbeit mit Frankreich den Beteiligten stets zum Schaden gereicht, und überhaupt entstünde aus dem Kampf gegen die hergebrachte Herrschaftsordnung die Zerstörung aller Strukturen. Am 3. Dezember 1551 erreicht Melanchthon und andere Theologen die Aufforderung des Kaisers, sich im Januar 1552 in Nürnberg einzufinden und sich bereitzumachen, als kursächsische Delegation auf dem Trienter Konzil zu erscheinen (433 f., Nr. 6270).
Der Anhang »Indizes« des Bandes enthält außer dem bereits erwähnten Bibelstellenverzeichnis die gewohnten Übersichten »Absender, Adressaten, Fremdstücke« und »Autoren und Werke bis [und ab] ca. 1500«. Dem großen Werk sei ein guter Fortgang zum Nutzen der Melanchthon- und Reformationsforschung ge­wünscht.