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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

693–694

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Jérôme

Titel/Untertitel:

Commentaire sur Daniel. Introduction, texte, traduction, notes et index par R. Courtray.

Verlag:

Paris: Les Éditions du Cerf 2019. 632 S. = Sources Chrétiennes, 602. Kart. EUR 55,00. ISBN 9782204130134.

Rezensent:

Heinrich Holze

Hieronymus hat sich mit seinen Bibelkommentaren und Homilien den Ruf eines biblischen Universalgelehrten erworben. In den Sources Chrétiennes liegen von ihm bislang die Auslegungen zum Buch Jona (SC 323) und zum Matthäusevangelium (SC 242 und 259) sowie die Vorreden zu den biblischen Schriften (SC 592) vor.
Das Buch über den Propheten Daniel weckte nicht nur wegen seiner eschatologischen Themen, sondern auch wegen der mehrsprachigen Überlieferung seine Aufmerksamkeit. Mit ihm bot sich Hieronymus die Möglichkeit, seine Fähigkeiten als Übersetzer und Ausleger zu zeigen. Entstanden ist das vorliegende Werk offenbar auf Anregung Paulinus’ von Nola zwischen 399 und 407 in Bethlehem, wo Hieronymus mehrere Klöster gegründet und sich niedergelassen hatte. Die Bedeutung seines Kommentars erweist sich vor allem darin, dass er in der lateinischen Alten Kirche einzig dasteht. Aber auch unter den exegetischen Werken des Hieronymus nimmt der Danielkommentar eine Sonderstellung ein, wie der Vergleich mit dem Kommentar zu den Zwölf Kleinen Propheten zeigt. Während Hieronymus dort die biblischen Texte Vers für Vers interpretierte, konzentriert er hier die Auslegung auf die Visionen, die für ihn allein entscheidend, aber eben erklärungsbedürftig sind.
Die Edition gliedert den Kommentar, darin einem Hinweis Cassiodors folgend, in drei Bücher (Buch 1: Vision 1–4; Buch 2: Vision 5–8; Buch 3: Vision 9–10), wobei Hieronymus nur die seiner Auffassung nach wichtigsten Verse interpretiert. Als Anhang folgt eine Auslegung einzelner Abschnitte aus der Geschichte von Susanna und Daniel. Die Ausrichtung auf die prophetischen Abschnitte des Buches erklärt sich aus der zunehmend instabilen Lage des Römischen Reichs. Das Vordringen gotischer Stämme war Hieronymus ein Anlass, die geschichtlichen Ereignisse theologisch deuten zu wollen. Dazu knüpft er an die antike Vorstellung der Abfolge von vier Weltreichen an und gibt ihr mit dem Auftreten des Antichrist, der Wiederkehr Christi als Weltenrichter und dem Kommen des Reiches Gottes eine christliche Deutung. Hieronymus zitiert und kommentiert in seiner Auslegung viele Schriften, in denen von Daniel die Rede ist. Zu ihnen gehört der Neuplatoniker Porphyrius mit seiner Schrift »Gegen die Christen«. Hieronymus widerlegt ihn wortreich und liefert damit unfreiwillig wichtige Bausteine zur Rekonstruktion dieser weitgehend verlorenen Schrift. Auch Flavius Josephus wird häufig erwähnt. Unter den christlichen Quellen steht Origenes an vorderster Stelle. Weitere Anknüpfungen lassen sich bei Julius Africanus, Hippolyt von Rom, Clemens von Alexandrien, Tertullian, Euseb von Caesarea, Methodios von Olympos und Apollinaris von Laodicea finden. Sie machen deutlich, dass der Danielkommentar nicht nur für Hieronymus, sondern für die altkirchliche Theologiegeschichte insgesamt von Bedeutung ist.
Herausgeber der vorliegenden Edition ist Régis Courtray, Dozent für lateinische Sprache und Literatur an der Universität Toulouse 2 – Jean Jaurès. Bereits in seiner Pariser Dissertation »Prophète des temps derniers. Jérôme commente Daniel« (2009) hatte er Geschichte und Theologie des Danielkommentars analysiert. Nunmehr hat Courtray auch eine neue Textgrundlage erarbeitet. Ausgehend von der Edition, die François Glorie für CChr.SL 75 (1964) erstellt hatte, bietet er auf einer deutlich breiteren Quellenbasis, in die nicht berücksichtigte Manuskripte des 8.–11. Jh.s Eingang gefunden haben, eine neue kritische Textfassung des Danielkommentars. Ihr hat er eine gediegene französische Übersetzung, die sich eng am lateinischen Text orientiert, zur Seite gestellt.
Zusammen mit seiner kenntnisreichen Einführung, die über Geschichte und Theologie des Danielkommentars gut informiert, erschließt Coutray damit allen, die an Fragen der Auslegungsgeschichte interessiert sind, die Möglichkeit, einen wichtigen Text der lateinischen Patristik neu kennenzulernen.