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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

683–684

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Glöckner, Michael

Titel/Untertitel:

Bildhafte Sprache im Jakobusbrief. Form, Inhalt und Erschließungspotential der metaphorischen Rede einer frühchristlichen Schrift.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 440 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 69. Geb. EUR 88,00. ISBN 9783374067749.

Rezensent:

Andreas Pflock

Michael Glöckner, Studium der Evangelischen Theologie in Berlin, Tübingen und Jena, ist seit 2019 im Stadtkirchenkreis Kassel Dekan der EKKW, arbeitete bereits vorher im kirchlichen Dienst (2005–2019 Pfarrer der Kirchengemeinde Fambach) und war im Nebenamt katechetischer Studienleiter für den Religionsunterricht.
Von der ersten bis zur letzten Seite wird die nachvollziehbare Faszination für den Jakobusbrief (Jak) zum Ausdruck gebracht (vgl. 7.386). Die Struktur des Beitrags mit einem Einleitungs- (17–78) und einem dreigliedrigen Hauptteil (81–377), dem die selbstgewählten Sachkontexte von Theologie, Anthropologie und Ethik sowie Soteriologie und Eschatologie in bildhafter Sprache (vgl. 52–53.380) zugrundegelegt werden, mündet in das Resümee (379–386), dem nach dem materialreichen Literaturverzeichnis (387–411) das Wort- und Stellenregister folgen (413–419 bzw. 421–434). Den Brief im monographischen Rahmen anhand seiner bildhaften Sprache zu erschließen ist charakteristisch für dieses Projekt, das mit dieser vielversprechenden Themen- und Zielsetzung eine »Lücke innerhalb der Forschung am Jakobusbrief« schließen möchte (21).
Im gleichen Zusammenhang wird zugunsten der eigenen Themensetzung festgehalten: »Dem Verfasser geht es dabei gleichermaßen um die Frage nach Gott wie um die Deutung der Wirklichkeit von Welt und Mensch. Die lange Zeit die Forschung dominierende Behauptung, der Jakobusbrief behandle kein einheitliches Thema, lässt sich aus dieser Perspektive nicht mehr aufrechterhalten.« (21) Ähnlich aussagekräftigen Sinn gewinnt das Statement gegen Ende, die textpragmatische Kohärenz des Briefes bestehe »wesentlich in der Beschreibung Gottes als eines verlässlichen Gebers sowie in der Förderung eines Lebens, das dem Glauben entspricht. Diese beiden Grundaspekte durchziehen diese kleine frühchristliche Schrift in unterschiedlicher Intensität.« (385)
Im Einleitungsteil, in dem die wesentlichen hermeneutischen und heuristischen Weichenstellungen zustandekommen, folgt einem Überblick zur bildhaften Sprache im Jak (23–27) in der Strukturierung der Gesamtarbeit der Teil »Optionen zu Sortierung und Klassifikation« (29–57): Grundsätzlich ist es dem Vf. angesichts der thematischen, formalen, funktionalen, traditionsgeschichtlichen und grammatikalischen Klassifikationsmöglichkeiten (vgl. 30–31) bildhafter Sprache wichtig zu betonen, die »Suche nach verifizierbaren Kriterien zur Sortierung« sei »jedoch von ständigen Unschärfen begleitet« (29); diese seien »in der Gliederung, in der Gattung sowie in der Vielschichtigkeit der Argumentation dieser kleinen neutestamentlichen Schrift« begründet (ebd.) Dabei ist fraglich, ob die gewählte metaphorische Graduierung, die heuristisch zur Ermittlung der zu untersuchenden Stellen dienen sollte (vgl. 34–36), das wünschenswerte Erschließungspotential auch zu leisten vermag:
Die erste Graduierung »ist dabei eine einfache, aus einem Wort bzw. maximal einer Wortgruppe bestehende Metapher«, während die zweite »ein etwas stärker ausdifferenziertes Sprachbild bzw. eine kleine Geschichte bzw. Begebenheit, die der Verfasser illustrierend erzählt, beinhaltet.