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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

697–699

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Pignot, Matthieu

Titel/Untertitel:

The Catechumenate in Late Antique Africa (4th–6th centuries). Augustine of Hippo, his Contemporaries and Early Reception.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2020. XI, 416 S. = Vigi-liae Christianae. Supplements, 162. Geb. EUR 136,00. ISBN 9789004431898.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Über den spätantiken Katechumenat ist viel geschrieben worden, über Augustin ohnehin. Und doch füllt das vorliegende Buch eine Lücke: Matthieu Pignot will den Katechumenat als lokal spezifizierte, lange in Entwicklung begriffene Institution analysieren, die vor allem da thematisch wurde, wo verschiedene Gruppen um Interessierte warben, weshalb Katechese vielfach mit Polemik verknüpft wurde. Zugleich will er die Dynamik des Christ-Werdens beleuchten, die auch das Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft betraf (21 f.). Wichtig – da in der Forschung uneindeutig – ist die Eingrenzung dessen, was überhaupt als Katechumenat zu verstehen ist: »the time spent by individuals in the community as cat-echumens from the first rites enroling them as catechumens in the Christian community until the beginning of baptismal rites, ge-nerally at Easter Vigil« (23). Im Fokus steht also nicht der Taufakt als solcher, sondern die Zeit der Annäherung an die christliche Gemeinde, zu der aber die Katechumenen bereits gehörten. Hierfür ist das Schrifttum Augustins – wie sonst nur noch dasjenige des Johannes Chrysostomus – eine hervorragende Quellenbasis, da sich das Werben um die Katechumenen und deren gezielte Heranführung an die »richtige« Gemeinde im Kontext antimanichäischer, antipelagianischer und vor allem antidonatistischer Debatten niederschlug. Der Großteil des Buches (32–230) ist den Schriften Augustins gewidmet, wobei zunächst dessen Zeugnisse über seine eigene Zeit als Katechumene (Kapitel 1), die Stellung der Katechumenen in der Gemeinde in Hippo und anderen nordafrikanischen Gemeinden (Kapitel 2), die Heranführung an die Taufe (Kapitel 3) und schließlich die Taufunterweisung in der Fastenzeit (Kapitel 4) untersucht werden. Das Corpus Augustins ergänzt der Vf. durch einige Quellen zum Katechumenat aus dem nachaugustinischen Nordafrika: Hier kommen Konzilstexte und Predigten (Kapitel 5; 231–287), der Briefwechsel zwischen Ferrandus von Karthago und Fulgentius von Ruspe sowie der Brief des Johannes Diaconus an Senarius (Kapitel 6; 288–326) in den Blick. Diese letzte Quelle ist nur cum grano salis »nordafrikanisch«, was ein Problem der Augustinforschung ist: So groß dessen Wirkung war, ist sie oft nur sehr partiell zu rekonstruieren.
Der Vf. erweist sich als Kenner der Schriften Augustins und erstellt ein synthetisches Bild aus vielen unterschiedlichen Teilen, hat auch den Blick fürs Detail. So deutet er Augustins Beschreibung der bei seiner Geburt durchgeführten Riten (Confessiones 1,11,17) überzeugend auf die geistliche Geburt (43) und folgert, Augustin setze Hinweise auf seine eigene Zeit als Katechumene protreptisch ein (45; vgl. 54). Weil auch die Manichäer eine Initiation vornahmen, legte Augustin Wert auf die Terminologie und sprach für mehrheitskirchliche Taufbewerber von competentes, nicht von electi (60). Wie bisher wenig beachtet wurde, ging er auch in seiner antimanichäischen Schrift Contra Faustum auf den Katechumenat ein (98). Dass er sich als Katechumene in Mailand in einem »intermediary state« befand (70), entspricht dem Befund bei Ambrosius: Die Katechumenen gehörten schon zur Gemeinde, waren aber von den Sakramenten ausgeschlossen, da sie mangels Erfahrung nicht Kerntexte wie das Vaterunser sprechen durften (132). Diese »Zwischenexistenz« konnte, wie der Vf. betont, lange andauern und musste gestaltet werden. Augustin zeigte am eigenen Beispiel die Herausforderungen auf, denen er selbst und seine Mitbischöfe begegnen mussten (86).
