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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

696–697

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Meier, Mischa

Titel/Untertitel:

Die neronische Christenverfolgung und ihre Kontexte.

Verlag:

Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2021. 73 S. = Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 62. Kart. EUR 22,00. ISBN 9783825348052.

Rezensent:

Wolfram Kinzig

Diese Akademieabhandlung des Althistorikers Mischa Meier be­schäftigt sich mit einem klassischen Problem der frühen Chris-tentumsgeschichte: Hat der Kaiser Nero die Christen verfolgt? Und inwiefern hat das etwas mit dem Brand Roms zu tun? Die Quellenlage ist sehr übersichtlich, denn es gibt nur zwei relativ kurze Berichte über die Ereignisse bei Tacitus (Annalen 15,44,2–5) und Sueton (Nero 16,2), die erhebliche Zeit später verfasst wurden, sowie vermutlich das Zeugnis des 1. Clemensbriefes (6,1–2). In jüngerer Zeit ist die seit Längerem erlahmte Debatte darüber, inwiefern diese Quellen zuverlässig sind, durch einen Artikel Brent Shaws im »Journal of Roman Studies« 2015 wieder in Schwung gekommen. Shaw bezweifelte darin die Historizität der Christenverfolgung. Eine ganze Reihe namhafter Altertumswissenschaftler hat ihm mittlerweile widersprochen. Auch M. ist den Thesen Shaws gegenüber skeptisch und betrachtet die neronische Christenverfolgung »weiterhin als historisches Ereignis«. Ziel der Maßnahmen seien aber in der Sicht der Römer nicht die Christen gewesen (die sie als distinkte religiöse Gruppe noch nicht wahrnahmen), sondern die Chrestiani, die bereits Gegenstand des Claudius-Edikts von 49 wa­ren. Zwar handelte es sich dabei de facto um nichts anderes als Christen, aber sie waren in den kaiserlichen Augen noch eine »jüdische Splittergruppe« (63).
Das Claudius-Edikt, so mutmaßt M. weiter, könnte seinerseits eine (indirekte) Folge jüdischer Beschwerden über die Gruppe im Zusammenhang der alexandrinischen Gesandtschaft von 39/41 sein, an der auch der jüdische Philosoph Philon teilnahm.
Einen Zusammenhang der neronischen Hinrichtungen mit dem Brand Roms habe erst Tacitus hergestellt, »um die Gestalt des ›Tyrannen‹ Nero noch einmal in besonderer Weise zu verfinstern«. In Wahrheit entsprangen sie Neros »Hang zu großartigen Inszenierungen und Spektakeln« (65). Dabei dienten die brutalen Hinrichtungsmethoden dem Reenactment antiker Mythen, wobei sich Nero »selbst als Akteur in einem mythischen Handlungsrahmen sah« (66), den M. in Weiterentwicklung von Überlegungen Tassilo Schmitts detailgenau rekonstruiert.
Aus meiner Sicht ist die Annahme, die neronischen Verfolgungen seien historisch, ebenso wie die Skepsis gegenüber der Verbindung mit dem Brand Roms wohl begründet. Ebenso originell wie plausibel ist M.s Freilegung der wahren Motive für die Exekutionen. Ob tatsächlich ein Zusammenhang mit der antijüdischen Gesetzgebung unter Claudius besteht, wird man hingegen weiter diskutieren müssen. Die Quellen scheinen mir das nicht zuletzt aufgrund der chronologischen Lücke nicht wirklich herzugeben.