« (beide 34) Dieses kriteriologische Defizit sowie die mangelnde heuristische Leistungsfähigkeit und Nachvollziehbarkeit der Belegtabelle (vgl. 35–36) bedürften einer ausführlichen kritischen Diskussion. Denn in der Tabelle fehlen z. B.: sich ins Gesetz zu vertiefen (Jak 1,25), die Reichen im Glauben oder Erben des Reichs (2,5), das königliche Gesetz und die über das Gericht triumphierende Barmherzigkeit (2,8 bzw. 2,13), zitternde Dämonen (2,19), vor allem der Mensch als Ebenbild Gottes (3,9), aus einem Mund herauskommender Segen bzw. Fluch (3,10), der fliehende Teufel (4,7), Gott als Richter und Gesetzgeber (4,12), die Ohren des Herrn Zebaoth (5,4), der Regen gebende Himmel bzw. die fruchtbringende Erde (beide 5,18) sowie die Wegmetapher in 5,19 (von der Wahrheit abzuirren). Dafür ist die in der Tabelle genannte Stelle 4,5 (dort zum innewohnenden Geist) weder Teil der Analysen noch im Stellenregister vorhanden. Offen bleibt zudem, warum die Ehebrecherinnen-Nomenklatur es in die Liste schaffte, aber nicht die Bezeichnungen der Freundschaft zur Welt bzw. der Feindschaft Gottes, die folgerichtig dann auch in der Analyse zu kurz kommen (vgl. 157–159). Selbst wenn schließlich die durch den Vf. vorgelegte erste Graduierung für Jak 1,26 akzeptiert wird, ist dort für eine Analyse mehr möglich, da – abgesehen von der Graduierung – weiteres metaphorisches Potential durch die Rede vom Dienst für Gott bzw. der Gottesverehrung angezeigt ist. Die Heu-ristik-Problematik des Eingangsteils wurzelt dabei m. E. in der zentralen Hermeneutik- und Methodik-Problematik der Arbeit.
Letztere Problematik manifestiert sich in der Aussage: »Ausgangspunkt ist dabei keine dezidierte Metapherntheorie, der das vorhandene Material subsumiert wird. Die Analyse setzt bei den konkreten Textbeispielen an und zieht entsprechende Schlüsse, die das gesamte Schreiben betreffen […]. Das entspricht der Methodik des Jakobus, der Metaphern erkennbar nach ihrem praktischen Nutzen, nicht jedoch nach einer bestimmten Theorie gebraucht.« (So 60 zu Intention und Leitfragen der Arbeit, nach denen erst die klassischen Einleitungsfragen folgen.) Ihr interner Kernkonflikt b esteht m. E. darin, dass methodologische Grundfragen nicht ge­löst sind: So bietet sie neben breiten Interpretationsblöcken in-formative und umfangreiche traditionsgeschichtliche Bezüge (so etwa knapp 14 Seiten zu Jak 1,6 hinsichtlich des Hin- und Hergerissenseins wie von einer Meereswoge: vgl. 108–121), verbleibt aber durch die inhärente Logik einer traditionsgeschichtlichen Methodik auf der Zeitebene dieser frühchristlichen Schrift. Dass laut Vf. der Wert der vorliegenden Untersuchung »vorrangig in der Erhebung der entsprechenden Textbefunde und in ihrer exegetischen Aufarbeitung« bestehe (380), erscheint nicht zufriedenstellend.
Dies lässt erstere Problematik umso mehr hervortreten, denn hermeneutisch solide vorzugehen integrierte neben der produktions- und werkästhetischen auch die rezeptionsästhetische Dimension, die freilich in dieser Arbeit nur in Form der damaligen Briefrezipienten vorkommen kann. So weist dieser Beitrag durchweg Züge einer autorintentionalen Hermeneutik auf (z. B. 7.18 f.31.141 f.154 f.), woraus dann Kategorienfehler wie folgender resultieren: »Anthropologie und Ethik bilden die Hauptintention dessen, was Jakobus seinem Gegenüber zu vermitteln sucht. Dem Autor liegt der ein-zelne Mensch vor Gott, seine psychologische Grundstruktur, sein Heilsein, das Voraussetzung für das Heilsein in der Gemeinde ist, in besonderer Weise am Herzen.« (105); und ihm sei »bewusst, dass er hier eine größere Sorgfalt aufwenden muss, weil dieser Vorgang bei den Rezipienten in geringerem Umfang erfahrungsgesättigt ist« (383). Neben der intentio auctoris scheint sogar die conscientia lectoris greifbar: »Diese Methode dürfte bei den Briefempfängern ihre Wirkung nicht verfehlt haben.« (384) Hermeneutisch fragwürdig sind dabei auch Ausdrucksweisen wie – vermeintlich – unmittelbar Einleuchtendes (z. B. 71.135) oder Behauptungen wie: »Das folgende Bild, dass ein kleines Feuer einen großen Wald in Brand setzt, versteht sich wiederum nahezu von selbst« (383).
Zu würdigen ist bei diesem Projekt neben seiner aussichtsreichen Zielsetzung der Quellenreichtum an Primär- und Sekundärliteratur. Insbesondere die außerbiblischen Bezüge machen es zur Fundgrube für traditionsgeschichtliche Schatzsucher.