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Ausgabe:

Juli/August/2022

Spalte:

681–682

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bennett, Thomas Andrew

Titel/Untertitel:

1–3 John.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2021. XII, 225 S. = The Two Horizons New Testament Commentary. Kart. US$ 29,00. ISBN 9780802875778.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Die durch Joel B. Green herausgegebene Reihe »The Two Horizons New Testament Commentary« strebt an, der philologisch-historischen Auslegung neutestamentlicher Texte einen zweiten Horizont hinzuzufügen. Dieser zweite Horizont soll mit der Gedankenschärfe systematischer Diskurse dem ersten exegetischen Horizont Tiefenschärfe geben und so zwischen den Teildisziplinen Systematik und Exegese vermitteln. Zum 1–3Joh ist dieses Programm vielversprechend. Der eine Satz »Gott ist Liebe« in 1Joh 4,8.16 veranlasste G. W. F. Hegel (1770–1831) und Eberhard Jüngel (1934–2021) zu einem trinitarischen Gottesbegriff, um die Tiefe dieses Satzes auszuloten. Wenn eine so kurze Bemerkung im 1Joh ein so gewaltiges Gedankengebäude aus sich heraus entwickeln lässt, macht das »Zwei Horizonte«-Programm gerade bei 1–3Joh neugierig.
Der Kommentar von Thomas Andrew Bennett legt die Briefe 1–3Joh zweimal aus entsprechend den zwei Horizonten: Der erste Durchgang sammelt die exegetischen Ergebnisse zu den Abschnitten der ausgelegten Briefe. Der zweite Durchgang setzt den zweiten, systematischen Horizont dazu. Er ordnet die Ausführungen nach den Themen Systematischer Theologie (Loci) an und trägt die dazu in 1–3Joh vorhandenen Ausführungen zusammen.
In der Einleitung macht B. deutlich, dass er sich aller Speku-lationen über die historische Herkunft von 1–3Joh enthalten will (12; auch 27.195 f.). Er lege vorhandene Literatur aus. Dieser Ansatz zementiert eine bestimmte Kontextualisierung der Briefe, nämlich die im Neuen Testament. Doch auch diese Kontextualisierung hat einen historischen Ort, den B. nicht hinreichend reflektiert. Etwa die Johannesoffenbarung steht erst im Neuen Testament als Literatur neben 1–3Joh. Eine gegenseitige Interpretation dieser Schriften als »johanneischer Literatur«, wie sie B. immer wieder anführt, setzt eine bestimmte These über die Entstehung der Werke absolut, nämlich derselbe Johannes habe JohEv, 1–3Joh und Offb verfasst, eine These, die sich aus diesen Schriften heraus, vorsichtig gesagt, nicht zwingend ergibt. Der aus 1–3Joh selbst herauslesbare Gedankenhorizont umfasst nicht das Neue Testament und auch die im ersten Durchgang wiederholte Rede von trinitarischen Personen benützt eine den Briefen unbekannte Sprache (»Second Person of the Trinity«, z. B. 44.65.72). Manchmal müht sich B. zu zeigen, wie bestimmte Beobachtungen im 1Joh die Explikation in der späteren Trinitätslehre vorbereiten, etwa wenn öfters im 1Joh bei Personalpronomen unklar ist, ob sie sich auf Jesus oder Gott beziehen (23 f.27; vgl. 132). Diese (zutreffende) Beobachtung bereitet zunächst ein binitarisches Gottesverständnis vor. Bis zu trinitarischen Erwägungen ist es noch ein weiter Weg.
B. berücksichtigt exegetische und die systematische Literatur nur, wenn sie in englischer Sprache vorliegt. Deutsche Forschung neuerer Zeit (z. B. H.-J. Klauck) bleibt so außen vor. Als Kommentar gelesen bietet B. vor allem verständliche Übersetzungsvorschläge für die angemessene Vermittlung in unsere Zeit. So übersetzt er etwa die Rede vom »Samen Gottes in ihm« (1Joh 3,9) mit »they have God’s DNA in them« (58; oft wiederholt). B. fasst im ersten Durchgang bekannte exegetische Ergebnisse mit gut verständlichen Beispielen zusammen.
Der zweite Durchgang geht ohne klares Prinzip theologische Themen durch, zu denen er Einzelaussagen der Briefe nennt. B. geht nicht wirkungsgeschichtlich vor. Gelegentliche Verweise auf Kirchenväter wie neuzeitliche Theologen sind etwas beliebig gewählt. Die englische Übersetzung von Jüngels »Gott als Geheimnis der Welt« (dt. 1. Aufl. 1977; engl. 1983) führt B. zu 1Joh 4 an (78), verweist dann auf den Durchgang im theologischen Horizont (78, Anm. 60). Dort notiert eine Anmerkung, dass Jüngel einen ähnlichen Gedanken verfolge (168, Anm. 39; die Stelle fehlt im Autoren-Index). So kommen systematische Forschung und Exegese nicht wirklich in einen erhellenden Diskurs.
B. bietet interessante Einzelbeobachtungen zu 1–3Joh und theologischen Themen, aber keine theologische Durchdringung der Briefe. Die Aufteilung in textbasierte Auslegung und theologische Themenfelder trennt in zwei Durchgänge, was zusammengehört. Keine Exegese kommt ohne theologische Vorgriffe in den Text aus. Eine Systematische Theologie, die sich mit ihrer biblischen Grundlage nicht auch in deren historischem Kontext auseinandersetzt, wird nur oberflächlich passende Themenanschlüsse als Auslegung angeben. Erst wenn beide Horizonte verbunden sind, kommt es zu einer rechten Auslegung. Dann ist es wohl möglich, dass ein genaues Hören auf 1Joh erst angemessen expliziert wird, wenn in den Brief ein trinitarisch gedachter Gott eingelesen wird. Ein solches Auslegen beansprucht, implizite Gedanken biblischer Texte auszuführen. Gedanken zum Text zweimal wiederzugeben, einmal in der Reihenfolge des Textes, dann nach theologischen Themen geordnet, erreicht diese Tiefe nicht. B.s. Buch mag englischsprachigen Praktikern in Verkündigung und Religionspädagogik hilfreich sein, einen Forschungsbeitrag zu 1–3Joh stellt es m. E. nicht dar.