Der langgestreckte Katechumenat hatte jedoch einen klaren Anfang, der nach Augustin durch die Bezeichnung mit dem Kreuz und das Übergeben von Salz markiert war (De catechizandis rudibus 26,50; 102 f.). Nach der Aufnahmekatechese erfolgte die weitere Einweisung in den christlichen Lebensstil durch Teilnahme an den Gottesdiensten und Hören der Predigten (aus De fide et operibus 6,9 auf einen speziellen Katechumenenunterricht zu schließen [119 f.], überzeugt nicht). Offenbar mussten viele Katechumenen erst motiviert werden, sich zur Taufe anzumelden und ihre Existenz »on the threshold« zu beenden, also die Schnupper- in eine Vollmitgliedschaft zu überführen – wie der Prediger dafür warb, zeigen Tractatus in Iohannis evangelium 10–12 (142–145) und Epp. 2*, 151, 258 (162). Religiöse Bildung war also kein Zweck an sich, sondern hatte die Taufe als ihr Ziel (176). Deren Anbahnung durch intensivierte Katechese ist der unoriginellste Aspekt bei Augustin; ein Vergleich seines sermo exhortatorius (= sermo 216, vgl. 197–205) mit der »Prokatechese« Kyrills von Jerusalem wäre ein reizvolles Unternehmen. Das erübrigt nicht die Ausführungen zur Belehrung über Credo und Vaterunser, denn auch hier ergeben sich lokale Spezifika, z. B. in der Chronologie der Riten (218 f.). Es wird darüber hinaus klar, dass mit der Taufe das (durch familiäre Sozialisation vorbereitete) Lernen nicht endete: »Augustine understood the cat-echumenate only as a first step in the Christians’ learning process« (227).
Gegenüber der hier nur angedeuteten Vielfalt der Textzeugnisse Augustins nehmen sich die weiteren Quellen recht mager aus. Der Vf. kann nur einen einzigen Konzilskanon aus Nordafrika namhaft machen, der sich mit dem Katechumenat befasst – über diese Vollzüge wurde wohl in anderer Form verhandelt und entschieden. Die Quodvultdeus zugeschriebenen Sermones – die nach dem Vf. nicht von diesem Bischof stammen (241–248) – weisen besondere rituelle Bezüge, zumal zu Exorzismen, auf (254 f.). Der Vf. macht plausibel, dass die Inkorporation der Katechumenen in die Gemeinde auch für diese ein Moment der »reflection, assessment and self-definition« war (267). Der Briefwechsel zwischen Ferrandus und Fulgentius belegt erneut, wie stark die Katechese in innerchristliche Polemik (hier gegen die vandalischen Homöer, die der Vf. konsequent »Arians« nennt) involviert war (293). Dass Fulgentius in Augustins Sinne argumentiert (305), überrascht nicht. Johannes’ Brief an Senarius wertet der Vf. nicht (wie sonst üblich) in litur giegeschichtlicher, sondern in theologischer Hinsicht aus: Katechumenat und Taufe sind aufgrund der Erbsünde notwendig – diese antipelagianische Stoßrichtung (vgl. 319–323) bezeugt eine theologische Sinngebung des überlieferten Ritus statt einer oft diagnostizierten Sinnentleerung kirchlicher Praxis im Frühmittelalter.
Das vorliegende Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der spätantiken christlichen Katechese, auch wenn die eingangs skizzierten Leitthesen allzu oft wiederholt werden. Der Vf. erreicht sein oben genanntes Ziel, den Katechumenat bei Augustin in seiner polemischen Abzielung und seiner Bedeutung für das »boundary-making« der Gemeinde aufzuweisen. Er dekonstruiert überzeugend die Vorstellung einer einheitlichen katechetischen Praxis und hebt als stärker zu beachtendes Moment »the capacity of local cler-ics to improvise and innovate within a lively context« (231) hervor. Es könnte fruchtbar sein, aus solchen Detailstudien ein neues, komplexeres Bild des spätantiken Katechumenats zu erarbeiten (vgl. 329). Dazu leistet der Vf. einen methodisch wie sachlich weiterführenden Beitrag.